Die islamistische Hamas hat im Rahmen eines Waffenruhe-Abkommens mit Israel drei weitere Geiseln im Gazastreifen an das Rote Kreuz übergeben. Ohad Ben Ami (56), Or Levy (34) und Eli Scharabi (52) kamen am 491. Tag ihrer Geiselhaft in Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens frei, wie in live-Fernsehaufnahmen zu sehen war.
Die israelische Armee bestätigte die Übergabe der abgemagert aussehenden Männer durch die Hamas unter Berufung auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).
Im Gegenzug für ihre Freilassung sollten 183 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Darunter sind 18 mit lebenslangen Haftstrafen und 111 Palästinenser, die nach dem 7. Oktober im Gazastreifen festgenommen wurden.
Hunderte Schaulustige verfolgten die Geiselübergabe, wie Fernsehaufnahmen zeigten. Anders als vor knapp anderthalb Wochen gab es aber keine drängelnde Menge und kein Chaos, durch das sich die Geiseln einen Weg bahnen mussten. Auch zahlreiche vermummte und zumeist mit Maschinenpistolen bewaffnete Hamas-Mitglieder waren anwesend – wie auch bei den vorigen Geisel-Freilassungen.
Aufnahmen zeigten, wie die blass und dünn aussehenden Männer von Hamas-Mitgliedern auf eine Bühne geführt wurden. Israelischen Medien zufolge bedankten sie sich in dem von der Hamas choreografierten Auftritt für die «Fürsorge» während ihrer Geiselhaft.
Auf der Bühne war auch eine Faust mit einer palästinensischen Flagge zu sehen. Die militärisch nach 16 Monaten Krieg extrem geschwächte Islamistenorganisation nutzte die Freilassungen in den vergangenen Wochen stets als Machtdemonstration. Mit dem inszenierten Prozedere rund um die Geiselübergabe will die Hamas der Welt zeigen, wer im Gazastreifen das Sagen hat.
Angehörige der von der Hamas freigelassenen Geiseln haben angesichts ihres augenscheinlich schlechten Zustands bestürzt reagiert. Mehrere Familienmitglieder brachen in Tränen aus, als sie die Männer live im Fernsehen sahen, wie israelische Medien berichteten. Die aus Israel entführten Männer sahen bei der Übergabe an Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) abgemagert und blass aus.
Die Verwandte von Ohad Ben Ami (56), der Berichten zufolge auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, sagte Medien zufolge, der 56-Jährige sehe schlimm und mindestens zehn Jahre älter aus, als er sei.
Der Bruder von Or Levy (34) sagte israelischen Medien zufolge, es sei schwer, ihn so zu sehen, nach allem, was er durchgemacht habe. Der Sohn des 34-Jährigen sei aufgeregt und könne es kaum erwarten, seinen Vater wiederzusehen, sagte Tal Levy demnach. Die Mutter des Kindes war am 7. Oktober auf dem Nova-Musikfestival getötet worden.
Das Forum der Geiselfamilien sprach von «verstörenden Bildern» der Freilassung.
Der augenscheinlich schlechte Zustand der drei freigelassenen Geiseln hat in ganz Israel für Entsetzen gesorgt. «So sieht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus», erklärte der israelische Staatspräsident Izchak Herzog. «Die ganze Welt muss auf Ohad, Or und Eli blicken, die nach 491 Tagen Hölle, ausgehungert, abgemagert und leidend, zurückkehren.»
Angesichts des von der islamistischen Hamas inszenierten Prozederes der Freilassung sagte Herzog, die Männer seien für ein «zynisches und grausames Spektakel» ausgenutzt worden.
Es sei aber ein Trost für das Land, dass die drei nun lebend in die Arme ihrer Angehörigen zurückkehren könnten, so Herzog weiter. Der dreijährige Almog etwa habe nun endlich seinen Vater, Or Levy, wieder. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach Angaben seines Büros, die «schockierenden Bilder» würden nicht unbeantwortet bleiben. In einer weiteren Mitteilung kündigte der israelische Regierungschef zudem Massnahmen an – ohne Details zu nennen.
