Valencia erlebt düstere Stunden und Tage, nachdem ein verheerendes Unwetter in den südlichen Vororten der Stadt am Dienstag zu schweren Überschwemmungen geführt hat. Bilder von sich stapelnden Autos in schlammbedeckten Strassen und entlang zerstörter Autobahnen gehen um die Welt. Die Behörden sprachen zunächst von mindestens 95 Todesopfern, im Verlauf des Donnerstags stieg die Zahl auf 155 – allein in der Region Valencia.
Das Unwetter, das durch das Wetterphänomen «Dana» verursacht wurde, ist jedoch noch nicht überstanden. Wetterdienste und Behörden warnen vor weiteren Unwettern in den kommenden Tagen.
watson hat mit mehreren Personen aus der Region Valencia gesprochen, deren Angehörige in überschwemmten Dörfern und Städten wohnen.
Eine von ihnen ist África Piqueras. Die 26-Jährige, die in der Stadt Valencia wohnt, teilt seit Dienstag alle Informationen, die sie über die Polizei oder durch ihre Familienangehörigen vor Ort zur Situation in den betroffenen Dörfern erhält, auf ihrem Instagram-Profil.
Ihre Familie lebt in Catarroja, einer der am stärksten vom Unwetter betroffenen Vororte. Gegenüber watson schildert sie am Donnerstagmittag, was sie über die Zustände vor Ort weiss.
Ihre eigene Familie ist in Sicherheit, zeitweise kann sie mit ihnen kommunizieren.
Eine weitere Person mit Familienangehörigen in Catarroja erzählt watson, die Lage sei «sehr hässlich».
Nebst Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften seien es vor allem die Leute vor Ort, die Hilfe leisten würden.
Piqueras erzählt am Donnerstag von den bangen Stunden zwei Tage zuvor, als die Dörfer überschwemmt wurden.
Ihr Bruder war in der Nacht auf Mittwoch in einem Supermarkt eingeschlossen, irgendwann sei der Kontakt abgebrochen. Um 1 Uhr nachts wurden Meldungen erster Todesopfer bekannt: «Ich wusste, dass es Tote gab, und dachte gleich an meinen Bruder.» In den frühen Morgenstunden wurden er und weitere Eingeschlossene schliesslich befreit.
Das Wasser sei rasant angestiegen, so eine Frau mit Angehörigen in Sedaví, ein weiterer betroffener Ort, gegenüber watson:
Ihre Angehörigen hätten einen Nachbarn aus dem Untergeschoss retten können, indem sie seine Fenster eingeschlagen hätten. «Er wäre sonst ertrunken.»
Das Wasser ist mittlerweile weg, doch die Not bleibt. Mehrere Personen mit Kontakten vor Ort berichten gegenüber watson, dass von den Überschwemmungen betroffene Dörfer seit Dienstag ohne Wasser und Strom seien. Die Internetverbindung und das Netz würden ständig zusammenbrechen, manche hätten keine Möglichkeit, ihre Angehörigen zu kontaktieren.
Diese versuchen teilweise aus der Stadt Valencia, die weitgehend verschont blieb, Hilfe zu organisieren. Neben Aufrufen zu Spenden von Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten werden Notfallnummern und schwer zugängliche Informationen zum Zustand einzelner Dörfer und Quartiere geteilt.
Einige versuchten am Donnerstag, zu Fuss in die betroffenen Vorstädte zu gelangen, um nach ihren Familien zu suchen oder dringend benötigtes Wasser und Lebensmittel in die Gebiete zu bringen.
Über die sozialen Medien suchen Menschen ausserdem seit Dienstagabend nach ihren Eltern, Freundinnen oder Arbeitskollegen. Ein eigens dafür kreierter Instagram-Account sammelt Vermisstmeldungen. Bilder von jungen Menschen, Betagten, ganzen Familien oder Haustieren werden dort gepostet, mit dem Hinweis, wo sie zum letzten Mal gesehen wurden und wann der Kontakt abbrach. Einige tauchen wieder auf, andere bleiben seit Dienstagabend vermisst.
Zur Sorge kommt bei den Angehörigen die Wut über das Vorgehen der Behörden. «Eigentlich sind wir seit Montag in Alarmbereitschaft», so Piqueras aus Valencia zu watson. Die meteorologischen Dienste hätten da bereits vor dem auf der iberischen Halbinsel bekannten Wetterphänomen «Dana» gewarnt.
Universitäten sagten ihren Unterricht infolge der Unwetterwarnungen ab, viele Arbeitgeber hätten ihre Angestellten aber dennoch einbestellt. Im Süden Valencias befindet sich viel Industrie, Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter waren zum Teil noch am Donnerstag in den Fabriken eingeschlossen, so eine Person vor Ort gegenüber watson.
Kein Verständnis hat Piqueras vor allem für die offizielle Kommunikation am Unwettertag. Nachdem der Regen in Valencia am Dienstagmorgen aufgehört habe, sei am Nachmittag die Entwarnung der Behörden gekommen, so Piqueras.
Kurz nach 20 Uhr habe die Regierung schliesslich einen Handyalarm herausgegeben und die Menschen aufgefordert, ihr Haus nicht zu verlassen.
Piqueras ist von der Regierung der Comunidad Valenciana enttäuscht und hofft auf Konsequenzen:
Das Wichtigste sei nun aber, dass Hilfe in den betroffenen Gebieten ankomme und alle, die noch eingeschlossen oder vermisst seien, gerettet oder geborgen werden könnten. Was danach kommt, davor fürchtet sich Piqueras allerdings bereits jetzt.
Ansonsten sehe ich schwarz für die Menschheit. Oder wie genau soll man sich an solche Ereignisse anpassen?