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Unwetter in Spanien: «Viele haben seit Dienstag nicht gegessen»

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In den Unwetter-Gebieten fehlt es vor allem an Wasser: Menschen in Paiporta, Valencia, füllen mitgebrachte Flaschen. Bild: keystone

«Die Menschen sind von der Aussenwelt abgeschnitten» – so geht es Betroffenen in Valencia

Nach dem Unwetter in Valencia herrscht in den betroffenen Gebieten Ausnahmezustand. Angehörige erzählen, was ihre Familien vor Ort erleben.
31.10.2024, 20:0804.11.2024, 16:45
Hanna Hubacher
Hanna Hubacher
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Valencia erlebt düstere Stunden und Tage, nachdem ein verheerendes Unwetter in den südlichen Vororten der Stadt am Dienstag zu schweren Überschwemmungen geführt hat. Bilder von sich stapelnden Autos in schlammbedeckten Strassen und entlang zerstörter Autobahnen gehen um die Welt. Die Behörden sprachen zunächst von mindestens 95 Todesopfern, im Verlauf des Donnerstags stieg die Zahl auf 155 – allein in der Region Valencia.

Das Unwetter, das durch das Wetterphänomen «Dana» verursacht wurde, ist jedoch noch nicht überstanden. Wetterdienste und Behörden warnen vor weiteren Unwettern in den kommenden Tagen.

«Der meteorologische Notstand ist nicht vorbei.»
Aemet, offizieller meteorologischer Dienst der Region Valencia auf «X»

watson hat mit mehreren Personen aus der Region Valencia gesprochen, deren Angehörige in überschwemmten Dörfern und Städten wohnen.

Eine von ihnen ist África Piqueras. Die 26-Jährige, die in der Stadt Valencia wohnt, teilt seit Dienstag alle Informationen, die sie über die Polizei oder durch ihre Familienangehörigen vor Ort zur Situation in den betroffenen Dörfern erhält, auf ihrem Instagram-Profil.

Ihre Familie lebt in Catarroja, einer der am stärksten vom Unwetter betroffenen Vororte. Gegenüber watson schildert sie am Donnerstagmittag, was sie über die Zustände vor Ort weiss.

«Es ist unmöglich, die Stadt zu erreichen, die Menschen sind von der Aussenwelt abgeschnitten. In vielen Vierteln gibt es immer noch keinen Strom, kein Wasser, kein Gas, Leute plündern Supermärkte, man kann nichts kaufen. Und natürlich können sie auch nicht duschen, sie können nicht auf die Toilette gehen, viele Menschen haben seit Dienstag nichts mehr gegessen. Heute sind die Rettungsdienste eingetroffen und haben damit begonnen, Tote zu bergen. Es gibt ausserdem viele Angehörige, die immer noch nichts über ihre Bekannten oder ihre Liebsten wissen.»

Ihre eigene Familie ist in Sicherheit, zeitweise kann sie mit ihnen kommunizieren.

Eine weitere Person mit Familienangehörigen in Catarroja erzählt watson, die Lage sei «sehr hässlich».

«Meine Familie hat ihr Zuhause und alles, was sie besitzen, verloren. Ich kann mich kaum mit ihnen verständigen.»

Nebst Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften seien es vor allem die Leute vor Ort, die Hilfe leisten würden.

«Die, die auf die Strassen gehen, sind die Nachbarinnen und Nachbarn selbst. Sie bergen Leichen aus Garagen, Wohnungen, Autos. Es hat überall Tote. Mein Eindruck ist, dass es viel schlimmer ist, als offiziell kommuniziert wird.»

Piqueras erzählt am Donnerstag von den bangen Stunden zwei Tage zuvor, als die Dörfer überschwemmt wurden.

«Als die Fluten kamen, war meine Mutter draussen auf der Strasse. Ich telefonierte mit ihr, da fing sie plötzlich an, zu schreien. Sie legte auf und das nächste, was ich mitbekam, war, dass sie versuchte, Menschen zu retten und in den Häusern in Sicherheit zu bringen.»

Ihr Bruder war in der Nacht auf Mittwoch in einem Supermarkt eingeschlossen, irgendwann sei der Kontakt abgebrochen. Um 1 Uhr nachts wurden Meldungen erster Todesopfer bekannt: «Ich wusste, dass es Tote gab, und dachte gleich an meinen Bruder.» In den frühen Morgenstunden wurden er und weitere Eingeschlossene schliesslich befreit.

Das Wasser sei rasant angestiegen, so eine Frau mit Angehörigen in Sedaví, ein weiterer betroffener Ort, gegenüber watson:

«In einem Moment reichte ihnen das Wasser bis zu den Knöcheln, Minuten später bis zur Hüfte.»

