Am Dienstagabend fielen innerhalb weniger Stunden über 300 Liter Regen pro Quadratmeter in Teilen der spanischen Region Valencia. Viele Tote gab es auch an anderen Orten an der Küste. Die Zerstörungen sind massiv. Der spanische Wetterdienst hat für den Freitag in mehreren Teilen im Südwesten des Landes die höchste Warnstufe wegen Starkregens ausgerufen.
Gota fría steht für kalter Tropfen. «Kaltlufttropfen entstehen, wenn sich bei einem Kaltluftvorstoss nach Süden ein Tropfen aus Kaltluft ablöst», erklärt Erich Fischer, Klimatologe an der ETH Zürich. «Daraus entstehen Tiefdruckgebiete, die sich oft nur langsam und unkontrolliert bewegen und zu sehr grossen Regenmengen führen.» Gota fría basiert somit auf den stark schwankenden Temperaturen von Meer und Luft und entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben. Und zwar in den Monaten September und Oktober.
Das Tiefdruckgebiet eines Gota fría dreht sich jeweils im Gegenuhrzeigersinn und hat somit grosse Mengen von feuchter Luft zur spanischen Küste transportiert. Im Tiefdruckgebiet haben sich dann in der Region Valencia Gewitterzellen gebildet. «Diese blieben während Stunden fast über der gleichen Region stationär stehen und haben sich ausgeregnet. Die Regenmengen waren dort lokal noch viel grösser als anderswo entlang der Küste», sagt Fischer.
«Die extrem hohen Temperaturen des Mittelmeers haben die Wirkung dieses Höhentiefs enorm verstärkt, indem sie die Verdunstung hoch hielten und so den Wasserdampf zur Verfügung stellten, der danach als Regen oder Hagel wieder herunterkam», ergänzt Nicolas Gruber, Ozeanspezialist an der ETH.
«Ein ähnliches Phänomen sehen wir bei den tropischen Wirbelstürmen, den Hurrikans und Taifunen», sagt Gruber. Diese ziehen ihre Energie direkt aus dem warmen Meerwasser. Daher können sich diese tropischen Wirbelstürme rapide intensivieren, wenn sie über besonders warmes Meerwasser hinwegziehen. «Diesen Effekt sah man kürzlich beim Hurrikan Millton, der sich innerhalb weniger Stunden enorm verstärkte und zu einem der stärksten Hurrikans der Geschichte wurde.»
«Ähnliches geschah vor ein paar Wochen in Ostmitteleuropa, wo die hohen Wassertemperaturen der Adria die Wirkung der kalten Tropfen verstärkt haben», sagt Fischer. Diese Wetterlage brachte ebenfalls enormen Niederschlag nach Kroatien, Österreich und Tschechien.
Kaltluftropfen waren schon verantwortlich für frühere Hochwasser in der Region Valencia, wie zum Beispiel im Jahr 1957. «Kaltlufttropfen gab es also schon immer, und das Tiefdruckgebiet war diese Woche wohl nicht einmalig stark ausgeprägt. Aber dieses Ereignis spielt sich heute in einer wärmeren Atmosphäre mit wärmerer und feuchterer Luft ab», sagt Fischer. Wegen des sehr warmen Meeres sind die Ereignisse heute intensiver.
Nebst dem Niederschlag waren noch eine Reihe weiterer Faktoren wichtig und hatten Einfluss auf die Grösse und Intensität der Überschwemmungen und der Zerstörung. Das sind Bodenversiegelung, Abholzung, Eindämmung von Flüssen und weiteres. «Das hat mit guter Wahrscheinlichkeit die Wirkung der rekordhohen Niederschläge verstärkt», sagt Gruber.
«Die Anzahl Todesopfer war sicher besonders hoch, weil es ein sehr dicht besiedeltes Gebiet betroffen hat», sagt Erich Fischer. Das Wasser läuft schlecht ab, weil die Erosion und Versiegelung der Böden dabei eine zentrale Rolle spielen. «Menschen sind in Gebieten wegen Hochwasser gestorben, in denen es gar nicht so extrem geregnet hat, sondern in denen Flüsse von weiter landeinwärts über die Ufer getreten sind, sagt Fischer.
Die Rolle des Hochwasserschutzes, der Katastrophenwarnung und die politische Verantwortung müssten hinterfragt werden. «Weshalb sind in Valencia so viele Leute gestorben, während in Wien, das auch sehr dicht besiedelt ist, nur wenige Leute gestorben sind?», fragt Fischer. Ob das nur Zufall war oder ob im Vorfeld zu wenig in den Hochwasserschutz investiert wurde, müsse untersucht werden. Fischer erwähnt in diesem Zusammenhang, dass auch im Wallis Hochwasserschutzprojekte gestoppt wurden.
«Ob Kaltlufttropfen mit dem Klimawandel häufiger werden, ist eine spannende, aber offene Frage der Wissenschaft. Wir können diese noch nicht beantworten», sagt der Klimatologe Fischer. Die unglaubliche Häufung in diesem Herbst werfe natürlich die Frage auf, inwiefern das Zufall sei. Sicher ist nur, dass bei einem Gota fría die Niederschläge heute extremer sind.
Und Gruber sagt, es könne empirisch aufgezeigt werden, dass die globale Erwärmung Starkniederschläge verstärke. «Ob sie häufiger werden, ist hingegen nicht erwiesen.» Sorgen bereiten Gruber zudem die Auswirkungen der viel zu warmen Meerestemperaturen auf die Meeresflora und -fauna. (aargauerzeitung.ch)