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Italien: Giorgia Meloni ruft den Flüchtlingsnotstand aus

Migrationszahlen steigen , Regierung ist hilflos: Meloni ruft den Flüchtlingsnotstand aus

Angesichts der Verdreifachung der Zahl der Bootsflüchtlinge in diesem Jahr hat die Rechtsregierung in Rom den Notstand ausgerufen. Aus Tunesien könnten sich im schlimmsten Fall bald Hunderttausende auf den Weg machen.
12.04.2023, 18:36
Dominik Straub, Rom / ch media
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«Der starke Anstieg der Migrationsströme im laufenden Jahr hat zur schwerwiegenden Überbelegung in den Erstaufnahmezentren geführt, besonders im Hotspot von Lampedusa», begründete die Regierung von Giorgia Meloni die Ausrufung des Notstands.

epa10559723 Italian Prime Minister Giorgia Meloni speaks during a joint press conference with her Spanish counterpart following their meeting in Rome, Italy, 05 April 2023. EPA/RICCARDO ANTIMIANI
Bekommt die Flüchtlingssituation in Italien kaum in den Griff: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.Bild: keystone

Tatsächlich ist die Situation im Aufnahmezentrum der kleinen Touristeninsel nicht erst seit gestern unhaltbar: Allein am Ostersonntag und am Ostermontag sind in Lampedusa rund 2000 Bootsflüchtlinge an Land gegangen; am Dienstag befanden sich laut Behördenangaben noch 1659 Migranten in dem Lager, bei einer Kapazität von 400 Personen. Insgesamt sind in Italien seit Anfang Januar schon 32'000 Bootsflüchtlinge angekommen - dreimal mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs.

«Notstand»: Das tönt dramatisch. Und tatsächlich handelt es sich um eine Massnahme, die in Italien jeweils bei schweren Erdbeben ergriffen wird, oder, bisher das letzte Mal, während der Covid-Pandemie mit Zehntausenden von Toten.

epa10569478 A trawler carrying about 600 migrants rescued some 100 miles of the coast of Sicily is towed by a tugboat in the port of Catania, Italy, 12 April 2023. The vessel was escorted by the &#039 ...
Die italienische Küstenwache rettet ein vollbesetztes Boot mit Migranten vor der Küste Siziliens.Bild: keystone

Trotz der dramatischen Bezeichnung handelt es sich aber in erster Linie um eine administrative Massnahme: Dank dem am Dienstagabend beschlossenen «Migrationsnotstand» sollen bürokratische Hürden bei der Verlegung der Flüchtlinge von Lampedusa aufs Festland und bei der Bereitstellung neuer Unterbringungsplätze umgangen werden. Beispielsweise musste die Regierung bisher jeden Schiffstransport von Migranten von Lampedusa öffentlich ausschreiben - dieser Unfug wird nun ein Ende haben.

Grosse Probleme auch auf Sizilien

Die Unterbringung der Flüchtlinge stellt die Regierung inzwischen vor fast unlösbare Probleme, nicht nur in Lampedusa. Im sizilianischen Catania, wo viele Flüchtlinge aus Lampedusa hingebracht werden, baut der örtliche Zivilschutz derzeit eine Zeltstadt. Aber nicht nur in Sizilien sind Unterbringungsplätze Mangelware. Das Ziel der Regierung Meloni besteht darin, dass jede der zwanzig italienischen Regionen ein grosses Aufnahme- und Abschiebezentrum erhält - bisher verfügen erst neun Regionen über eine solche Struktur.

Die Opposition warf der Regierung unnötigen Alarmismus vor: Es sei falsch, die Migration mit der Verhängung des Notstands wie eine Naturkatastrophe oder eine Pandemie zu behandeln. Tatsächlich kommt die Massnahme der Rechtsregierung dem Eingeständnis der eigenen Macht- und Hilflosigkeit gleich: Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, findet kein Mittel gegen den Strom der Flüchtlinge.

Sie hatte im Wahlkampf die Verhängung einer Seeblockade gegen die Boote der Migranten in Aussicht gestellt. Das war von Anfang an ein unrealistisches Versprechen gewesen: Die Flüchtlingsboote kann man nicht abfangen wie feindliche Kriegsschiffe, und die oft kaum seetüchtigen Migranten-Boote zur Umkehr zu zwingen, würde bedeuten, die Flüchtlinge in den sicheren Tod zu schicken.

epa10569682 A migrant receives water from medical staff after arriving in the port of Catania, Italy, 12 April 2023. The vessel was escorted by the 'Nave Peluso' of the Coast Guard on the sa ...
Ein Junge erhält von Hilfskräften eine Flasche Wasser.Bild: keystone

Unglück von Crotone wird untersucht

Die Regierung Meloni war schon Ende Februar von der brutalen Realität der gefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer eingeholt worden, als an einem Strand in Kalabrien über neunzig Migranten ertranken, nachdem ihr Boot auf einer Sandbank zerschellt war.

Die Bilder von Dutzenden Särgen in der Sporthalle von Crotone gingen um die Welt; die italienischen Behörden sahen sich - ob zu Recht oder zu Unrecht soll eine laufende Strafuntersuchung abklären - mit dem Vorwurf konfrontiert, dem Boot trotz Sturm und schwerer See nicht zur Hilfe gekommen zu sein. Seither hat die italienische Küstenwache - wie sie es schon immer machte - weiter Tausende von Migranten aus Seenot gerettet und an Land gebracht - das genaue Gegenteil einer Seeblockade.

Angesichts der objektiven Unmöglichkeit, das Anlanden von Flüchtlingsbooten zu verhindern, macht sich Meloni in Brüssel für gemeinsame Anstrengungen stark, die Boote schon in den Herkunftsländern am Ablegen zu hindern, vor allem in Tunesien. Letztlich schwebt der italienischen Regierungschefin ein ähnlicher Milliarden-Deal vor, wie ihn die EU nach der Flüchtlingskrise von 2015 mit der Türkei abgeschlossen hatte.

In Tunesien wird die politische Situation immer instabiler; für den Fall, dass die Regierung von Kais Saied stürzen sollte, befürchten italienische Geheimdienste einen neuen Exodus wie in den Zeiten des arabischen Frühlings: Hunderttausende junger Tunesierinnen und Tunesier könnten sich auf den Weg nach Italien und nach Europa machen. (aargauerzeitung.ch)

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26 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kalimat
12.04.2023 22:26registriert August 2022
Was viele nicht verstehen, ist dass das nicht nur Flüchtlingswellen sind die mal stärker mal schwächer sind. Wir werden(sind) Zeuge einer Völkerwanderung. Ich mein schaut euch mal Afrika, den nahen und mittleren Osten an, dann sieht man wie viele Länder und somit Menschen in ihrer Existenz bedroht sind. Deswegen ist Notstand das richtige Wort und wir brauchen endlich mal eine einheitlich koordinierte Strategie. Für die Flüchtlinge und für uns.
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Firefly
12.04.2023 20:18registriert April 2016
Afrika ist jetzt doch Xi und Putin Land. Also bitte auch nach Russland uns China flüchten.
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QX7!Z1
12.04.2023 19:58registriert Dezember 2021
Italien muss handeln. Die kriminellen Schlepperbanden, die als humanitäre Hilfsorganisationen verkleidet, tausende Analphabeten nach Europa schleusen, müssen gestoppt werden. Die Probleme müssen lokal gelöst werden, durchaus mit Wirtschaftshilfe aus Europa.
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