Herr Joseph, vor einigen Wochen haben die USA einen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen geführt; Präsident Trump sprach hinterher von einem grossen Erfolg. Was wurde durch die Bombardierungen tatsächlich erreicht?
Robert Joseph: Ich war von dem Einsatz sehr beeindruckt. Irans Bemühungen um Atomwaffen dürften um ein oder zwei Jahre zurückgeworfen worden sein. Die Militäroperation war notwendig, aber sie löst das Problem nicht. Die Mullahs machen weiter mit ihrem Atomprogramm und unterstützen auch weiterhin Terrororganisationen wie die Hisbollah oder die Huthi-Miliz. Die entscheidende Frage ist nun, wie wir die gewonnene Zeit nutzen. Wenn wir jetzt nicht das iranische Volk dabei unterstützen, das Regime loszuwerden, sind wir gescheitert.
Wie nahe war Iran daran, über Atomwaffen zu verfügen?
Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Geheimdienste und Thinktanks sind sich darüber nicht einig. Ich denke, Iran ist recht weit gekommen. Ein Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA vom November 2011 wurde ja relativ wenig beachtet. Aus ihm ging hervor, dass Iran an Atomwaffen arbeitete, und wenn ein Land wie Nordkorea Atomwaffen entwickeln kann, kann Iran es erst recht.
Das iranische Regime könnte sich durch den Militärschlag in seinem Streben nach Atomwaffen bestätigt fühlen. Nur wer sie hat, ist einigermassen sicher.
Darin könnte in der Tat eine ironische Konsequenz des Angriffs liegen. Dass die Mullahs nicht von ihrem Tun ablassen, sondern sagen: jetzt erst recht. Auch eine Intervention ausländischer Mächte im Fall eines Volksaufstands würde weniger wahrscheinlich, wenn das Regime nuklear bewaffnet wäre. Gerade deshalb glaube ich aber, dass die Militäroperation zum jetzigen Zeitpunkt richtig war.
Was erhoffen Sie sich für Iran?
Hoffnung ist keine gute Basis für eine Strategie. Trotzdem bin ich optimistisch und erwarte, dass diejenigen Iraner, die diese religiöse Diktatur loswerden wollen, sich am Ende durchsetzen. Wir müssen wegkommen von der falschen Dichotomie, wonach es nur eine Wahl zwischen Krieg und Verhandlungen gebe. Mit diesem Argument wollte Barack Obama seine Iran-Politik in den USA verkaufen. Aber es gibt einen dritten Weg, und der besteht im Regimewechsel.
Manche befürchten, ein Fall des Regimes könnte im Chaos enden.
Das glaube ich nicht. Iran ist nicht Irak oder Libyen. Wir müssen dort keine Nation aufbauen, die iranische Nation ist 5000 Jahre alt. Iran wird kein «failed state» werden. Schauen Sie sich die Iraner an: Es gibt dort sehr viele hervorragend ausgebildete Leute. Und es gibt eine organisierte Opposition, die einen Weg hin zu einem säkularen, demokratischen Staat ohne Atomwaffen beschreiten könnte.
Der einst so exklusive Club der Atommächte ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer weiter gewachsen; heute gehen wir von neun Staaten aus, die nuklear bewaffnet sind. Könnten noch weitere hinzukommen?
Das ist möglich. Wenn Iran die Bombe hat, werden die Saudis sie auch haben wollen. Auch aus Ägypten und der Türkei gibt es Äusserungen, die auf derartige Gedankenspiele hindeuten. Ein nuklear bewaffneter Iran würde mit Sicherheit einen Rüstungswettlauf in der Region auslösen. Das sollten wir unbedingt verhindern.
Als Chefunterhändler der USA haben Sie 2003 entscheidend daran mitgewirkt, Libyen zu einem Verzicht auf Atomwaffen zu bewegen. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Erfahrung?
Wir führten Geheimverhandlungen, die nicht zuletzt deshalb erfolgreich endeten, weil die USA im Irak einmarschiert waren. Wenn Sie sich anschauen, wann Libyen welches Statement abgegeben und welchen Entscheid getroffen hat, sehen Sie, dass Libyens damaliger Machthaber Ghadhafi etwas Ähnliches fürchtete. Wir müssen ernst genommen werden, wenn wir die weitere Verbreitung von Kernwaffen verhindern wollen. Und wir müssen akzeptieren, dass Verhandlungen manchmal nicht ausreichen. Mit Iran verhandelt der Westen seit zwanzig Jahren, ohne dass dies zu einem Ende des iranischen Atomprogramms geführt hätte. Wir müssen in der Lage sein, alle Instrumente einzusetzen: Diplomatie, wirtschaftliche und politische Sanktionen, Spionage, aber auch militärische Mittel.
