Der Westen zeigt endlich Zähne
Als Zauderer war Olaf Scholz verschrien, von dem niemand weiss, was er genau will und wo er steht. «Er redet und redet, reiht Phrase an Phrase, und es bleibt einfach nichts hängen», heisst es in einem unverblümten Porträt über den deutschen Bundeskanzler in der «NZZ am Sonntag». Scholz lasse «sein eigenes Land wie die Welt ratlos zurück».
Das betraf nicht zuletzt Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg. Bei den Waffenlieferungen zögerte und zauderte Scholz. Gleichzeitig suchte er den Dialog mit dem Aggressor Wladimir Putin. Nicht nur der scharfzüngige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk nervte sich über den Schlingerkurs des SPD-Kanzlers. Auch die Verbündeten verwarfen die Hände.
Zum Abschluss des Nato-Gipfels in Madrid am Donnerstag aber sprach Olaf Scholz Klartext: «Durch seine aggressive Politik stellt Russland wieder eine Bedrohung für Europa, für die Allianz dar.» Putins Vorwurf, die Nato habe «imperiale Ambitionen», nannte der Kanzler «ziemlich lächerlich». Es sei Putin, «der Imperialismus zum Ziel seiner Politik gemacht hat».
Eine lange Zeit der Konfrontation
Es war ein treffender Schlusspunkt des Gipfelmarathons von EU, G7 und Nato. Dieser zeigte, dass der Westen aus drei Jahrzehnten Selbstgefälligkeit nach dem Kalten Krieg, in denen er sich auf der «Friedensdividende» ausgeruht und sich gegenüber autoritären Regimen blauäugig verhalten hatte, erwacht ist und sich auf die neue Realität einstellt.
«Wir haben es mit der ernsthaftesten Sicherheitslage seit Jahrzehnten zu tun», sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und meinte damit nicht nur den Ukraine-Krieg, sondern auch das immer aggressivere Verhalten Chinas. Die Verteidigungsallianz hat daraus ihre Schlüsse gezogen: Sie stellt sich auf eine lange Zeit der Konfrontation ein.
- Deshalb hat die Nato die wochenlang von der Türkei blockierte Aufnahme von Finnland und Schweden beschlossen. Und eine Blamage vermieden, die den Kreml gefreut hätte. Nun musste Wladimir Putin auf seiner ersten Auslandsreise seit Kriegsbeginn in Turkmenistan die Fakten zur Kenntnis nehmen. Für seine Verhältnisse äusserte er sich ungewohnt zaghaft.
- Deshalb wird die Nato nicht mehr ab-, sondern aufrüsten. Deutschland investiert 100 Milliarden Euro in die ausgepowerte Bundeswehr. Die Allianz selbst will ihre schnelle Eingreiftruppe von 40’000 auf 300’000 Soldaten massiv aufstocken. Der gemeinsame Haushalt wird von den 30 (bald 32) Mitgliedsländern bis 2030 um 20 Milliarden Euro erhöht.
- Deshalb wird die Nato die Waffenlieferungen an die Ukraine intensivieren. In den letzten Wochen wurde über eine wachsende Kriegsmüdigkeit im Westen spekuliert. Nun kündigte US-Präsident Joe Biden ein weiteres Paket von 800 Millionen Dollar an. Deutschland und Frankreich, die in der Waffenfrage lange als Bremser agierten, wollen ebenfalls mehr liefern.
- Deshalb will die Nato mehr schwere Waffen nach Osteuropa verlegen, vor allem nach Polen und ins Baltikum. Nach dem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine fühlt sie sich nicht mehr an Vereinbarungen mit Russland gebunden, in denen sie sich zu Zurückhaltung bei der Präsenz von Truppen und Waffen an ihrer Ostgrenze verpflichtet hatten.
Denn anders, als die linken und rechten Russland-Freunde behaupten, hat die Nato sich lange bemüht, Russland einzubinden. Als sie 2010 in Lissabon letztmals ein neues strategisches Konzept beschloss, sass auch der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew am Tisch. Heute betätigt er sich im Ukraine-Krieg als eifriger Scharfmacher.
«Putin falsch eingeschätzt»
«Der Westen hat die Brutalität und die Ambitionen Putins falsch eingeschätzt», sagte der damalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen der «NZZ am Sonntag». Nun erfolgte die Korrektur. Auch gegenüber China markiert die Nato Präsenz, wie die Einladung an die Indopazifik-Staaten Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea nach Madrid zeigte.
Noch bleibt vieles im Ungefähren, etwa das am G7-Gipfel in Bayern beschlossene Konkurrenzprojekt zu Chinas «neuer Seidenstrasse». Die Suche nach Verbündeten gegen Russland und China ist nicht einfach, besonders wenn es um wirtschaftliche Interessen geht. Und einige westliche Staatenlenker sind innenpolitisch angeschlagen.
Drohender US-Isolationismus
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seine Mehrheit im Parlament verloren. Der britische Premier Boris Johnson klammert sich nur mit Mühe an sein Amt. Und wenn ein Republikaner – er muss nicht Donald Trump heissen – die Präsidentschaftswahl 2024 gewinnen sollte, könnten sich die USA in den Isolationismus zurückziehen.
Für den Moment aber gilt: Der Westen zeigt endlich Zähne. Die einzige Ausnahme ist Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, ein notorischer «Putin-Versteher». Er gab am Freitag in einem Radiointerview zu, dass niemand in EU und Nato seine Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland und sofortigen Friedensverhandlungen unterstütze.
Das ist ein positives Signal. Wenn sich ein «Westentaschen-Autokrat» wie Orban isoliert fühlt, ist die demokratische Welt definitiv auf dem richtigen Weg.
