Eine Woche ist vergangen seit dem Tag, der als «Israels 9/11» in die Geschichte eingehen wird. Der Terrorangriff der radikalislamischen Hamas, die praktisch ohne Gegenwehr aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium vordringen konnte, forderte rund 1200 Todesopfer. Das sind etwa halb so viele wie im Jom-Kippur-Krieg vor 50 Jahren.
Damals traf es praktisch nur Soldaten, jetzt sind es überwiegend Zivilisten. Hinzu kommen rund 150 Geiseln, die nach Gaza verschleppt wurden. Israel hat Vergeltung geschworen und zahlreiche Luftangriffe durchgeführt. Eine Bodenoffensive ist angedacht. Die israelische Armee will die Hamas und ihre Führung ein für alle Mal «ausradieren».
Was leichter gesagt ist als getan. Der Gazastreifen ist etwa gleich gross wie die beiden Appenzell und mit mehr als zwei Millionen Einwohnern sehr dicht besiedelt. Es gibt ein weitverzweigtes Tunnelsystem und viele andere Verstecke. So gilt es als offenes Geheimnis, dass sich die Kommandozentrale der Hamas im grössten Spital von Gaza-Stadt befindet.
Auch die israelischen Geiseln dürften an diversen Orten festgehalten werden. Sie mit militärischen Mitteln zu befreien, ist schwierig bis unmöglich. Im Hintergrund laufen Vermittlungsbemühungen, in die die Türkei sowie vermutlich Katar und Ägypten involviert sind. Die Schweiz vermittelt angeblich auch, doch ihr Einfluss dürfte minim sein.
Es ist eine hochriskante Aufgabe mit ungewissem Ausgang, mit der sich Israel und seine Streitkräfte konfrontiert sehen. Auch wenn sich der jüdische Staat darauf konzentriert, hat die Aufarbeitung des Hamas-Terrors, der das Land traumatisiert hat wie kein Ereignis seit dem Jom-Kippur-Krieg, bereits begonnen. Alle fragen sich: Wie konnte das passieren?
Neben dem Versagen von Sicherheitskräften und Geheimdiensten steht Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Kritik. Er hat nicht nur das Land mit seiner rechtsreligiösen Regierung tief gespalten. Er hat Wahlen mit dem Versprechen gewonnen, nur er könne Israels Sicherheit garantieren. Nun wurde dieses Versprechen als mörderische Illusion entlarvt.
Es rächt sich, dass Netanjahu sich damit begnügte, den Konflikt mit den Palästinensern zu verwalten. Gleichzeitig versuchte er, möglichst viele Abkommen mit arabischen Staaten abzuschliessen in der Hoffnung, den Palästina-Konflikt «übersteuern» zu können. Nicht ohne Erfolg. Sogar ein Friedensvertrag mit Saudi-Arabien schien realisierbar zu sein.
Israels Staatsführer hätten geglaubt, sie könnten die Palästinenser «auf unbestimmte Zeit in ghettoisierten Enklaven isolieren», sagte der Autor und Politikanalyst Omar Rahman auf CNN. Dies habe den Palästinensern weder Hoffnung noch eine politische Perspektive verschafft, sondern sie «mit einer Zukunft in permanenter Unterwerfung» konfrontiert.
Die Journalistin Tal Schneider warf Benjamin Netanjahu in der «Times of Israel» sogar vor, er habe die Hamas absichtlich toleriert und gestärkt, um die Autonomiebehörde in Ramallah zu schwächen. Er habe limitierte militärische Angriffe in Kauf genommen, um die Gründung eines Palästinenserstaats, und sei es nur im Westjordanland, zu verhindern.
Die Illusion, man könne dieses Potenzial an Hass und Gewalt verdrängen und ignorieren, ist in Blut und Tränen ertränkt worden. Jetzt stellt sich die Frage: Was kommt nach dem «Rachefeldzug»? Tal Schneider sieht schwarz. Beide Seiten seien in einem «Blutkreislauf» ohne erkennbaren Ausweg gefangen: «Es ist eine totale Lose-lose-Situation.»
Der Schriftsteller Thomas Meyer fürchtet, dass Israel «noch militanter und noch mehr rechts» sein werde. Eine friedliche Lösung ist auch in der Westbank kaum vorstellbar, wo mehr als 400’000 jüdische Siedler leben. Teils wurden sie angelockt durch billige Wohnungen, aber viele sind religiöse Fanatiker, die das biblische «Judäa und Samaria» annektieren wollen.
Der saudische Friedensplan von 2002, der Israel diplomatische Beziehungen und Sicherheitsgarantien in Aussicht stellte als Gegenleistung für einen Rückzug hinter die Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967, ist deshalb so unrealistisch geworden wie die Genfer Initiative von 2003, die einen Plan für eine Zweistaatenlösung entwarf.
Eine wichtige Rolle spielte die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Der Plan sei «in der Realität nicht umsetzbar», anerkannte sie im «Tages-Anzeiger». Sie propagiert einen einzigen Bundesstaat für Israelis und Palästinenser, mit den Palästinensergebieten als eine Art Kantone. In diesem Staatenmodell hätten Israelis und Araber dieselben Rechte.
Eine solche «Einstaatenlösung» stösst in Israel auf wenig Gegenliebe, denn die arabische Bevölkerung wächst stärker als die jüdische. Einen anderen Ansatz skizzierte Jossi Beilin, ein Mitarchitekt des Osloer Abkommens von 1993 sowie der Genfer Initiative, im Interview mit dem «Spiegel»: Eine Konföderation auf Basis der Zweistaatenlösung.
Dieses Konzept könnte es ermöglichen, dass alle israelischen Siedler, die dies wollten, in einem künftigen palästinensischen Staat leben würden und umgekehrt die gleiche Anzahl Palästinenser in Israel, so Beilin. In der Praxis allerdings dürfte die Umsetzung einer solchen Idee sehr schwierig werden, auch wegen der Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten.
Die Frage ist auch, wie es mit dem seit 2007 von der Hamas kontrollierten Gazastreifen weitergehen soll. Die beste Option wäre für Jossi Beilin, wenn die Palästinensische Autonomiebehörde übernehmen würde. «Denkbar ist auch die vorübergehende Kontrolle erst durch die Arabische Liga oder ein internationales Gremium.»
Auch in diesem Fall wäre die Umsetzung schwierig, das weiss Beilin. «Die Entmachtung der Hamas ist wichtig», sagt er. Falls sie an der Macht bleibe, schlägt er genau das vor, was Netanjahu angeblich verhindern wollte: einen Friedensvertrag nur für das Westjordanland. Klar sei deshalb, dass eine Lösung nur mit einer anderen Regierung möglich sein werde.
Dies könnte das geringste Problem sein, denn Bibi Netanjahu wird sich kaum halten können. Alles andere bleibt nach Jahrzehnten voller Gewalt und Hass und aufgrund vollendeter Tatsachen durch die völkerrechtswidrige Besiedelung extrem schwierig. An guten Ideen hat es in diesem Konflikt nie gefehlt. Ihre Umsetzung ist der Knackpunkt.
Die Menschen in diesen Ländern ticken aber leider nicht so:
Vernunft und Kompromissbereitschaft werden von Emotionen und religiös-politischem Fanatismus übersteuert.
Mit diesen Zutaten lässt sich kein geniessbares Rezept kochen.
Dass daneben noch Staaten existieren, welche Isreal von der Landkarte entfernen möchten, hilft auch nicht.
Die Verlierer sind wie immer die gemeinen Leute ...