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Frankreich am Ende seiner Kräfte

French Prime Minister Francois Bayrou leaves after addressing the National Assembly, prior to a parliamentary confidence vote that could bring him down, in paris, France, Monday, Sept. 8, 2025. (AP Ph ...
François Bayrou am Ende seiner Rede in der Nationalversammlung. Paris, 8. September 2025.Bild: AP
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Frankreich am Ende seiner Kräfte

Am Montagabend ist die Regierung Bayrou gestürzt – die vierte in nur drei Jahren. Die Blockade wirkt komplett: ob beim Budget, in der Politik oder in den Institutionen. Das eigentliche Problem aber ist, dass sich die Französinnen und Franzosen auf keine Lösung einigen können.
08.09.2025, 20:2408.09.2025, 20:39
Antoine Menusier
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Seit Monaten, Jahren, ja Jahrzehnten klagt Frankreich die Welt über seine angeblich unlösbaren Probleme an: Schulden, Migration, Deindustrialisierung. Jahrzehnte voller Klagen, Demonstrationen und fehlender Lösungen – oft aus Angst vor Gewalt. Der soziale Frieden wurde mit immer neuen Milliarden aus den Staatskassen erkauft. Seit 50 Jahren gibt Frankreich mehr aus, als es einnimmt.

Bekannt für seine erfolglosen Kreuzzüge gegen die Verschuldung ist François Bayrou nun ausgerechnet über ein Budgetprojekt gestürzt, mit dem er die französischen Zinsen auf den Märkten senken wollte. Doch das Gegenteil trat ein: Der Satz stieg auf 3,6 Prozent – höher als in Italien. Die Staatsverschuldung klettert derweil auf 3300 Milliarden Euro, ebenfalls auf italienischem Niveau. Nur gilt Melonis Italien inzwischen als sorgfältigerer Verwalter als Macrons Frankreich.

Die ständige Angst vor Aufruhr

Wären die Rücktritte der französischen Regierungen seit Macrons Wiederwahl 2022 – vier in drei Jahren – wenigstens der Auftakt zu einer parteiübergreifenden Einigung, um dem Land endlich mehr finanziellen Spielraum zu verschaffen. Doch ohne Wunder wird sich eine solche Dynamik wohl frühestens bis zur Präsidentschaftswahl 2027 einstellen.

Tatsache ist: Die permanente Angst vor Aufständen in Frankreich wird seit 1975 mit immer neuen Defiziten bekämpft – und hat sie dennoch nie verhindert. Für Mittwoch, den 10. September, ist erneut ein Generalstreik angekündigt, der «alles lahmlegen» soll. Sicherheitskreise warnen vor Gewalt, hinter der die radikale Linke stecken soll.

Am verwirrendsten ist, dass kaum klar ist, was die Französinnen und Franzosen überhaupt wollen – ausser natürlich, von ihrer Arbeit leben zu können, vor allem jene, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Soll der Staat durch weniger Ausgaben – die höchsten in Europa – wieder mehr Spielraum für Investitionen bekommen? Oder überwiegt die alte Versuchung der Robespierristen um Mélenchon, eine Revolution anzuzetteln, die im Chaos enden würde? Vorerst präsentieren sich die Sozialisten als Ausweg zwischen den Extremen – mit dem Plan, die «Superreichen» stärker zu besteuern.

«Den Rassemblement National (RN) einbinden?»

Ein Teil der Erklärung für die französische Blockade könnte auch darin liegen, dass es bislang nicht gelungen ist, den Rassemblement National – seit der Europawahl 2019 die stärkste Partei des Landes – in die Regierungsarbeit einzubinden. Rund ein Drittel der Wählerschaft bleibt so von der Macht ausgeschlossen, was für sich genommen bereits ein Problem ist. Nötig wäre eine Lösung, die diese Partei an Entscheidungen beteiligt, ohne ihr gleich alle Schlüssel zur Macht zu überlassen – die sie sich im Fall einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung ohnehin selbst sichern könnte. Dafür gibt es ein Wort: Koalition.

Die Fünfte Republik mit ihrem Mehrheitswahlrecht sollte Frankreich eigentlich für immer vor der Instabilität der Vierten Republik bewahren – und führt nun doch genau dorthin zurück. Ob eine Öffnung hin zum RN etwas verbessern würde, ist fraglich. Doch sein Ausschluss trägt sowohl zur demokratischen Schwäche als auch zur haushaltspolitischen Blockade des Landes bei.

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Die beliebtesten Kommentare
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frereau
08.09.2025 20:49registriert Januar 2019
Seit 50 Jahren gibt Frankreich mehr aus, als es einnimmt.
Eigentlich ist alles gesagt damit.
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KeinBockaufOligarchen
08.09.2025 20:40registriert September 2025
Also in England läufts auf ernste soziale und ethnische Unruhen zu, Deutschland ist so kapput gespart, dass Brücken einberechen und in Amerika laufen die Maga's seit Jahren Amok. Sogar in den einstigen Häfen von Sicherheit und Stabilität wie Schweden und der Schweiz ist Feuer im Dach bzw. auf der Barrikade.

Aber ja, das neoliberale Experiment abbrechen und zugeben, dass Keynes und Piketty recht haben geht ja nicht. Vielleicht kommt ja nach 40 Jahren Pleite das Trickle down doch noch. Und Flüchtlingsstatus wieder auf Leute begrenzen die tatsächlich aus Kriegsgebieten kommen geht ja auch nicht.
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Andi Weibel
08.09.2025 20:45registriert März 2018
Rechtsextremisten und Faschisten in die Regierung einzubinden hat noch nie irgendwo funktioniert, sondern führte immer zu Chaos und Gewalt.

Warum lernt man nie aus der Geschichte?
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