Durch den Ukraine-Krieg sind viele andere Krisen aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Aber sie sind da. Und einige sind schlimmer denn je.
Eine der aktuell schlimmsten humanitären Katastrophen ist die Hungerkrise im Süden von Madagaskar: Rund 1,5 Millionen Menschen haben zu wenig Essen. Und besonders trifft es Kinder und ihre Mütter: Eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren ist gefährdet, schwer akut-mangelernährt zu sein, knapp 50 Prozent aller Kinder im Süden von Madagaskar haben dauerhaft zu wenig Essen.
Saskia Kobelt ist im Juni dieses Jahres nach Madagaskar gereist und wurde mit der Tragödie konfrontiert, die sich im Süden des Landes abspielt. Die Unicef-Mitarbeiterin berichtet im Interview von Einzelschicksalen und einer verlorenen Generation, die sie vor Ort angetroffen hat. Aber sie erzählt auch von schönen Momenten – und warum es ein Vorteil war, als Frau nach Ostafrika zu reisen.
Sie waren in Madagaskar und sind eben erst zurückgekommen. Was haben Sie dort gemacht?
Saskia Kobelt: Ich war im Süden des Landes, um mir ein eigenes Bild von der aktuellen Hungerkrise zu machen. Madagaskar ist so weit weg. Und bei uns herrscht noch das Bild vor, dass dort alles paradiesisch sei, dass es allen gut gehe. Wir sind uns nicht bewusst, dass 90 Prozent der Menschen im Süden von Madagaskar unter der Armutsgrenze leben. Jedes zweite Kind dort ist mangelernährt.
Warum trifft der Hunger gerade Madagaskar so hart?
Der Hauptgrund ist der menschengemachte Klimawandel: Die Jahreszeiten in Madagaskar haben sich komplett verschoben. Darum ist die Trockenzeit noch viel länger als gewohnt. Maniok- oder Maisernten fallen mittlerweile fast komplett weg. Die Menschen haben darum gar nichts mehr zu essen. Sie sterben. Die Körper der Menschen vor Ort sind eigentlich auf Mangel und Dürre angepasst. Doch sogar diese sehr resilienten und angepassten Menschen haben keine Strategien mehr, um mit den klimabedingten Veränderungen und dem begrenzten Nahrungsaufkommen umzugehen.
Wie zeigt sich diese veränderte Situation ganz konkret im Leben der Menschen?
Ich habe Kinder gesehen, die zwei Stunden zu einer angeblichen Süsswasser-Quelle am Meer laufen. Das ist nicht neu. Neu ist, dass, wenn die Kinder vor Ort ankommen, diese Quelle längst versickert und Salzwasser eingedrungen ist. Aber die Kinder trinken das Wasser trotzdem, weil sie sonst nichts anderes haben.
Ist die Situation nur im Süden Madagaskars so gravierend?
Nein. Das ist in Madagaskar sehr eindrücklich: Ich bin in Antananarivo gelandet, der Hauptstadt Madagaskars – und bereits dort sieht und spürt man die bittere Armut überall. Aber im Süden ist die Situation noch sichtbarer.
Wie hat sich das gezeigt?
Ein banales Beispiel: Um von der Hauptstadt in den Süden zu kommen, mussten wir das Flugzeug nehmen. Theoretisch gäbe es Strassen, aber die sind so schlecht instand gehalten, dass man sich gar nicht in vernünftiger Zeit bewegen kann. Der Grund dafür ist, dass im Süden fast gar nicht in Infrastruktur investiert wird – die Strassen sind noch aus der Kolonialzeit.
Wie bewegen sich die Menschen vor Ort denn, wenn die Strassen quasi unbrauchbar sind?
Sie bewegen sich vorwiegend zu Fuss und manchmal mit Velos.
Und wie haben Sie sich fortbewegt?
Wir hatten einen Jeep. Aber auch damit kamen wir nur sehr langsam vorwärts. Um zum Beispiel vom Flugplatz in das Gebiet zu fahren, in dem der Kern der Krise ist, haben wir sieben Stunden gebraucht – für eine Strecke von 108 Kilometern.
Das verlotterte Strassensystem ist also mitschuldig an der Krise?
