Übersetzung
Dieser Text wurde von unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie geschrieben, wir haben ihn für euch übersetzt.
Derzeit befeuern Donald Trump und sein Bluterguss an der rechten Hand die Gerüchteküche. Und seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine werden Wladimir Putin immer wieder Krebserkrankungen und andere unheilbare Leiden nachgesagt. Warum zieht die Gesundheit der Mächtigen die wildesten Spekulationen so sehr an?
Stanis Perez: Erstens: die mediale Dauerpräsenz von Präsidenten – inzwischen vergleichbar mit der von Hollywoodstars. Zweitens: Schlechte Gesundheit eines Mächtigen kann im Extremfall zum Tod führen – und damit einen politischen Umbruch auslösen. Und drittens gibt es eine psychologische Komponente: eine Art Rache-Motiv.
Yikes. The American people deserve answers about what’s going on with Trump’s hand. pic.twitter.com/VBPJH5vI5u
— Republicans against Trump (@RpsAgainstTrump) August 25, 2025
Rache?
Wenn ein Machthaber gesundheitlich angeschlagen ist, wird er trotz Geld und Einfluss wieder zum Menschen – zu einem sterblichen Wesen wie Sie und ich. Das kann bei der Bevölkerung eine Art Genugtuung auslösen.
Im Sinne von: Vor dem Tod sind wir alle gleich?
Ja, genau.
Eine Einsicht, die zum Albtraum werden kann – gerade für Präsidenten wie Trump oder Putin, die Tag für Tag zu demonstrieren versuchen, dass sie starke, unverwüstliche Alphamänner sind.
Es sind in erster Linie stark polarisierende Figuren – und Staatschefs mächtiger Staaten. Sie haben kein Interesse daran, sich als ganz normale Sterbliche zu zeigen.
Tatsächlich betont Wladimir Putin gern, dass er Judo-Schwarzgurt ist und regelmässig Sport treibt. Körperliche Stärke, die mit institutioneller Macht einhergeht.
Dieser Text wurde von unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie geschrieben, wir haben ihn für euch übersetzt.
Warum ist es so wichtig, zu zeigen, dass ein Präsident körperlich und geistig in Bestform ist?
Eine schwierige, aber legitime Frage – gerade in einer Demokratie: Sind sie amts- und regierungsfähig? Im vergangenen Jahr hat genau die Frage nach Joe Bidens Eignung, die grösste Weltmacht zu führen, den Präsidentschaftswahlkampf kippen lassen.
Sie führte zum späten Rückzug des Demokraten zugunsten seiner Vizepräsidentin Kamala Harris ...
Ich komme gerade aus einer Vortragsreihe über die Gesundheit berühmter Persönlichkeiten der Geschichte. Natürlich haben wir auch über den armen Joe Biden gesprochen – doch die politische Fixierung auf den Gesundheitszustand von Präsidenten ist keineswegs neu. Sehr aufschlussreich ist zum Beispiel der Fall Roosevelt.
Bei Roosevelt war es Kinderlähmung – stimmt das?
Man geht davon aus, dass es die Kinderlähmung war, die ihn schliesslich das Leben kostete. Damals kursierten aber auch andere Hypothesen, etwa eine schlecht verlaufene Malaria. Roosevelt war wohl der mächtigste US-Präsident – während des Zweiten Weltkriegs. Zusammen mit Lincoln war er ein grosser Reformer. Und doch: Er sass im Rollstuhl, die Beine gelähmt. So schwach Roosevelt körperlich auch war, politisch wirkte er stark. Vielleicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt – denn die Amerikaner bevorzugen Präsidenten, die sportlich, fit und tatkräftig sind.
Liegt es also daran, dass die Gesundheit von Präsidenten zur Waffe wird, die Gegner und Kritiker gegen sie einsetzen?
Ja, aber man muss an einen Punkt erinnern: Joe Biden musste seinen Rückzug erklären, weil Unklarheit über seine körperliche und kognitive Regierungsfähigkeit herrschte – und die Amerikaner stimmten in grosser Zahl für Donald Trump, im Wissen um sein fortgeschrittenes Alter und trotz hartnäckiger Gerüchte über seine geistige Gesundheit.
Ist nicht gerade die geistige Gesundheit besonders wichtig?