Unter den Freigelassenen ist der 56 Jahre alte Ohad Ben Ami, der Berichten zufolge auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Er wurde während des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 aus dem Kibbuz Beeri, der in der Nähe des Gazastreifens liegt, verschleppt.
Zudem kam der 34-jährige Or Levy frei. Er war vor 16 Monaten zusammen mit seiner Frau auf dem Nova-Musikfestival nahe der Grenze zum Gazastreifen. Beide flüchteten vor den Terroristen in einen Schutzraum, Levys Frau wurde dort getötet, er selbst verschleppt. Ihren kleinen Sohn hatten sie bei dessen Grosseltern gelassen. Dieser hüpfte Angehörigen zufolge vor Freude auf dem Bett, als er am Freitag von der Rückkehr seines Vaters hörte.
Freigelassen wurde auch Eli Scharabi. Terroristen ermordeten während des Hamas-Massakers seine Frau und seine beiden Töchter. Die Leiche seines Bruders halten Islamisten im Gazastreifen fest.
Die Männer sollten nach ihrer Rückkehr nach Israel nach einer ersten medizinischen Untersuchung in einer Armeeeinrichtung ihre Familien treffen. Anschliessend sollten sie in Kliniken im Zentrum des Landes gebracht werden.
Palästinensische Terroristen hatten die Geiseln während des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 in Israel verschleppt. Seit Beginn der Waffenruhe im Gaza-Krieg am 19. Januar hat die Hamas damit bereit 16 von insgesamt 33 israelischen Geiseln freigelassen, die während der ersten Phase der dreistufigen Vereinbarung von der Hamas übergeben werden sollen. Ausserdem liess die Terrororganisation fünf Thailänder frei, dies aber nicht als Teil der Vereinbarung mit Israel.
Die Hamas hatte zuvor mitgeteilt, dass acht der 33 israelischen Geiseln tot seien. Um wen genau es sich dabei handelt, ist unklar.
Nach der Freilassung drei weiterer Verschleppter werden jetzt noch insgesamt 76 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. 35 von ihnen sind israelischen Angaben zufolge tot. Die nächsten Geiseln sollen am kommenden Wochenende freikommen. Insgesamt sollen in der ersten Phase mehr als 1900 palästinensische Häftlinge im Austausch für die Geiseln freikommen.
Angehörige der Geiseln hatten die Sorge geäussert, der Plan von US-Präsident Donald Trump zur Umsiedlung der rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens könnte zum Kollaps der Waffenruhe führen und damit die Freilassung weiterer Geiseln vereiteln.
Trump hatte im Beisein des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verkündet, die USA würden den Gazastreifen «übernehmen» und in eine wirtschaftlich florierende «Riviera des Nahen Ostens» verwandeln. Nach Trumps Willen sollen die Einwohner des Gebiets künftig in anderen arabischen Staaten der Region unterkommen. Der Plan war bei den Palästinensern und arabischen Staaten auf heftige Ablehnung gestossen.
Die Waffenruhe war bei mühsamen indirekten Gesprächen zwischen Israel und der Hamas unter Vermittlung der USA, Katars und Ägyptens ausgehandelt worden. Es laufen Bemühungen um eine Einigung auf eine zweite Phase der Vereinbarung, die zu einem endgültigen Ende des Kriegs und zur Freilassung der restlichen Geiseln führen soll.
Im Rahmen der ersten Phase der Waffenruhe war vor einer Woche erstmals seit fast neun Monaten der ägyptische Grenzübergang zum Gazastreifen im südlichen Rafah wieder geöffnet worden. Patienten aus dem Küstenstreifen wurden zur Behandlung nach Ägypten gebracht und humanitäre Hilfsgüter über den Übergang in den Gazastreifen transportiert. Zuvor konnten Hunderttausende Binnenflüchtlinge aus dem Süden des Gazastreifens in den Norden zurückkehren.
Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten bei ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 rund 1200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Der Überfall war der Auslöser des Kriegs in dem abgeriegelten Küstengebiet, wo seither laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 47'500 Menschen getötet wurden. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern. (sda/dpa)