Nun ja, es ist ein Symptom eines riesigen Problems: Die Menschen im Süden Madagaskars sind vergessen. Wenn man sich nur vorstellt, was ein funktionierendes Strassennetz ausmachen könnte! Was ein Weg für Möglichkeiten schaffen würde: Medizinische Hilfe käme schneller an, Kinder könnten in die Schule, es könnte Handel betrieben und Wasser transportiert werden. Jetzt kommt man nur sehr umständlich in den Süden des Landes und in die bewohnten Gebiete dort.
Als Sie dann nach sieben Stunden im Jeep im Zentrum der Krise ankamen, was haben Sie als erstes gemacht?
Als Allererstes musste ich beim Dorfältesten vorstellig werden. Das Treffen mit ihm fand um Punkt 15 Uhr statt. Und die Höflichkeit gebietet es, dass man keine Minute zu spät kommt. Dabei sind diese Höflichkeitsbesuche sehr elementar, denn erst, wenn man Zugang und das Vertrauen dieser Dorfvorsteher hat, kann man mit der Arbeit beginnen. Das gute Gelingen dieses Anstandsbesuchs war unglaublich wichtig für mich, denn ich wollte die Arbeit der Unicef-Expertinnen und -Experten, die dauerhaft in Madagaskar arbeiten, auf keine Art und Weise gefährden.
Erzählen Sie mehr von dieser Begegnung.
Es war eine sehr spannende Erfahrung. Ich hatte immer im Hinterkopf: Wie wirke ich auf ihn? Ich wollte nicht als Weisse daherkommen, die den Menschen in Madagaskar erklärt, wie sie zu leben haben. Sondern in meiner Funktion als Unicef-Mitarbeiterin professionell auftreten. Dabei war dem Ältesten eigentlich egal, wer ich als Person bin. Mein Besuch war dazu da, ihm zu beweisen, dass Unicef den Menschen vor Ort auf Augenhöhe begegnet.
Was für Experten sind eigentlich dauerhaft vor Ort?
Es sind viele Frauen, also Expertinnen, die in Unicef-Fieldoffices arbeiten. Sie sind alle hoch spezialisiert: Es gibt Expertinnen für Ernährung und andere, die sich nur mit dem Transport von Wasser auseinandersetzen. Aber ihre Hauptaufgabe ist es, das Vertrauen der Menschen vor Ort zu gewinnen, damit man mit ihnen zusammen und den Begebenheiten vor Ort an einer sicheren Zukunft arbeiten kann. Das Programm funktioniert nur, wenn man mit dem Wissen der lokalen Bevölkerung zusammenarbeitet – denn sie kennen ihr eigenes Land am besten.
Sie klingen gerade beeindruckt.
Diese Experten und Expertinnen haben mir sehr imponiert. Ich reiste nach Madagaskar im Wissen, dass ich wieder zurück in die Schweiz kann. Ich merke, wie das Hungerleid und das Elend mich beschäftigt, etwas mit mir macht. Aber die Experten und Expertinnen vor Ort sind der Krise und dem damit verbundenen Elend jeden Tag aufs Neue ausgesetzt. Der Dorfälteste hat erzählt, wie wichtig die Hilfe der Expertinnen und Experten für die Region sei.
Haben Sie zusammen mit den Experten und Expertinnen vor Ort Familien besucht in Madagaskar?
Ja. Mit dem Projekt unterstützt Unicef Mütter und ihre Kinder in 39 Gemeinden. Es geht darum, schwer akut-mangelernährten Kinder unter fünf Jahren vor dem Tod zu bewahren und ältere Kinder bis ins Erwachsenenalter zu begleiten und ihre Gesundheit zu fördern. Wir gehen darum in die Dörfer und schauen, was für Hilfe dazu notwendig ist und setzen diese dann um.
Wie leben die Menschen da?
Die Familien leben in Holzverschlägen von etwa zwei Quadratmetern. In einem Verschlag lebt dann beispielsweise eine Mutter mit ihren Kindern. Mehr haben sie nicht. Die Leute haben keinen Strom, das hat Auswirkungen auf den Lebensrhythmus: Momentan geht die Sonne um 6:15 auf und um 17:15 Uhr ist es so finster, dass man nichts mehr machen kann. In den Dörfern haben die Leute eine Kerze oder ein Solarlämpchen.