Gerade die geistige Gesundheit lässt sich vom politischen Umfeld instrumentalisieren oder schlicht in Frage stellen. Gegen Ende seiner zweiten Amtszeit rettete sich Ronald Reagan – wie Joe Biden im vergangenen Jahr auf der Bühne – bei Erinnerungslücken jeweils mit einer kleinen humorvollen Pirouette.
Die US-Verfassung sieht übrigens vor, dass ein Ärztegremium die Regierungsunfähigkeit eines Präsidenten aus gesundheitlichen Gründen feststellen kann.
Am Ende entscheidet der Präsident selbst, welche medizinischen Informationen er der Öffentlichkeit und seinen Wählern preisgibt – und welche nicht.
Natürlich. Aber zugleich könnte der eine Arzt behaupten, der Präsident habe nur noch drei Monate zu leben, ein anderer ein Jahr – oder dreissig. Was ist der Bericht des Präsidentenarztes wirklich wert, wenn es darum geht, seine tatsächliche Regierungsfähigkeit zu beurteilen? Und was wissen die Präsidenten selbst überhaupt? Man muss immer zwischen Diagnose und Prognose unterscheiden. Als Mitterrand 1981 Präsident von Frankreich wurde, hatte er bereits Prostatakrebs, und sein Arzt teilte ihm mit, er habe nur noch wenige Monate zu leben. Er war dann 14 Jahre lang Präsident. Das ist eine äusserst komplexe Frage.
Übrigens sind es oft das Umfeld, die Medien und die Öffentlichkeit, die Staatschefs – sobald Hinweise oder Gerüchte auftauchen – dazu drängen, sich zu ihrer Gesundheit zu äussern. Auch Hillary Clinton war Zielscheibe solcher Spekulationen über ihre geistige Gesundheit – wegen etwas seltsamer Grimassen und merkwürdiger Reaktionen.
Die USA scheinen ohnehin stärker als andere Länder auf die Gesundheit ihrer Präsidenten fixiert zu sein.
Ja, stimmt – unter anderem, weil US-Spitzenpolitiker Stars sind und sich wie Promis verhalten: mit besonderem Fokus auf Dynamik und Erscheinung – vom Make-up über die Kleidung bis hin zur Schönheitschirurgie.
Und doch haben die Amerikaner zuletzt Siebzigjährige gewählt – von Biden bis Trump.
Ganz genau – es sind nicht die Jüngsten und Fittesten. Aber die Anekdote zum Duell von Kennedy und Nixon zeigt, wie wichtig der Anschein guter Gesundheit im politischen Spiel ist. Laut einer Umfrage damals fanden TV-Zuschauer, Kennedy habe das Duell dominiert. Radiohörer hingegen meinten, Nixon habe klar die Oberhand gehabt. Kennedys Auftritt vor der Kamera verschaffte ihm einen enormen Vorteil.
Das Umfeld eines Präsidenten spielt oft eine Schlüsselrolle. 2024 sah man das bei Joe Biden: Sein engster Kreis versuchte angesichts der Dauerangriffe, einen Schutzwall um ihn zu ziehen.
Das Umfeld spielt eine zentrale Rolle – vor allem, wenn es den Präsidenten davon überzeugen will, dass es ihm bestens geht und er regierungsfähig ist. Oft ist das gut gemeint. Bisweilen aber wartet ein Umfeld nur darauf, seinen Platz einzunehmen – und drängt den Präsidenten dazu, seine Krankheit falsch wahrzunehmen. Selbst in Diktaturen: In Francos letzten Lebensmonaten führten seine Frau und sein Schwiegersohn Spanien faktisch an seiner Stelle.
Passen feindliche Staaten ihre Strategien an, sobald sie erfahren, dass der Führer einer Grossmacht gesundheitlich angeschlagen ist?
Ja. Roosevelt hat das übrigens selbst zu spüren bekommen. In den USA gibt es viele, die meinen, sein Gesundheitszustand habe zu seiner schwachen Performance bei den Verhandlungen von Jalta geführt und Stalin damit die Möglichkeit gegeben, seine Kontrolle über Osteuropa zu stärken. Und die Zigarette des US-Präsidenten auf dem historischen Foto sorgte damals zusätzlich für Gerede.
Geht es um Putin oder Trump, hat man bisweilen den Eindruck, dass das Gerede über ihre zahlreichen möglichen Leiden die Hoffnung ihrer Gegner verrät, sie könnten eines natürlichen Todes sterben – weil sie anders nicht zu besiegen scheinen.
