Auch in der dritten Nacht seit dem Überfall der Hamas auf Israel dauern die Kampfhandlungen weiter an. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen für eine bevorstehende Bodenoffensive Israels im Gazastreifen. Im Gazastreifen haben inzwischen mehr als 137'000 Menschen in Notunterkünften der Vereinten Nationen Schutz gesucht.
Das sind die neusten Entwicklungen in Israel und Palästina:
Israels Armee griff im Gazastreifen weiterhin Ziele militanter Palästinenser an. Die Stellungen seien aus der Luft und von Schiffen aus attackiert worden, teilte die Armee am späten Montagabend mit. Das Militär habe unter anderem Waffenlager, Tunnel und eine Hamas-Kommandozentrale in einer Moschee bombardiert.
Auch im Westjordanland gab es wieder Auseinandersetzungen mit Toten. Ebenso gab es an Israels Nordgrenze zum Libanon weitere Gefechte, was die Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts verstärkte. Israelische Soldaten hätten mehrere Bewaffnete erschossen, die nach Israel vorgedrungen waren, teilte das israelische Militär mit. Die wie die Hamas mit dem Iran verbündete Schiitenorganisation Hisbollah dementierte eine Beteiligung.
Im Süden Israels warnten während der Nacht die Sirenen vor eintreffenden Raketen. Über mögliche Verletzte oder Tote gab es am Dienstagmorgen noch keine Berichte.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief die politische Opposition auf, sich einer Regierung der nationalen Einheit anzuschliessen, und erklärte, die Offensive habe «gerade erst begonnen».
In einer Fernsehansprache am späten Montagabend versprach Netanjahu, die noch in Israel befindlichen Terroristen zu «eliminieren», und sagte: «Was wir unseren Feinden in den kommenden Tagen antun werden, wird für Generationen nachhallen.»
Derweil mehren sich die Anzeichen für eine bevorstehende Bodenoffensive Israels im Gazastreifen. Israel ordnete die komplette Abriegelung des nur 40 Kilometer langen und sechs bis zwölf Kilometer breiten Gebietes an, während die Armee 300'000 Reservisten mobilisiert. «Was die Hamas erleben wird, wird hart und fürchterlich sein. Wir sind erst am Anfang», hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gesagt und Rache geschworen.
Für die rund zwei Millionen überwiegend armen Bewohner des äusserst dicht besiedelten Gazastreifens dürfte sich die Lage mit der kompletten Abriegelung durch Israel nun weiter verschlechtern. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant drückte es am Montag so aus: «Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff geben.»
Die US-amerikanische NGO Human Rights Watch in Israel und Palästina kritisierte die Forderung des israelischen Verteidigungsministers nach einer «vollständigen Belagerung» des Gazastreifens als eine Form der «kollektiven Bestrafung» und ein «Kriegsverbrechen».
Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, verurteilte die Angriffe der Hamas als «Terrorakte» und sagte gleichzeitig, er sei «zutiefst beunruhigt» über den Plan der israelischen Regierung, eine «vollständige Belagerung» durchzuführen. «Die humanitäre Lage im Gazastreifen war schon vor den Angriffen extrem schlecht. Jetzt wird sie sich nur noch exponentiell verschlechtern», sagte Guterres.
Einige Stunden nach der Ankündigung des israelischen Verteidigungsministers erklärte ein Sprecher des bewaffneten Flügels der Hamas, er werde damit beginnen, zivile Geiseln zu töten und die Tat zu verbreiten, wenn Israel ohne Vorwarnung Menschen in Gaza angreift. «Wir erklären, dass wir auf jeden Angriff auf unsere Leute, die sich ohne Vorwarnung in ihren Häusern in Sicherheit befinden, mit der Hinrichtung unserer zivilen Geiseln reagieren werden, und wir werden dies mit Audio und Video übertragen», sagte Abu Obaida in einer Erklärung auf dem Telegramm-Kanal der Al-Qassam-Brigaden.