Pro Haushalt?
Nein, pro Dorf.
Aus wie vielen Behausungen besteht ein solches Dorf?
Das ist unterschiedlich. So 30 bis 50 Hütten, würde ich schätzen.
Wenn ich Sie vorher richtig verstanden habe, dann ist jedes zweite Kind in diesen Dörfern mangelernährt. Warum trifft es gerade Kinder so hart?
In der Entwicklung von Kindern ist jeder Tag, in dem sie zu wenig zu essen haben, gravierend. In Madagaskar gibt es Kinder, die sind 15 Jahre alt, stecken aber im Körper eines 7-Jährigen. Sie sind auch kognitiv nicht entwickelt, weil das Gehirn zu wenig Nährstoffe hat.
Was für Faktoren beeinflussen denn das Leben der Dorfbewohner direkt?
Es sind absolute Kleinigkeiten. Sobald es nur ein bisschen mehr von etwas hat, steigt die Lebensqualität exponentiell! Man muss sehen, die Menschen dort sind interessiert und haben den inneren, menschlichen Antrieb, sich weiterzuentwickeln, aber ihnen fehlen die Möglichkeiten.
Was bedeutet «exponentiell mehr Lebensqualität», wenn man vorher nichts hatte?
Wir waren in einem Dorf, da gab es richtige Hüttchen. Das Dorf ist im Besitz von zwei Ziegen und die Kinder hatten einen Fussball zum Spielen. Der Grund dafür war, dass der Wind etwas anders weht und das Saatgut darum weniger verstreut wird. Zudem hatten die Bewohner das Glück, dass niemand im Dorf richtig krank war. Darum ist Hilfe so wichtig. Nur ganz wenig kann für ein ganzes Dorf – eine ganze Generation – ein besseres Leben bedeuten.
Was macht Unicef in diesen Dörfern?
Wenn wir in ein Dorf gehen, dann hören wir den Menschen zu. Sie erzählen uns, was sie brauchen. Es sind Krankenschwestern und eine Ernährungsspezialistin dabei. Die Kinder werden von ihnen kontrolliert.
Erzählen Sie mehr.
Zuerst werden die Kinder einfach nur angeschaut: Haben sie aufgequollene Bäuche, haben sie rote Haare? Das sind beides Zeichen von Nährstoffmangel. Mit einem speziellen Armband wird gemessen, wie stark Kinder unterernährt sind. Und dann werden die Kinder gewogen. Danach werden die Mütter informiert, wie ihnen geholfen wird und wann und wo in ihrer Nähe therapeutische Spezialnahrung verteilt wird.
Therapeutische Spezialnahrung? Was ist das?
Eigentlich ist es eine angereicherte Erdnusspaste. Die Erdnusspaste bekommen Kinder, die nicht im Sterben liegen, sondern schwer mangelernährt sind. Kinder brauchen nicht nur genug zu essen, sondern auch das richtige Essen: die richtigen Mikronährstoffe und Vitamine und Öle. Sonst kann sich ihr Körper und ihr Gehirn nicht entwickeln. Die Spezialnahrung führt ihnen das zu. Die Kinder bekommen die Spezialnahrung dann so lange, bis sie ein Minimumgewicht erreicht haben.
Besteht nicht die Gefahr, dass Kinder sofort wieder in eine Mangelernährung fallen, sobald sie die Paste nicht mehr bekommen?
Die Kinder werden permanent kontrolliert. Eine enge Betreuung wird etwa sechs Wochen aufrechterhalten. In dieser Zeit kriegt man ein kleines Kind aufgepäppelt. Aber es muss auch danach medizinisch betreut und begleitet werden.
Wie wird diese Kontrolle garantiert?
Die Mütter werden eingeladen, zu improvisierten Gesundheitszentren zu kommen, die in der Nähe der Dörfer aufgebaut werden. Dazu werden ein paar Tische unter einem Baum aufgestellt: ein Tisch mit Impfungen, einer mit Entwurmungstabletten und einer mit therapeutischer Spezialnahrung. Am Morgen trudeln dann die Mütter aus mehreren Dörfern ein – im Wissen, dass man sich dort um ihre Kinder kümmert.