Ja. Im Zweiten Weltkrieg kursierten zahllose Gerüchte über die Gesundheit von Hitler. Sie wurden oft aus dem Nahen Osten gestreut und behaupteten etwa, der «Führer» sei gestorben und man verheimliche das der Bevölkerung. Die Gesundheit der Mächtigen ist zugleich eine Kriegswaffe – über Propaganda – und ein Mittel, die Truppen zu motivieren, wenn der feindliche Anführer womöglich geschwächt ist.
Ist Trumps medial inszenierte Machtdemonstration nicht gewissermassen eine Antwort auf die Gerüchte um seine Regierungsfähigkeit – und auf die Schwächen mancher seiner Vorgänger?
Exakt. Das sah man 2024: Donald Trump hat den Attentatsversuch, den er während des Präsidentschaftswahlkampfs überlebte, aktiv zu seinen Gunsten genutzt.
Als ich sah, wie sich der republikanische Kandidat wieder aufrichtete und die Faust in die Höhe streckte – die US-Flagge im Hintergrund, Blut im Gesicht, Agenten um ihn herum –, dachte ich: «Das war’s, Trump hat gewonnen.» Ein Bild, das nicht nur in die Geschichte eingehen wird, sondern viel darüber aussagt, wie wichtig ein robuster Staatschef ist, der zu überleben vermag – sowohl ein Attentat als auch eine Krankheit, zumal eine psychische. In der Politik verträgt sich Heroismus kaum mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten.
Eine Krankheit kann das Publikum auch milde stimmen. Ich spreche oft vom Präzedenzfall Reagan: Er litt an Alzheimer, und man bescheinigte ihm Mut. Ähnlich in Frankreich bei François Mitterrand, als sein Prostatakrebs öffentlich wurde. Manche politische Gegner überlegten es sich zweimal, bevor sie ihn in Debatten frontal angingen. Es gab – zumindest damals – einen gewissen Respekt vor einem Politiker, der ums Überleben kämpfte und dennoch das Land weiterführte.
Während Biden und Trump wenig transparent sind, haben König Charles und Prinzessin Kate ihre jeweiligen Krebserkrankungen offengelegt – um die Öffentlichkeit zu rühren und Sympathien zu gewinnen?
Ja, natürlich. Verletzlichkeit kann Empathie wecken. Allerdings wissen wir nichts über die genaue Art der Krebserkrankung – was eher darauf hindeutet, dass sie aggressiv und gefährlich ist. Die britische Monarchie steht seit Lady Diana unter einem enormen Medienfokus, wie man ihn sonst nur von den grössten Stars kennt. Daraus hat sich eine gewisse Transparenzpflicht gegenüber ihrem Publikum ergeben – einem Publikum, das eher aus Fans als aus Wählern besteht, zumal die Monarchie keine Exekutivgewalt besitzt.
Eine kontrollierte Transparenz – schliesslich galt für die Queen seit jeher das Motto «never complain, never explain». Hat sich die Kommunikation geändert?
Ja – auch, weil es einen Generationenwechsel gab. Und die Umstände des Todes der Queen sind noch immer sehr unklar.
Sind wir am Ende nicht selbst schuld – weil wir ältere Menschen wählen –, dass die Gesundheit unserer Staats- und Regierungschefs ständig im Fokus der Schlagzeilen steht?
(lacht) Da bin ich bei Ihnen – aber man kann eben auch jung und sehr krank sein. JFK hatte Rücken- und Gelenkprobleme, und über den psychischen Zustand von Emmanuel Macron kursieren viele Gerüchte. Würde man die Krankenakten von 40- bis 50-jährigen Staatschefs durchforsten, fände man vermutlich einige Leiden. Und vergessen wir die Süchte nicht, die ebenfalls zu Gesundheitsproblemen führen können.
Es gibt etwa Gerüchte um angeblichen Kokainkonsum des französischen Präsidenten.
Ja. Und jede Sucht kann, sobald man an der Staatsspitze steht, zum politischen Problem werden – vom Alkohol bis zu Medikamenten. Wer sagt uns, dass Wolodymyr Selenskyj nicht auf Beruhigungsmittel und Schlafmittel setzt – bis hin zur Abhängigkeit? Das hätte allerdings nie dieselbe Symbolik wie eine Krebserkrankung: Da kann man sagen, ein Präsident hat sie sich nicht ausgesucht, weil man grundsätzlich davon ausgeht, dass Kranke nichts dafür können.