Noch immer befinden sich schätzungsweise 150 Menschen in Hamas-Gefangenschaft.
Deutschland, die USA, Grossbritannien, Frankreich und Italien haben Israel gemeinsam ihre Solidarität versichert. Zusammen würden «unsere unerschütterliche und vereinte Unterstützung» für Israel zum Ausdruck gebracht «und die Hamas und ihre schrecklichen Terrorakte unmissverständlich» verurteilt, hiess es in einer in der Nacht zu Dienstag veröffentlichten Mitteilung der Bundesregierung.
Präsident Macron und ich haben mit Präsident Biden, Premier Sunak und Premierministerin Meloni telefoniert und unsere Unterstützung für Israel bekräftigt.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) October 9, 2023
Unsere 5 Länder werden sicherstellen, dass Israel sich und seine Bürger gegen die abscheulichen Angriffe verteidigen kann. pic.twitter.com/M54eMv5fiD
Mit Blick auf die Palästinenser hiess es in der gemeinsamen Mitteilung der fünf Länder:
Aber man dürfe sich nicht täuschen: «Die Hamas vertritt diese Bestrebungen nicht und sie bietet dem palästinensischen Volk nichts anderes als noch mehr Terror und Blutvergiessen.»
Israel werde in seinen Bemühungen unterstützt, sich und sein Volk gegen solche Gräueltaten zu verteidigen, hiess es weiter. «In den kommenden Tagen werden wir als Verbündete und als gemeinsame Freunde Israels vereint und koordiniert vorgehen, um sicherzustellen, dass Israel in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, und um letztlich die Voraussetzungen für eine friedliche und integrierte Nahostregion zu schaffen.» (…) «Wir stellen klar, dass es für die terroristischen Aktionen der Hamas keine Rechtfertigung und keine Legitimation gibt und sie allgemein verurteilt werden müssen.»
Israels Armee hat die Menschen im Land angewiesen, sich mit ausreichend Nahrung, Wasser und Medikamenten einzudecken. Die Vorräte sollten mindestens 72 Stunden reichen, teilte das Militär – offensichtlich mit Blick auf eine drohende militärische Auseinandersetzungen mit der islamistischen Hamas – mit.
Auch andere Ausrüstung für Notsituationen sollen sich die Bürger beschaffen und überprüfen, wo sich der nächstgelegene Luftschutzbunker befindet, hiess es am Montag weiter. Israelischen Medien zufolge waren die Supermärkte anschliessend voll mit Leuten, viele Regale jedoch leer. Die Armee betonte daraufhin, es habe sich lediglich um eine Erinnerung an eine standardmässige Empfehlung und keine neue Anweisung gehandelt.
Gleichzeitig wollen viele Israelis auch helfen: Bereits am Samstag standen sie bei Spendezentren Schlange, um ihr Blut zu spenden. Bilder zeigen, wie die Zentren auch am Montag noch gut besucht waren.
Im Gazastreifen haben inzwischen mehr als 137'000 Menschen in Notunterkünften der Vereinten Nationen Schutz gesucht. Wie das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) am Montagabend mitteilte, sind die Notunterkünfte bereits zu 90 Prozent belegt. UNRWA befürchtet, dass sich die humanitäre Lage für die Menschen im Gazastreifen weiter verschärfen wird.
Laut UNRWA wurden mehr als ein Dutzend Einrichtungen der Vereinten Nationen in Gaza von israelischen Geschossen getroffen. Dabei sei es zu Sachschäden gekommen. Auch eine Schule, die derzeit als Notunterkunft dient, sei getroffen worden. Die UN-Organisation hat Schulen für den Unterricht geschlossen und die Ausgabe von Lebensmitteln eingestellt. Im Gazastreifen sind knapp 1,5 Millionen Menschen als Flüchtlinge bei dem UN-Hilfswerk registriert.
(lak/sda)