Das Erdbeben mit der Stärke 4,6 auf der Richterskala ereignete sich am Montag um 12.37 Uhr. Darauf folgten mehrere Nachbeben. Das Epizentrum befand sich laut Angaben des italienischen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) in knapp 5 Kilometer Tiefe vor der Küste der Kleinstadt Bacoli, einer der insgesamt neun Gemeinden in den vulkanisch aktiven Phlegräischen Feldern.
Das Erdbeben wurde auch im nur wenige Kilometer östlich von Bacoli liegenden Neapel deutlich wahrgenommen. Die Behörden haben sicherheitshalber den regionalen Zugverkehr und den Betrieb der Metro in der 900'000-Einwohner-Stadt eingestellt. Gegen Abend verkehrten die Züge wieder regelmässig. Zu grösseren Schäden ist es offenbar im ganzen Erdbebengebiet nicht gekommen.
Bei den Phlegräischen Feldern handelt es sich um einen Supervulkan, der die Anwohner und Behörden mit wiederkehrenden Erdbeben seit Monaten in Atem hält und der im Falle eines Ausbruchs nicht nur für den Grossraum Neapel mit seinen drei Millionen Einwohnern, sondern für ganz Europa verheerende Auswirkungen hätte.
«Das Beben heute war schrecklich, stark und lange anhaltend. Ich hatte das Gefühl, als läge das Epizentrum direkt unter meinen Füssen», schrieb die Userin Pina auf dem von den Anwohnern eingerichteten Internetforum namens «Quelli della zona rossa dei Campi Flegrei» («Die von der roten Zone in den Phlegräischen Feldern»). Auch zahlreiche andere Kommentare liessen erahnen, wie sehr der Bevölkerung der Schreck über das Erdbeben in die Glieder gefahren ist.
Beim gestrigen Erdstoss handelte es sich laut INGV um das stärkste Beben seit Beginn der Messungen vor vierzig Jahren. Bisher galt ein Beben vom März dieses Jahres mit einer Stärke von 4,4 als das heftigste. Verursacht werden die Erdstösse nicht durch tektonische Verschiebungen, sondern durch den Supervulkan mit einem Durchmesser von 12 bis 15 Kilometern, der sich unter dem Gebiet befindet.
Laut einer Studie, die im Herbst 2024 publiziert wurde, steigen seit einigen Jahren Magma und Gase aus einer grossen Magmakammer in rund 8 Kilometer Tiefe in höher gelegene Gesteinsschichten. Durch den immensen Druck hebe sich der Boden des ganzen Gebiets an, was zu Spannungen in der Erdkruste führe, die sich dann in sogenannten Schwarmbeben entlüden, betonte gestern der Direktor des INGV, Mauro Antonio Di Vito. Insofern sei das neue Beben «nicht überraschend gekommen».
Die Geschwindigkeit, mit welcher sich der Boden über dem Supervulkan anhebt, hat sich seit Jahresbeginn verdoppelt: Statt wie zuvor um etwa 1,5 Zentimeter pro Monat hebt sich die Erde im Gebiet nun um etwa 3 Zentimeter. Insgesamt hat sich die Erdoberfläche bereits um über zwei Meter angehoben.
Die Wahrscheinlichkeit für einen in naher Zukunft bevorstehenden Ausbruch des Supervulkans wird von Geophysikern und Vulkanologen unterschiedlich beurteilt. Laut dem früheren Direktor des INGV, Giuseppe De Natale, ist dieses Szenario zwar nicht auszuschliessen, aber im Moment deute in dem intensiv überwachten Gebiet trotz der häufigen Erdbeben wenig auf eine bevorstehende Eruption hin.
Der letzte verheerende Ausbruch, der das Klima auf der ganzen Welt verändert hatte, liegt 39'000 Jahre zurück. Dann folgten kleinere Ausbrüche, der letzte im Jahr 1538, als der Monte Nuovo entstand. «Vor diesem Ausbruch hatte sich der Boden während mehr als hundert Jahren angehoben, mit zum Teil sehr starken Erdbeben», betont De Natale.
Die letzte Ausdehnungsphase, bei der es ebenfalls zu zahlreichen Erdbeben gekommen war, wurde in den 1980er-Jahren registriert, danach beruhigte sich der Supervulkan, und der Boden senkte sich wieder – ohne Ausbruch. Das sei heute aber kein Grund zur Entwarnung, betont De Natale: «Die derzeitige Lage ist beunruhigend und sollte nicht unterschätzt werden», betont der Geophysiker.
Mit Blick auf die immer stärker werdenden Erdbeben hatte er sich schon vor Monaten für gezielte partielle Evakuierungen ausgesprochen – ohne dass solche seitdem angeordnet wurden.