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Justizreform in Israel nimmt weitere Hürde – Warnung vor Staatskrise

epa10513722 Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu speaks during a joint press conference with Italian Prime Minister Meloni (not pictured) after their meeting at Chigi Palace in Rome, Italy, 10 Ma ...
Benjamin Netanyahu.Bild: keystone

Justizreform in Israel nimmt weitere Hürde – Warnung vor Staatskrise

14.03.2023, 16:40
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Ungeachtet heftiger Proteste schreitet die umstrittene Justizreform in Israel mit grossen Schritten voran. In der Nacht zum Dienstag billigte das Parlament in Jerusalem in erster Lesung Gesetzesänderungen zu mehreren Kernpunkten.

Das Parlament kann demnach künftig Entscheidungen des Höchsten Gerichts mit einfacher Mehrheit widerrufen. Damit wird die Fähigkeit des Gerichts zur rechtlichen Überprüfung von Gesetzen de facto ausgehebelt.

Kritiker werfen der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, die unabhängige Justiz des Landes gezielt schwächen zu wollen. Sie sehen dadurch die Gewaltenteilung als Pfeiler der Demokratie in Gefahr. Seit Wochen kommt es daher zu Massenprotesten.

Israeli women's rights activists dressed as characters in the popular television series, "The Handmaid's Tale," protest plans by Prime Minister Benjamin Netanyahu's government ...
Frauenrechtsaktivistinnen demonstrieren in Tel Aviv am 11. März.Bild: keystone
epa10511206 A picture taken with a drone shows protesters during a rally against the government justice system reform plan in Tel Aviv, Israel 09 March 2023. The protest leaders announced a national d ...
Demonstrierende am 9. März in Tel Aviv.Bild: keystone

Die Krise überschattet auch einen Besuch Netanjahus in Berlin. Er trifft dort an diesem Donnerstag unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz. In Berlin wird ebenfalls mit Protesten gerechnet.

Israelischen Medienberichten zufolge will die Regierung noch in diesem Monat die Kernelemente der kontroversen Reform im Schnellverfahren durchsetzen. Es sind noch zwei Lesungen notwendig, damit die Änderungen endgültig in Kraft treten. Der Umbau der Justiz könnte Netanjahu auch in einem Korruptionsverfahren, das gegen ihn läuft, in die Hände spielen. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanjahus strengreligiösen Koalitionspartnern.

Es soll dem Höchsten Gericht mit der Reform auch erschwert werden, Gesetze aufzuheben, die seinem Urteil nach gegen ein Grundgesetz verstossen. Dafür soll eine Mehrheit von mindestens zwölf von 15 Richtern notwendig sein. Bislang reicht eine einfache Mehrheit.

Weil Israel keine schriftliche Verfassung hat und der Staat stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen fusst, kommt dem Höchsten Gericht besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Netanjahus Regierung argumentiert, das Höchste Gericht übe derzeit zu viel politischen Einfluss aus. Seine Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte.

Das Parlament billigte ausserdem in erster Lesung eine Gesetzesänderung, die es deutlich schwerer machen soll, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Dafür wäre künftig eine Dreiviertelmehrheit im Parlament notwendig. Zur Begründung dürften nur gesundheitliche Gründe herangezogen werden. Mit dem Schritt soll eine Einflussnahme des Höchsten Gerichts oder der Generalstaatsanwaltschaft verhindert werden.

Eine Nichtregierungsorganisation hatte zuletzt eine Petition beim Höchsten Gericht eingereicht, um zu erreichen, dass Netanjahu wegen seines Korruptionsprozesses für amtsunfähig erklärt wird. Aus ihrer Sicht ist die Gesetzesänderung auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten und soll ihn vor Konsequenzen schützen.

Weiteres Ziel der Reform ist es, dass Politiker mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erhalten sollen. Netanjahus Regierung wäre dann die erste, die davon profitieren würde und unliebsame Richter ersetzen könnte.

Seit zehn Wochen gibt es massive Proteste gegen die Justizreform, Bemühungen um einen Kompromiss waren aber bisher erfolglos. Es mehren sich die Warnungen, Israel steuere rasch auf eine gefährliche Staatskrise hin. Israels Präsident Izchak Herzog sagte am Montagabend: «Wir sind in einer schlimmen, sehr schlimmen Lage». Es müsse mit aller Macht eine Einigung erzielt werden, um Israel aus der Krise zu führen. Er spreche dafür mit Gegnern und Befürwortern der Reform. Es wird damit gerechnet, dass Herzog in den kommenden Tagen einen Kompromissvorschlag veröffentlicht. Die Opposition fordert als Bedingung für Verhandlungen einen vollständigen Stopp des Vorhabens.

(yam/sda/dpa)

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pummelfee
14.03.2023 17:41registriert Mai 2020
Und so reiht sich Nentanjahu in die Reihe der bestehenden und zukünftigen Diktatoren wie Putin, Xi, Kim Jong Un, Orban, Erdogan ein. Zwar demokratisch gewählt, statten sie sich selbst per neuen Gesetzen mit Rechten aus, die einer Demokratie nicht würdig sind. Pfui!
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Hösch
14.03.2023 17:44registriert März 2022
Eine Regierungskoalition deren gemeinsamer Nenner einzig der Wille zur Macht ist unter einem Regierungschef der sich mit Winkelzügen der Justiz entziehen will.

Da wird es eng mit der Glaubwürdigkeit. Da knackt es im Gebälk des Staates.
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