Nach acht Monaten in Gefangenschaft der Hamas ist es der israelischen Armee am Samstag gelungen, vier Geiseln zu befreien. Dafür stürmten sie mehrere zivile Wohnhäuser in Nuseirat.
Nach dem Einsatz machte sich auf X Kritik über das brutale und ungerechtfertigte Vorgehen der israelischen Streitkräfte (IDF) breit.
Allen voran berichtete Rami Abdu, der Leiter der Menschenrechtsorganisation «Euro-Med Human Rights Monitor» mit Sitz in Genf, wie die israelische Armee den palästinensischen Journalisten Abdullah Al-Jamal, seine Frau, seine Schwester und seinen Vater vor den Augen seiner Kinder erschossen hätten. Dazu teilte Abdu Bilder, die aus der gestürmten Wohnung des Journalisten stammen sollen.
In an initial testimony documenting the killings committed by the Israeli army in the Nuseirat camp today, the @EuroMedHR reported that the Israeli army used a ladder to enter the home of Dr. Ahmed Al-Jamal. The army immediately executed 36-year-old Fatima Al-Jamal upon… pic.twitter.com/DjfjerIZTf
— Ramy Abdu| رامي عبده (@RamAbdu) June 8, 2024
Die IDF reagierten am Sonntag ebenfalls auf X auf diese Kritik: «Der ‹Journalist› Abdallah Aljamal war ein Hamas-Terrorist, der die Geiseln Almog Meir Jan, Andrey Kozlov und Shlomi Ziv in der Wohnung seiner Familie in Nuseirat gefangen hielt.» Ob die Vorwürfe der IDF stimmen, lässt sich nicht unabhängig überprüfen.
“Journalist” Abdallah Aljamal was a Hamas terrorist holding Almog, Andrey and Shlomi hostage in his family’s home in Nuseirat.
— Israel Defense Forces (@IDF) June 9, 2024
No press vest can make him innocent of the crimes he has committed.@AlJazeera what’s this terrorist doing on your website? pic.twitter.com/1EM8C7csnw
Das Vorgehen der Armee in der Wohnung des Journalisten kommentierten die IDF nicht weiter. Stattdessen hielten sie fest, dass Al-Jamal auch nicht durch eine Presseweste von den Verbrechen, die er gemäss dem IDF begangen habe, freigesprochen werden könne. Direkt an den katarischen Nachrichtensender «Al Jazeera» gerichtet, fügten sie zudem an:
Tatsächlich listet «Al Jazeera» auf ihrer Website einen Mann unter dem Namen «Abdallah Aljamal» als «Reporter und Fotojournalist» auf, der «häufig» von den Protesten am Zaun des Gazastreifens berichtet. Auf der Website befindet sich allerdings nur ein Artikel aus dessen Feder. Er stammt aus dem Jahr 2019.
Auf Anfrage der «Times of Israel» sagt der Leiter des Al-Jazeera-Büros in Jerusalem, Omar al Walid: Dass Abdallah Al-Jamal «nicht von Al-Jazeera» ist. «Er hat nicht für Al-Jazeera gearbeitet und er ist auch nicht als Mitarbeiter von Al-Jazeera aufgeführt, weder jetzt noch in der Vergangenheit.»
Ausserdem plane der Sender, jeden zu verklagen, der Gerüchte verbreite, die eine Verbindung zu Abdallah Al-Jamal und «Al-Jazeera» behaupteten.
Eine der Newsplattformen, die bestätigt, dass Al-Jamal für sie tätig war, ist hingegen «The Palestine Chronicle». Die Non-Profit-Organisation mit Sitz in den USA liefert nach eigenen Angaben täglich Nachrichten für den Gazastreifen.
Am Sonntag veröffentlichten die Mitarbeitenden von «The Palestine Chronicle» auf ihrer Website einen Artikel, in dem sie ihrem ehemaligen Kollegen gedenken. Titel: «Abdallaj Aljamal (1987–2024) – Bekannter Journalist in Gaza ermordet».
Sie hätten mit Bedauern erfahren, dass einer ihrer freien Mitarbeiter im Gaza-Streifen beim «jüngsten israelischen Massaker im Flüchtlingslager Nuseirat» getötet worden sei. «Besonders tragisch ist, dass Aljamal in seinem letzten Beitrag für den ‹Palestine Chronicle› über ein früheres Massaker berichtete, bei dem über 40 palästinensische Zivilisten in einer UNRWA-Schule im Flüchtlingslager getötet wurden», heisst es im Artikel weiter.
«The Palestine Chronicle» sieht es als erwiesen an, dass die Anschuldigungen des IDF gegen ihren getöteten Journalisten falsch sind. Dabei bezieht es sich auf «angesehene Kommentatoren und Journalisten im Internet». So etwa auf Muhammad Shehada, ein palästinensischer Journalist, der 2020 zum letzten Mal Artikel für «Al Jazeera» geschrieben hat, allerdings im Januar 2024 auch in der israelischen Tageszeitung «Haaretz» publizierte.
Shehada stellt in mehreren Posts auf X die These auf, dass Al-Jamal in einem der sieben mehrstöckigen Gebäuden lebte, die das israelische Militär stürmte – dass aber nicht klar sei, in welchem dieser Gebäude und auf welchem Stockwerk die Geiseln festgehalten worden seien.
The IDF now claims it was NOT Noa Argamani in the building where Abdallah lived but the 3 male hostages.
— Muhammad Shehada (@muhammadshehad2) June 9, 2024
This raises the likelihood that he didn’t know, b/c he lived on the 1st floor & the hostages were kept on the 3rd in an apartment building.
Calling him a “Hamas operative”… pic.twitter.com/oe1EuTjZ4z
Demnach sei auch nicht erwiesen, dass Al-Jamal die Geiseln in seiner Wohnung festhielt. Shehada glaubt sogar, dass es möglich wäre, dass Al-Jamal gar nicht wusste, dass sich Geiseln in seinem Gebäude befinden.
Er widerspricht damit den IDF, die festhalten, die Geiseln in der Wohnung der Familie von Al-Jamal vorgefunden zu haben. Unabhängig überprüfen lässt sich derzeit nicht, ob es sich bei Abdullah Al-Jamal um einen Hamas-Terroristen und Journalisten bei «Al-Jazeera» handelte oder nicht. (aye)