Ihre Angehörigen hätten einen Nachbarn aus dem Untergeschoss retten können, indem sie seine Fenster eingeschlagen hätten. «Er wäre sonst ertrunken.»

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Ein Bild der Verwüstung in Catarroja, am 31. Oktober 2024.Bild: keystone

Hilferufe in den sozialen Medien

Das Wasser ist mittlerweile weg, doch die Not bleibt. Mehrere Personen mit Kontakten vor Ort berichten gegenüber watson, dass von den Überschwemmungen betroffene Dörfer seit Dienstag ohne Wasser und Strom seien. Die Internetverbindung und das Netz würden ständig zusammenbrechen, manche hätten keine Möglichkeit, ihre Angehörigen zu kontaktieren.

Diese versuchen teilweise aus der Stadt Valencia, die weitgehend verschont blieb, Hilfe zu organisieren. Neben Aufrufen zu Spenden von Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten werden Notfallnummern und schwer zugängliche Informationen zum Zustand einzelner Dörfer und Quartiere geteilt.

«Die Hilfe findet vor allem unter den Menschen selbst statt.»
África Piqueras

Einige versuchten am Donnerstag, zu Fuss in die betroffenen Vorstädte zu gelangen, um nach ihren Familien zu suchen oder dringend benötigtes Wasser und Lebensmittel in die Gebiete zu bringen.

Über die sozialen Medien suchen Menschen ausserdem seit Dienstagabend nach ihren Eltern, Freundinnen oder Arbeitskollegen. Ein eigens dafür kreierter Instagram-Account sammelt Vermisstmeldungen. Bilder von jungen Menschen, Betagten, ganzen Familien oder Haustieren werden dort gepostet, mit dem Hinweis, wo sie zum letzten Mal gesehen wurden und wann der Kontakt abbrach. Einige tauchen wieder auf, andere bleiben seit Dienstagabend vermisst.

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Eine Frau geht durch die Strassen von Catarroja, 31. Oktober 2024.Bild: keystone

Das Unverständnis ist gross

Zur Sorge kommt bei den Angehörigen die Wut über das Vorgehen der Behörden. «Eigentlich sind wir seit Montag in Alarmbereitschaft», so Piqueras aus Valencia zu watson. Die meteorologischen Dienste hätten da bereits vor dem auf der iberischen Halbinsel bekannten Wetterphänomen «Dana» gewarnt.

Universitäten sagten ihren Unterricht infolge der Unwetterwarnungen ab, viele Arbeitgeber hätten ihre Angestellten aber dennoch einbestellt. Im Süden Valencias befindet sich viel Industrie, Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter waren zum Teil noch am Donnerstag in den Fabriken eingeschlossen, so eine Person vor Ort gegenüber watson.

Kein Verständnis hat Piqueras vor allem für die offizielle Kommunikation am Unwettertag. Nachdem der Regen in Valencia am Dienstagmorgen aufgehört habe, sei am Nachmittag die Entwarnung der Behörden gekommen, so Piqueras.

«Die Regierung der Comunidad Valenciana sagte am Dienstagnachmittag, dass um 18 Uhr alle Gefahren vorüber sein würden, und um 19.30 Uhr waren die Dörfer überflutet.»

Kurz nach 20 Uhr habe die Regierung schliesslich einen Handyalarm herausgegeben und die Menschen aufgefordert, ihr Haus nicht zu verlassen.

Piqueras ist von der Regierung der Comunidad Valenciana enttäuscht und hofft auf Konsequenzen:

«Das war fahrlässig. Ich finde, dass die Regierung in Valencia zurücktreten sollte.»

Das Wichtigste sei nun aber, dass Hilfe in den betroffenen Gebieten ankomme und alle, die noch eingeschlossen oder vermisst seien, gerettet oder geborgen werden könnten. Was danach kommt, davor fürchtet sich Piqueras allerdings bereits jetzt.

«Jetzt stehen die Leute noch unter Anspannung und helfen, wo sie können. Sie versorgen ältere Leute, die nicht aus ihren Wohnungen können, nehmen Menschen, die sie nicht kennen, in ihren Wohnungen auf. Wenn das alles vorbei ist, wird das aber auch psychologische Folgen haben.»

Eindrücke des Unwetters am Dienstag:

Video: watson/emanuella kälin
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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Firefly
31.10.2024 20:49registriert April 2016
Anstatt der Regierung Kündigen sollte man vielleicht die Flüge noch billiger machen, noch mehr Autos produzieren und Strassen bauen und noch viel viel mehr konsumieren.
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Pal_01
31.10.2024 21:41registriert Juli 2020
Nein zum Autobahnausbau, Wind- und Solarenergie ausbauen, Flugpreise erhöhen, pflanzliche Lebrnsmittel fördern usw.

Ansonsten sehe ich schwarz für die Menschheit. Oder wie genau soll man sich an solche Ereignisse anpassen?
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