Das tönt jetzt aber eher nach Hilfe von aussen, nicht nach Hilfe für Selbsthilfe.
Das Verteilen dieser Spezialnahrung ist akute Nothilfe. Das Ziel des Projekts ist es, dass man zusammen mit den Menschen einen Umgang mit den Folgen des Klimawandels und den Unterinvestitionen findet. Die Menschen haben sich nicht ausgesucht, dort zu leben. Das Mindeste, was man tun kann, ist, ihnen Instrumente zur Verfügung zu stellen, sodass ihr Alltag möglich wird.
Trotzdem: In der aktuellen Situation, die Sie vor Ort angetroffen haben, geht es nicht darum, Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, sondern es geht darum, dass sie nicht verhungern. Wie haben Sie es geschafft, daran nicht zu zerbrechen?
Man muss lernen, einen gewissen Pragmatismus an den Tag zu legen. Wenn ich in Madagaskar bin, dann funktioniere ich in meiner Rolle als Unicef-Mitarbeiterin. Natürlich geht mir die Situation an die Substanz. Aber: Hier geht es um mehr als um mich, es geht um die Grundsätze der Menschlichkeit.
Aber verzweifelt man nicht, wenn man diesen gigantischen Weg sieht, der noch vor den Menschen liegt, bis sie ein würdiges Leben haben können?
Ich gehe mit einem offenen Herzen und einem riesigen Respekt für die Frauen dort nach Madagaskar. Ich habe die Mütter von akut mangelernährten Kindern gesehen, mit ihnen gelacht – diese Frauen könnten meine Schwestern sein. Diese Frauen sind so stark, sie tun alles, damit ihre Kinder überleben. Sie treiben mich an, weiterzumachen.
Also war es nur schon darum ein Vorteil, als Frau nach Madagaskar zu reisen, um schneller Vertrauen bei den Müttern der hungernden Kinder herzustellen?
Ja, ich habe das als Vorteil wahrgenommen. In Madagaskar herrschen patriarchale Strukturen. Aber für Ernährung zu sorgen, ist Frauensache. Für mich als Frau war es einfach, mit den Müttern der Kinder in Kontakt zu treten.
Habt ihr überhaupt Kontakt zu den Männern?
Nein. Theoretisch sind sie eingeladen, zu kommen. Denn auch Erwachsene können sich an den improvisierten Gesundheitszentren untersuchen lassen vom Arzt. Aber es sind immer die Frauen, die kommen. Ich habe es erlebt, dass 12-jährige Mädchen ihre Geschwister zu Gesundheitszentren trugen, weil die Mutter zu schwach war, um zu kommen. Die Väter kamen nicht.
Wenn es für die Kinder und Mütter ums nackte Überleben geht, warum bekommen die Frauen überhaupt noch Kinder?
In der patriarchalen Gesellschaft in Madagaskar ist Verhütung verpönt. In Madagaskar hat eine Frau durchschnittlich 4,1 Kinder. Einige Mütter haben geboren und werden sofort wieder schwanger. Sie sind Gebärmaschinen, ihre Körper sind ausgezehrt. Das sind Millionen von Einzelschicksalen.
Wenn die Frauen ihnen vertrauen und ihre Geschichte erzählen, ist das immer die gleiche Geschichte oder ist jede Geschichte individuell?
Jede Geschichte ist individuell. Alle Kinder haben Hunger, aber hinter jedem Kind steht ein individuelles Schicksal.
Gibt es ein Einzelschicksal, dass Sie besonders berührt hat?
Es gibt einen Moment, den ich selbst noch nicht richtig einordnen kann: Eine winzig kleine Mutter kam zu einem der improvisierten Gesundheitszentren. Sie war völlig unterentwickelt, weil sie in ihrer Kindheit zu wenig Essen hatte. In ihrem Arm trug sie ihr Baby. Es hatte einen aufgequollenen Bauch und war völlig lethargisch. Plötzlich ist der Frau das Kind auf den Boden gerutscht, während sie auf dem Boden sass. Es landete mit dem Gesicht im Sand. Bei uns hätte dieses Kind geschrien und sich bemerkbar gemacht. Aber dieses Kind lag einfach da. Es hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren.
