International
Iran

Regimekritiker im Iran fürchten sich vor einer Welle von Hinrichtungen

Welle von Hinrichtungen befürchtet – Irans Regimekritiker warnen vor Weihnachten

Irans Regimekritiker befürchten eine Welle von Hinrichtungen an Weihnachten. Während der Westen feiert, könnten die Mullahs ihr hartes Regime vollziehen. Die Angst ist nicht unbegründet – auch, weil offenbar schon Vorkehrungen getroffen wurden.
24.12.2022, 16:57
Mehr «International»

Die grössten Verbrechen gegen die islamische Staatsordnung heissen: «Krieg gegen Gott» (Moharebeh) und «Korruption auf Erden» (Mofsed-e-filarz). Ersteres bezieht sich auf Ungehorsamkeit gegenüber der Obrigkeit, zivile Unruhen, Verbrechen gegen die Heimat, Verbreitung von Gerüchte oder Verleumdung. Zweiteres ist die Bezeichnung für grobe Verstössen gegen die sittliche Ordnung. Bei einer Anklage der beiden Verbrechen droht im Iran die Todesstrafe.

Hängen ist nach der Steinigung die häufigste Hinrichtungsform im Gottesstaat. Als Galgen dienen oft auf Lastwagen montierte Kräne. Obwohl das Gesetz, die Scharia, vorschreibt, dass Hinrichtungen öffentlich stattfinden müssen, werden sie öffentlich vermieden, um internationale Aufschreie zu umgehen.

Dies hat sich mit den landesweiten Protesten nun geändert.

epa10370520 People take part in a demonstration against Iran's regime staged by the Iranian community, in Turin, Italy, 17 December 2022, following Iran's sentencing to death and public exec ...
Menschen protestieren gegen die Hinrichtungen im Iran, Turin, Italien, 17. Dezember 2022.Bild: keystone

Der 23-jährige Majidreza Rahnavard ist am 12. Dezember 2022 als direkte Folge der Proteste vor aller Augen erhängt wurde. Rahnavard ist der erste Iraner, der öffentlich hingerichtet wurde. Der junge Mann ist nach nur einer Gerichtsanhörung wegen «Krieg gegen Gott» zum Tode verurteilt worden. Die Regierung beschuldigte ihn, zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz ermordet zu haben, und veröffentlichte ein Video, in dem Rahnavard ein Geständnis ablegt.

Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass er unter Folter zu einer Aussage gezwungen wurde, und verurteilen das Verfahren, das «in keinster Weise den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprach».

Oberstes Gericht bestätigt weiteres Todesurteil, hebt eines auf
Im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten im Iran ist ein Todesurteil gegen einen Demonstranten bestätigt worden. Nach Angaben der iranischen Justizbehörde hat das Oberste Gericht ein im vergangenen Monat gefälltes Todesurteil gegen einen 32-Jährigen am Samstag bestätigt. Dieser soll im November sechs Polizeikräfte überfahren haben. Dabei sei ein Polizist ums Leben gekommen, fünf seien verletzt worden, teilte die Behörde auf ihrer Webseite mit.
Gleichzeitig wurde das Todesurteil gegen einen iranisch-kurdischen Rapper vom Obersten Gericht revidiert. Saman J. war Angaben von UN-Berichterstattern zufolge Ende Oktober zum Tode verurteilt worden, weil er in Liedern die Regierung kritisiert hatte. Das Urteil wurde einem Bericht auf der Webseite zufolge am Samstag aufgehoben. Nun soll der Rapper erneut vor Gericht gestellt werden.
Bislang wurden im Iran zwei Demonstranten wegen ihrer Beteiligung an den seit mehr als drei Monaten anhaltenden Protesten hingerichtet, darunter der Rap-Musiker Mohsen S. Beide wurden wegen «Kriegsführung gegen Gott» angeklagt. Gemäss islamischer Rechtsauffassung steht auf diese Anklage das Todesurteil. Laut iranischen Presseberichten stehen über 20 weitere Demonstranten auf der Todesliste der Justiz.
Im Zuge der Proteste sind laut iranischen Aktivisten und Menschenrechtsgruppen im Ausland über 500 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Demonstranten, aber auch Sicherheitskräfte. Mehr als 18 500 Demonstranten sollen demnach verhaftet worden sein. Der Iran hat diese Angaben nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Das brutale Vorgehen Teherans gegen die Demonstranten und insbesondere die beiden Hinrichtungen wurden im In- und Ausland verurteilt. (sda/dpa)

Hinrichtungen zur Einschüchterung

Die Behörden machen damit auf grausame Weise ihre öffentlichen Drohungen wahr, Prozesse zur Verhängung von Todesurteilen zu beschleunigen und die Hinrichtungen zügig zu vollziehen, schreibt Amnesty International. Weiter schreibt die Menschenrechtsorganisation, dass die Regierung das Ziel verfolge, die Bevölkerung dadurch einzuschüchtern, um die Unruhen im Land zu beenden.

epa10368672 Demonstrators from the Iranian Portuguese community protests in front of the Parliament building following Iran's sentencing to death and public execution of two young demonstrators,  ...
Lissabon, Portugal, am 16. Dezember 2022. Weltweit finden Proteste gegen die Hinrichtungen statt.
Bild: keystone

Mindestens 43 Personen sitzen CNN zufolge im Zusammenhang mit den Protesten derzeit im Todestrakt. Kurz vor einem Todesurteil steht unter anderem der Ex-Profifussballer Amir Nasr-Azadani. Der ehemalige Verteidiger des iranischen Fussballclubs Tractor ist im November 2022 während eines Protestes festgenommen worden. Ihm wird «Krieg gegen Gott» vorgeworfen.

