Die grössten Verbrechen gegen die islamische Staatsordnung heissen: «Krieg gegen Gott» (Moharebeh) und «Korruption auf Erden» (Mofsed-e-filarz). Ersteres bezieht sich auf Ungehorsamkeit gegenüber der Obrigkeit, zivile Unruhen, Verbrechen gegen die Heimat, Verbreitung von Gerüchte oder Verleumdung. Zweiteres ist die Bezeichnung für grobe Verstössen gegen die sittliche Ordnung. Bei einer Anklage der beiden Verbrechen droht im Iran die Todesstrafe.
Hängen ist nach der Steinigung die häufigste Hinrichtungsform im Gottesstaat. Als Galgen dienen oft auf Lastwagen montierte Kräne. Obwohl das Gesetz, die Scharia, vorschreibt, dass Hinrichtungen öffentlich stattfinden müssen, werden sie öffentlich vermieden, um internationale Aufschreie zu umgehen.
Dies hat sich mit den landesweiten Protesten nun geändert.
Der 23-jährige Majidreza Rahnavard ist am 12. Dezember 2022 als direkte Folge der Proteste vor aller Augen erhängt wurde. Rahnavard ist der erste Iraner, der öffentlich hingerichtet wurde. Der junge Mann ist nach nur einer Gerichtsanhörung wegen «Krieg gegen Gott» zum Tode verurteilt worden. Die Regierung beschuldigte ihn, zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz ermordet zu haben, und veröffentlichte ein Video, in dem Rahnavard ein Geständnis ablegt.
Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass er unter Folter zu einer Aussage gezwungen wurde, und verurteilen das Verfahren, das «in keinster Weise den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprach».
Die Behörden machen damit auf grausame Weise ihre öffentlichen Drohungen wahr, Prozesse zur Verhängung von Todesurteilen zu beschleunigen und die Hinrichtungen zügig zu vollziehen, schreibt Amnesty International. Weiter schreibt die Menschenrechtsorganisation, dass die Regierung das Ziel verfolge, die Bevölkerung dadurch einzuschüchtern, um die Unruhen im Land zu beenden.
Mindestens 43 Personen sitzen CNN zufolge im Zusammenhang mit den Protesten derzeit im Todestrakt. Kurz vor einem Todesurteil steht unter anderem der Ex-Profifussballer Amir Nasr-Azadani. Der ehemalige Verteidiger des iranischen Fussballclubs Tractor ist im November 2022 während eines Protestes festgenommen worden. Ihm wird «Krieg gegen Gott» vorgeworfen.
Um den prominenten Fall vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, ist die Familie des 26-Jährigen laut IranWire massiv bedroht worden. Doch seine Verhaftung blieb nicht unbemerkt. Die Mullahs konnte die Familie nicht zum Schweigen bringen. Der Fall gelang an die Öffentlichkeit.
Die Fédération Internationale des Associations de Footballeurs Professionnels, die weltweit tätige Gewerkschaft von Profifussballern, solidarisierte sich mit dem Fussballer und forderte die «sofortige Aufhebung» des Todesurteils.
FIFPRO is shocked and sickened by reports that professional footballer Amir Nasr-Azadani faces execution in Iran after campaigning for women’s rights and basic freedom in his country.
— FIFPRO (@FIFPRO) December 12, 2022
We stand in solidarity with Amir and call for the immediate removal of his punishment. pic.twitter.com/vPuylCS2ph
Daraufhin ist eine Petition eingerichtet worden, um seine Hinrichtung zu verhindern. Bislang haben mehr als 1,6 Millionen Menschen die Petition unterzeichnet. Ob die internationale Berichterstattung Nasr-Azadani zugutekommt, bleibt abzuwarten. Sein Urteil steht noch aus.
Regimekritiker befürchten jedoch, dass eine Welle von Hinrichtungen durchs Land ziehen wird, wenn im Westen Weihnachten gefeiert wird. Wie CNN berichtet, sind an öffentlichen Plätzen Hinrichtungsplattformen installiert worden.
Die Todesurteile werden im Iran auch von religiösen Kreisen verurteilt. «Selbst der grösste Teil der traditionellen, religiösen Bevölkerung des Landes ist entsetzt über die brutale Gewalt im Namen des Islam», sagt Fatemeh Shams, Literaturwissenschaftlerin für Persische Literatur an der University of Pennsylvania, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Trotz der Einschüchterung habe die Intensität der Proteste nicht nachgelassen, sagt David Barnea, stellvertretender Direktor des Auslandsgeheimdienstes Mossad. In einer Rede betont er, dass die Proteste das Regime herausgefordert und die Demonstranten ihre Angst verloren hätten.
«Ich denke, dass wir dieses Mal auch einen Generationswechsel erleben, der Schulkinder und Schülerinnen in den Vordergrund der Proteste gebracht hat – und das ist ein völliges Novum. Diese Kinder haben nichts zu verlieren. Alles, was sie wollen, ist ein normales Leben, und sie sind bereit, ihr Leben dafür zu opfern», sagt Fatemeh Shams.