Werden in 50 Jahren noch Menschen im Süden von Madagaskar leben?
Ich denke schon. Das ist das Zuhause von tausenden von Menschen. Und diese Menschen werden weiterhin versuchen, dort zu überleben. Sie werden anders leben als heute, eventuell wird es weniger Menschen geben – aber wohin sollen sie denn gehen? Es sind von aussen verursachte Störungen, die dazu geführt haben, dass die Menschen in Madagaskar von null starten müssen: Corona, Konflikte und Klimaerwärmung. Das tönt jetzt platonisch, aber was die Menschen in Madagaskar vor allem brauchen, ist weltweiter Friede, denn jeder Konflikt führt Länder, die bereits in Not sind, noch weiter vor den Abgrund.
Und wieso trifft es die Menschen in Madagaskar besonders stark?
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie fragil die weltweiten Abhängigkeiten sind. Gleichzeitig gibt es so viele Krisen auf der Welt wie nie zuvor – auch vergessene Krisen. Zusammen mit der Klimaerwärmung löst dies eine Kettenreaktion aus: Die Menschen in Madagaskar bekommen keinen Reis, weil der Reis in andere Länder geht oder weil der Reis global so viel teurer geworden ist. Die Menschen in Madagaskar sind das letzte Glied in dieser Kette.
Sie sprechen ganz ruhig und gleichzeitig sehr eindringlich. Was treibt Sie an, sich für völlig fremde Kinder einzusetzen, die so weit weg leben?
Bevor ich zu Unicef gekommen bin, habe ich auf der Schweizer Botschaft auf den Philippinen gearbeitet. Dort musste ich im Rahmen von Menschenrechtsbeobachtungen Gefängnisbesuche machen. Und in den Gefängnissen habe ich kleine Kinder gesehen. Ab diesem Moment war für mich klar: Ich muss mich für Kinder und ihre Rechte engagieren.
Ich will meine Zeit in etwas investieren, das mir am Herzen liegt. Meinem Privileg, hier in der Schweiz geboren zu sein, bin ich mir sehr bewusst.
Sie sind jetzt zurück. Haben Sie das Gefühl, dass im Süden von Madagaskar irgendwann der Schritt von der akuten Nothilfe zu anderen Schwerpunkten gemacht werden kann?
Ich wünschte, es wäre so. Aber wenn ich realistisch bin, muss ich sagen: Wir sind am Anfang der Klimakrise. Konflikte nehmen zu. Hunger ist schon lange ein Thema – wir alle kennen die Bilder von hungernden Kindern. Aber wir alle sind abgestumpft gegenüber diesen Bildern.
Was sind die Folgen unserer Abgestumpftheit für die von Hunger betroffenen Menschen?
Wir bei Unicef bemühen uns sehr, auf die Krise in Madagaskar aufmerksam zu machen. Doch nur knapp 30 Prozent der finanziellen Mittel für die Hunger-Nothilfe im Land konnte bis jetzt aufgebracht werden. Und so geht es nicht nur in Madagaskar. Wir müssten uns alle einfach immer wieder fragen: Worin wollen wir investieren – als Einzelperson, als Firma, als Regierung? Zurzeit haben wir eine ganze Generation von Menschen mit einem Potenzial für gesellschaftliches und wirtschaftliches Wachstum, das wir einfach nicht fördern und beachten.
Gibt es noch etwas, das Sie zum Schluss sagen wollen?
Ich möchte, dass wir uns alle bewusst werden, dass wir bezüglich der Ernährungskrise nur die Spitze vom Eisberg sehen. Es gibt zahlreiche vergessene Krisen, die keine Aufmerksamkeit erhalten. Gleichzeitig gäbe es genügend Essen für alle auf der Welt und Hunger wäre mit einfachen Mitteln bekämpfbar. Ich finde, wir alle müssen uns die Frage stellen, auf was wir als Gesellschaft unseren Fokus legen, ob wir dieses Leid weiter so hinnehmen möchten oder nicht. Wir haben nämlich die Wahl.