Um den prominenten Fall vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, ist die Familie des 26-Jährigen laut IranWire massiv bedroht worden. Doch seine Verhaftung blieb nicht unbemerkt. Die Mullahs konnte die Familie nicht zum Schweigen bringen. Der Fall gelang an die Öffentlichkeit.

Die Fédération Internationale des Associations de Footballeurs Professionnels, die weltweit tätige Gewerkschaft von Profifussballern, solidarisierte sich mit dem Fussballer und forderte die «sofortige Aufhebung» des Todesurteils.

Daraufhin ist eine Petition eingerichtet worden, um seine Hinrichtung zu verhindern. Bislang haben mehr als 1,6 Millionen Menschen die Petition unterzeichnet. Ob die internationale Berichterstattung Nasr-Azadani zugutekommt, bleibt abzuwarten. Sein Urteil steht noch aus.

Hinrichtungsplattformen sind errichtet worden

Regimekritiker befürchten jedoch, dass eine Welle von Hinrichtungen durchs Land ziehen wird, wenn im Westen Weihnachten gefeiert wird. Wie CNN berichtet, sind an öffentlichen Plätzen Hinrichtungsplattformen installiert worden.

«Alles, was sie wollen, ist ein normales Leben, und sie sind bereit, ihr Leben dafür zu opfern.»

Die Todesurteile werden im Iran auch von religiösen Kreisen verurteilt. «Selbst der grösste Teil der traditionellen, religiösen Bevölkerung des Landes ist entsetzt über die brutale Gewalt im Namen des Islam», sagt Fatemeh Shams, Literaturwissenschaftlerin für Persische Literatur an der University of Pennsylvania, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

epa10370521 A protester holds placards during a demonstration against Iran's regime staged by the Iranian community, in Turin, Italy, 17 December 2022, following Iran's sentencing to death a ...
Ein Demonstrant an einem Protest in Turin, am 17. Dezember 2022.Bild: keystone

Proteste reissen nicht ab

Trotz der Einschüchterung habe die Intensität der Proteste nicht nachgelassen, sagt David Barnea, stellvertretender Direktor des Auslandsgeheimdienstes Mossad. In einer Rede betont er, dass die Proteste das Regime herausgefordert und die Demonstranten ihre Angst verloren hätten.

«Ich denke, dass wir dieses Mal auch einen Generationswechsel erleben, der Schulkinder und Schülerinnen in den Vordergrund der Proteste gebracht hat – und das ist ein völliges Novum. Diese Kinder haben nichts zu verlieren. Alles, was sie wollen, ist ein normales Leben, und sie sind bereit, ihr Leben dafür zu opfern», sagt Fatemeh Shams.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Gesichter des Protestes gegen das Regime in Iran
1 / 19
Die Gesichter des Protestes gegen das Regime in Iran
Der Auslöser für die Proteste war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini. Die 22-Jährige starb wohl, weil sie ihr Kopftuch nicht so getragen hatte, wie die iranischen Mullahs und das iranische Gesetz es für Frauen vorsehen. Die genauen Umstände ihres Todes sind noch unklar. Amini wurde zu einer Ikone im Kampf für Freiheit.
quelle: keystone / abedin taherkenareh
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
27 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Home alone
24.12.2022 18:11registriert April 2020
viel kraft den demonstrierenden 🙏🏻
603
Melden
Zum Kommentar
avatar
Fight4urRight2beHighasaKite
24.12.2022 18:18registriert Oktober 2022
Europas letzte Hexenverbrennung war 1807. Den Iran mit seinen "Krieg gegen Gott"-Urteilen würde ich im Jahr 1680 ansiedeln, zum Höhepunkt der Hexenverfolgung.
505
Melden
Zum Kommentar
avatar
CaptainLonestarr
25.12.2022 06:02registriert Dezember 2016
Ich würde es vorziehen, wenn die Schweiz ihre "guten Dienste" sistiert und endlich eine klare Linie gegen dieses Regime zeigt!
332
Melden
Zum Kommentar
27
«Würde einiges erklären»: Biden witzelt über Trumps Desinfektionsmittel-Aussage
US-Präsident Joe Biden hat gegen seinen Konkurrenten Donald Trump gestichelt und über eine mittlerweile berühmt-berüchtigte Aussage seines Vorgängers über Desinfektionsmittel im Kampf gegen das Coronavirus gespottet.

«Ich werde nie vergessen, wie er über die Pandemie gelogen und den Amerikanern geraten hat, Bleichmittel in ihre Haut zu injizieren», sagte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) bei einer Rede während der Gala einer Nichtregierungsorganisation.

Zur Story