Der Star-Journalist hat seinen Arbeitsplatz während des Weltwirtschaftsforums wie Hunderte anderer Journalisten im Medien-Zelt beim Kongresszentrum. Hier treffen wir ihn zum Interview – und konfrontieren ihn mit einem Fehler: Auf der Frontseite der Titelseite der «New York Times» prangt ein grosses Foto einer Anti-Trump-Demonstration, die gemäss Bildlegende in Davos stattgefunden haben soll. Effektiv war sie aber in Zürich. «Welch ein Ärger. Solche Fehler dürfen uns zuallerletzt passieren», sagt Baker – die «New York Times» gehört schliesslich zu den vertrauenswürdigsten Medienmarken der Welt.
Mister Baker, wie viele Artikel haben Sie schon über Donald Trump geschrieben?
Peter Baker: Ich habe sie nicht gezählt. Und das wäre auch schwierig. Denn wenn ich heute eine Geschichte schreibe, aktualisiere ich sie online vielleicht drei- oder viermal. Gerade bei Trump-Texten ist das nötig. Der Präsident ist ein News-Generator, und das 24 Stunden lang.
Wie bewältigt Ihre Redaktion dieses Nachrichten-Feuerwerk?
Wir haben unser Team in Washington im vergangenen Jahr von etwa 70 auf 107 Redaktoren aufgestockt. Die Leute sind hungrig nach Trump-Storys.
Warum sind die Leute nach einem Jahr im Amt noch immer gierig nach jeder Story?
Trump ist nun mal ein Entertainer. Das war er schon immer. In seiner früheren Karriere als TV-Star schaffte er es, seine Show «The Apprentice» 14 Jahre am Leben zu halten. Er weiss, wie er das Publikum bei Laune hält. Er weiss Dramen und Intrigen zu inszenieren. Das beweist er auch als Präsident. Er veranstaltet eine Reality-Show, die viele Menschen fesselt.
Wie lange noch?
Leute, die längst genug davon haben, gibt es viele. Sie sind der Trump-Storys müde. Trotzdem lesen sie diese, immer und immer wieder. Wie lange noch? Keine Ahnung.
Und Sie? Haben Sie es noch nicht satt?
Nein. Mein Job ist zumindest für die nächsten drei Jahre gesichert. Aus Sicht eines Reporters ist es hoch spannend. Ich berichte seit 20 Jahren aus Washington und glaubte, nichts kann mich mehr überraschen. Wie ich mich irrte!
Trumps Wahl war gut für «New York Times»?
Absolut. Er nennt uns «failing New York Times» («scheiternd», die Red.). Aber unserer Zeitung ging es noch nie so gut. Der Aktienkurs stieg, und wir gewannen innerhalb eines Jahres 500 000 neue Abonnenten für unser kostenpflichtiges Online-Angebot. Wir profitieren davon, dass wir in diesen speziellen Zeiten den Ruf einer verlässlichen und unabhängigen Informationsquelle haben.
Die neuen Abonnenten – das werden wohl alles Demokraten sein.
Nicht nur. Ich erhalte Kritik von links wie von rechts. Offenbar lesen uns beide Seiten. 27 Prozent unserer neuen Abonnenten wohnen übrigens ausserhalb der USA.
Donald Trump hasst die Mainstream-Medien, er bezeichnete auch Ihre Zeitung als «Feind des Volkes». Spüren Sie den Hass?
Die Polarisierung der Politik spürt man als Medienschaffender, der Ton ist aggressiver geworden, allerdings wurde ich nie auf der Strasse angefeindet. Das Beste, was Sie als Journalist in dieser Situation machen können, ist professionell zu bleiben. Was Trump betrifft: Er schimpft zwar über die «New York Times», aber er mag es, uns Interviews zu geben.
Warum will er ausgerechnet in die «New York Times»?
Es ist eine Hassliebe. Er kann uns auf Twitter aufs Übelste beschimpfen, uns dann aber zu einem Interview empfangen und im persönlichen Umgang absolut zivilisiert und freundlich sein. Wir führten mit Trump im ersten Amtsjahr womöglich mehr Interviews als mit Obama in seiner achtjährigen Amtszeit. Trump ist New Yorker, er wuchs hier auf, vielleicht sucht er in seiner Heimatstadt Bestätigung, dass er sich oft an unsere Zeitung wendet.
Dasselbe Motiv treibt ihn womöglich nach Davos: Er sucht Anerkennung bei Leuten, die ihm wichtig sind – auch bei der Elite?
Genau. Es ist ein Triumph für ihn, dass er ans WEF eingeladen wird. Als Geschäftsmann war das nie der Fall, und dieser fehlende Respekt wurmte ihn.
Trumps Lieblingsmedium ist der rechte Boulevard-Fernsehsender Fox News. Befremdet Sie das?