Wäre eine Welt ohne Kernwaffen wünschenswert?
Ich denke nicht, denn ich glaube, dass Atomwaffen einen dritten Weltkrieg verhindert haben. Könnten das Lamm und der Löwe zusammenliegen, ohne dass der Löwe das Lamm bedrohen würde, wäre eine Welt ohne Atomwaffen wünschenswert. Aber in einer Welt mit Ländern wie Russland und China brauchen wir sie.
Lässt sich überhaupt verhindern, dass Atomwaffen irgendwann einmal eingesetzt werden? Es wäre ja nicht das erste Mal.
Wir müssen alles tun, um das zu verhindern, und manchmal heisst das, hart zu sein. Appeasement war im Europa der 1930er-Jahre populär, und was folgte, war ein grosser Krieg. Nach dem Münchner Abkommen von 1938, in dem Frankreich und Grossbritannien die Annexion des Sudetenlands akzeptiert hatten, soll Hitler seine Generäle zusammengerufen haben, denen eine mögliche Invasion Polens Sorgen bereitete. Er soll ihnen gesagt haben: Ich habe sie gesehen, und sie sind nichts als kleine Würmer.
Wo ist die Gefahr eines Atomkriegs derzeit am grössten? Zwischen Indien und Pakistan?
Südasien ist in dieser Hinsicht sicher die gefährlichste Weltregion. Im Fall einer indischen Invasion ist Pakistan äusserst reizbar, und beide Länder verfügen über beachtliche nukleare Arsenale.
Sie haben sich auch mit der Frage beschäftigt, wie nuklearer Terrorismus verhindert werden kann. Wie gross ist die Gefahr, dass Atomwaffen in die Hände nicht staatlicher Akteure geraten?
Das ist durchaus realistisch. Nordkorea produziert so viel und so schnell, wie es nur kann. Ich glaube nicht, dass dieses Regime irgendwelche Hemmungen hat, Atomwaffen an andere Schurkenstaaten oder an Terrororganisationen zu verkaufen.
War es ein Fehler, dass die Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion auf ihre Atomwaffen verzichtet hat?
Das ist eine sehr gute Frage. Viele Ukrainer würden sie wohl mit Ja beantworten.
Und was sagen Sie?
Ich war seit den 1980er-Jahren an Verhandlungen über nukleare Abrüstung beteiligt. Den Russen habe ich nie vertraut. Das Budapester Memorandum von 1994, in dem sich die Ukraine zur Abgabe ihrer Atomwaffen verpflichtete und dafür im Gegenzug von den USA, Grossbritannien und Russland eine Sicherheitsgarantie erhielt, enthielt keinerlei wirksame Durchsetzungs- und Kontrollinstrumente.
Den russischen Präsidenten Wladimir Putin haben Sie mehrfach getroffen. Wie haben Sie ihn erlebt?
Im Oktober 2001, nach den Anschlägen vom 11. September, reisten der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und ich nach Moskau, um über Afghanistan zu reden. Ich war als Vertreter des Weissen Hauses mit dabei. Bei einem zweistündigen Treffen mit Rumsfeld und mir sprach Putin eine Stunde und 55 Minuten. Er redete über die Fehler, die die Sowjetunion bei ihrem Einmarsch in Afghanistan gemacht habe. Er schien damals noch darüber nachzudenken, ob Russland und der Westen kooperieren könnten. Nach dem Treffen fragte mich meine Chefin Condoleezza Rice am Telefon, was ich über Putin denke. Ich sagte: Er denkt in Kategorien der Macht, nicht der Ideologie. Das ist noch immer so, doch sieht er die Weltpolitik heute als Nullsummenspiel: Wenn die anderen gewinnen, verliert er, und wenn sie verlieren, gewinnt er.
Wie könnte der Ukraine-Krieg enden? Indem die Ukraine bis zu einer späteren Klärung auf Territorien verzichtet?
Dann hätten wir einen eingefrorenen Konflikt. Putin scheint von solchen Konflikten zu profitieren, das sehen wir im Kaukasus. Ich fürchte aber, das ist tatsächlich der wahrscheinlichste Ausgang. (aargauerzeitung.ch)
Neues eröffnet dieses Interview nicht, auch nicht zur Person Putin.