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Die iranische Sittenpolizei wurde aufgelöst

An Iranian girl holds up her country's flag during a street celebration after Iran's national soccer team defeated Wales in Qatar's World Cup, at Sadeghieh Sq. in Tehran, Iran, Friday,  ...
Die Auflösung der Sittenpolizei wäre ein Schritt hin zur Aufhebung des Kopftuchgebots. Bild: Iranisches Mädchen jubelt nach dem WM-Sieg des Iran gegen Wales.Bild: keystone

Sittenpolizei im Iran laut Medien aufgelöst – das Wichtigste in 5 Punkten

04.12.2022, 12:4804.12.2022, 21:30
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Medien berichten von Auflösung der Sittenpolizei

Nach anhaltenden Demonstrationen ist im Iran die Sittenpolizei aufgelöst worden, die für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig war. Das berichteten iranische Medien am Sonntag in Berufung auf den Generalstaatsanwalt des Landes. Der Tod einer jungen Frau nach einer Festnahme durch die Sittenpolizei war Auslöser der blutigen Massenproteste gegen die politische Führung, die seit mehr als zwei Monaten im Iran andauern.

FILE - In this photo taken by an individual not employed by the Associated Press and obtained by the AP outside Iran, Iranians protests the death of 22-year-old Mahsa Amini after she was detained by t ...
Eine Frau bei den Protesten im Iran. Bild: keystone

«Die Sittenpolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen», zitierte die Tageszeitung «Shargh» den Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri am Sonntag. Weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung der Sittenpolizei gab es nicht.

Krisengipfel der Regierung

Präsident Ebrahim Raisi traf sich Medienberichten zufolge am Sonntag zudem mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel. Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur Isna.

Worüber genau auf dem Krisengipfel am Sonntag gesprochen werden sollte, war zunächst nicht bekannt. Im Vorfeld gab es Spekulationen, es könnte um Forderungen der Demonstranten gehen. Zu diesen gehören unter anderem die Revision der iranischen Verfassung und die Aufhebung des Kopftuchzwangs, aber auch Neuwahlen oder ein Referendum zum Aufbau des politischen Systems des Landes. Beobachter allerdings hatten keine grossen Erwartungen an das Treffen.

Am Samstagabend hatte sich Raisi nach Angaben des Präsidialamts bereits mit Parlamentspräsident Mohammed-Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi beraten. Raisi betont immer wieder, dass der Iran zwar gegenüber Kritik tolerant sei, nicht aber gegenüber vom Ausland gesteuerten und von deren Söldnern ausgeführten Ausschreitungen, wie er die Proteste beschreibt. Ausserdem behauptet der Kleriker, dass die iranische Verfassung zu den fortgeschrittensten der Welt zähle und keine Veranlassung bestehe, diese zu verändern.

Kritiker nach wie vor skeptisch

Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten auf die Ankündigung. Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern die Aufhebung des Kopftuchzwangs, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. «Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können», forderte er. Und dies sei «nur der erste Schritt». Beobachtern zufolge würde die Auflösung der Sittenpolizei zwar kein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeuten, aber einen wichtigen Teilerfolg der Frauenbewegung im Iran darstellen.

Bekannte Aktivistin traut Berichten nicht

Masih Alinejad, eine bekannte iranische Journalistin und Aktivistin, traut den Berichten derweil nicht. «Das sind Falschinformationen», schreibt sie auf Twitter. Dennoch sieht sie Positives an den kursierenden Meldungen. «Es zeigt, dass das Regime Angst hat.» Alinejad stammt aus dem Iran, lebt aber mittlerweile in den USA. Dort veröffentlicht sie seit 2014 Videos von iranischen Frauen, die ihr Kopftuch abnehmen.

Die Hintergründe

Seit dem Ausbruch der Proteste werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Grossstädten, zunehmend ignoriert. Laut islamischen Gesetzen müssen Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen. Dieses Gesetz ist seit über 40 Jahren Teil der gesellschaftspolitischen Doktrin des islamischen Systems, um, wie es heisst, «Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten».

Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Demonstranten getötet. Auch 60 Sicherheitskräfte sollen demnach ums Leben gekommen sein. Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von insgesamt 200, ein Kommandeur der Revolutionsgarden von 300 Toten. Ausserdem wurden in den vergangenen mehr als zwei Monaten Tausende verhaftet, unter ihnen Studenten, Journalisten, Sportler sowie Künstler. Einige Demonstranten wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. Ab Montag sind landesweit weitere Proteste – und laut Oppositionskreisen auch Streiks – geplant. (sda/dpa)

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53 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lordkanzler-von-Kensington
04.12.2022 10:37registriert September 2020
Wenn dem so ist, wäre es quasi ein Etappensieg für die Demonstrierenden. Es würde zeigen, dass das Regime auf den Druck reagiert/reagieren muss.
Allerdings bin ich verhalten skeptisch, was es in der Realität wirklich heißt oder verändert. Die diskriminierenden Bekleidungsvorschriften für Frauen gehören abgeschafft !!!
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honesty_is_the_key
04.12.2022 10:29registriert Juli 2017
Wenn das wirklich war ist, wäre das ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Ich wünsche mir das sehr für die Menschen im Iran.
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Oberland-Autobahn
04.12.2022 10:32registriert Juli 2021
Da wäre ich mal vorsichtig optimistisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine Behörde einfach ein Rebranding verpasst. Aber dass man der Bevölkerung überhaupt ein öffentliches Zugeständnis macht, wie ehrlich es auch immer ist, halte ich schon für einen wichtigen Schritt.
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