In den Vorwahlen war Fox gegen Trump. Seit seiner Wahl ist das anders. Der Sender ist für Trump das wichtigste Informationsmedium – und Bestätigung zugleich. Morgens schaut er «Fox & Friends» (eine Morgenshow, die von 6 bis 9 Uhr dauert, die Red.) und reagiert oft sofort darauf. Das gab es noch nie, dass Präsidenten sofort auf TV-News anspringen – ohne sich mit ihren Spezialisten abzusprechen. Trump aber twittert sogleich, ohne die Fox-Spekulationen zu überprüfen, selbst wenn es um Terrorismus geht.
Die Fox-Moderatoren wissen, dass Trump zuschaut, und wenden sich oft direkt an ihn. Besorgt Sie die Macht, die dieser TV-Sender hat?
Nein, das ist eine Sorge für Trumps Kommunikations-Team, nicht für mich. Für mich ist es eine Story.
Schreibt Trump seine Tweets selber?
Das kommt auf die Tageszeit an. Es ist ziemlich einfach herauszufinden, welche Tweets er selber getippt hat und welche von seinen Beratern kommen. Wenn er jemanden als Trottel bezeichnet, dann hat er selber geschrieben. Normalerweise überlegen sich Präsidenten, was für Botschaften sie verkünden. Bei Trump lässt sich kein solches Muster erkennen. Oft schiesst er seine Tweets aus der Hüfte, ohne Bezug zu dem, was die Regierung gerade für Schwerpunkte setzen will.
Hillary Clinton sagte im Wahlkampf, eine unkontrollierte Tweeterei könne schlimmstenfalls einen Krieg auslösen. Besteht dieses Risiko?
Trump hat schon mehrere diplomatische Zwischenfälle provoziert – etwa mit Nordkorea –, aber bislang keinen Krieg. Noch nie hat ein Präsident auf diese Weise kommuniziert. Die Folgen lassen sich darum sehr schwer einschätzen. Es gibt Stimmen, die sagen, dass Trumps Aggressionen gegenüber Nordkorea auch dazu geführt haben könnten, dass sich Nordkorea und Südkorea nun wieder annähern.
Ist sich Trump bewusst, was er mit seinen Tweets auslöst?
Oft habe ich den Eindruck, dass ihm die Konsequenzen schlicht egal sind.
Trump scheint sich alles erlauben zu können. Kein Skandal, nichts scheint ihm etwas anhaben zu können. Warum?
Ich bin nicht so sicher, ob das stimmt. Seine Umfragewerte sind tiefer als bei all seinen Vorgängern nach einem Amtsjahr. Trump hat etwa zwei Drittel der Amerikaner gegen sich. Natürlich kann sich das bis zu den nächsten Wahlen wieder ändern.
Lassen ihn diese Umfragewerte kalt?
Er tut zumindest so, als wären sie ihm egal. Jeder andere Präsident wäre längst in Panik bei so tiefen Zustimmungswerten, die hätten längst ihre PR-Berater entlassen oder ihre Politik geändert.
Trauen Sie Trump zu, für eine zweite Amtsperiode gewählt zu werden?
Es ist möglich. Aber ich habe im November 2016 gelernt, dass ich nie mehr Prognosen stellen sollte.
Haben die Russland-Affäre und die Untersuchungen von Sonderermittler Robert Mueller das Potenzial, Trump zum vorzeitigen Rücktritt zu zwingen?
Das Potenzial auf jeden Fall. Aber solange die Republikaner das Parlament kontrollieren, wird es kein Amtsenthebungsverfahren geben. Falls die Demokraten diesen Herbst bei den Zwischenwahlen die Mehrheit erobern, wird man sehen, was passiert.
Wie kommt Trump nach einem Jahr bei den Wirtschaftsführern an?
Vor ihnen will er sich in Davos als Erfolgsmensch präsentieren. Ich höre zweierlei: Viele Geschäftsleute finden ihn peinlich und sind nicht einverstanden mit seiner Anti-Globalisierungs-Politik. Doch gleichzeitig mögen sie seine Steuersenkungen und die Deregulierung.
Vor einem Jahr war die Geschäftswelt gegenüber Trump viel ablehnender.
Die Wirtschaft läuft rund, die Gewinne der Unternehmen steigen. Das hilft Trump. Doch die Wirtschaft hat dauernd Angst davor, dass er irgendwo eine Eskalation auslöst. Und wenn die Wirtschaft etwas nicht mag, ist es Unsicherheit und Unberechenbarkeit.
Immer wieder hört man, dass Trump gar nicht habe gewählt werden wollen. Glauben Sie das?
Diese These hat etwas für sich. Aber sicher bin ich mir nicht. Was klar ist: Trump war selber überrascht, dass er Präsident wurde. Er rechnete damit, dass Hillary Clinton siegen würde. Er hatte auch Pläne für den Fall, dass er verlieren würde – bis hin zur Gründung neuer Medienunternehmen.
Hat er Spass daran, Präsident zu sein?
Schwer zu sagen. Er hat sich den Job wohl einfacher vorgestellt, als er jetzt ist. Unzufrieden macht ihn, dass er nicht so viel Lob für seine Arbeit bekommt, wie er aus seiner Sicht verdienen würde. Aber er liebt es, wenn, wie in Davos, alle Augen auf ihn gerichtet sind.