An Ratschlägen hat es Kamala Harris im Vorfeld der historischen Debatte weiss Gott nicht gefehlt. Sie waren wohl gut gemeint, aber auch sehr widersprüchlich: Sie müsse als erfahrene Staatsanwältin den verurteilten Straftäter Donald Trump einem harten Kreuzverhör unterziehen, rieten die einen. Andere warnten genau davor. Damit würde sie weder die Trumps-Fans noch die so wichtigen, wenn auch wenig übrig gebliebenen unentschlossenen Wählerinnen und Wähler überzeugen.
Wieder andere wollten wissen, dass Harris ihrem Kontrahenten «unter die Haut gehen müsse», will heissen: Sie müsse ihn bis aufs Blut reizen in der Hoffnung, dass er die Nerven verlieren und ausrasten werde. Oder sie wollten wissen, dass Harris bloss eine Wahl habe. Sie müsse den von Joe Biden vorgezeichneten Pfad weiter beschreiten und Trump als Bedrohung für die amerikanische Demokratie darstellen. Eben nicht, lautete das Gegenargument. Damit überhöhe sie den Ex-Präsidenten bloss. Anders als Biden müsse sie Trump verzwergen und ihn als «weird» (seltsam) darstellen.
Von allen Seiten unbestritten war jedoch die Tatsache, dass es in dieser Debatte um sehr viel ging, um nichts weniger nämlich, als wer am 20. Januar 2025 ins Weisse Haus einziehen wird und damit letztlich auch, ob und wie Demokratie und Rechtsstaat in den USA überleben werden.
Unbestritten auch, dass Harris gegen einen Gegner ankämpfen musste, der – um es sehr milde auszudrücken – unorthodox vorgeht. Trump lügt, wenn er den Mund aufmacht, und er verbreitet die absurdesten Verschwörungstheorien. So hat er kürzlich behauptet, ein Kind könne morgens als Knabe zur Schule gehen, dort ohne Einwilligung der Eltern einer Geschlechtsumwandlungs-Operation unterzogen werden und abends als Mädchen wieder heimkehren. Oder er kommt, wie kürzlich bei einem Auftritt vor hochrangigen Geschäftsleuten in New York, zu einer erstaunlichen Erkenntnis: «Kinderbetreuung ist Kinderbetreuung», verkündete er den verblüfften Zuhörern.
Wie will man gegen einen solchen Gegner noch halbwegs vernünftig argumentieren? Harris hielt sich an ihr bewährtes Motto: «Bereite dich sorgfältig vor. Dann schlag zu. Hart.»
Genau das tat sie auch. Nach einem Eingangsgeplänkel um Wirtschaftspolitik, in dem beide ihre sattsam bekannten Positionen vertraten, griff Harris tief in die Trickkiste. Sie machte sich über die Trump-Rallies lustig – und traf damit ins Schwarze. Der Ex-Präsident tappte in die Falle und machte in der Folge genau das, wovor ihn alle Experten gewarnt hatten: Er begann, wild um sich zu schlagen und verhaspelte sich dabei aufs Übelste.
Trump vertrat dabei die absurde These, dass die Kriminalität in allen Ländern fallen würde, ausser in den USA. Der Grund: Alle schieben ihre Mörder, Vergewaltiger und Einbrecher nach Amerika ab. Als er vom Moderator darauf hingewiesen wurde, dass die Kriminalitätsrate gemäss FBI-Statistiken drastisch rückläufig sei, tat er dies als «Fake News» ab.
Übrigens: Anders als bei der Debatte mit Joe Biden korrigierten die Moderatoren Linsey Davis und David Muir immer wieder falsche Aussagen des Ex-Präsidenten.
In der Folge flippte Trump weiter aus. Er begann, Harris als Marxistin zu beschimpfen und wärmte das lächerliche Gerücht auf, wonach Immigranten aus Haiti in der Stadt Springfield (Bundesstaat Ohio) angeblich Hunde und Katzen verzehren würden, etwas, was der Bürgermeister der Stadt dementiert und wofür es keine Beweise gibt. Dass Elon Musk diesen Unsinn auch auf Twitter, Pardon X, postet, zeigt einzig, wie jämmerlich der Zustand dieser Plattform inzwischen geworden ist.
Trump war jedoch inzwischen in Fahrt gekommen. Harris konnte sich entspannt zurücklehnen und lächelnd zuschauen, wie sich der Ex-Präsident immer tiefer in das Loch grub, das er selbst ausgehoben hatte. In der Abtreibungsfrage wiederholte er einmal mehr die unzählige Male widerlegte Lüge, wonach die Demokraten selbst die Abtreibung von Babys gestatten würden, die bereits geboren sind. Dass er dabei den Ex-Gouverneur von Virginia mit demjenigen von West Virginia verwechselte, rundete das schiefe Bild ab.
Richtig peinlich wurde es jedoch, als die Vorfälle vom 6. Januar 2021 zur Sprache kamen. Einmal mehr schob Trump die Schuld Nancy Pelosi, der damaligen Speakerin des Abgeordnetenhauses, in die Schuhe und stellte sich selbst als Unschuldsengel und die Kapitolstürmer als Patrioten dar. Ebenso wiederholte er die Big Lie, obwohl er kürzlich eingestanden hatte, die Wahlen hauchdünn verloren zu haben. Mit der Ausrede, das sei sarkastisch gemeint gewesen, versuchte sich der Ex-Präsident unbeholfen herauszureden.
Obwohl kein Land die Covid-Krise schneller und besser überwunden hat als die USA, kam Trump immer wieder auf die apokalyptische Mär zu sprechen, wonach das Land vor dem Abgrund stehe. Damit lieferte er Harris die gewünschte Steilvorlage. Sie konnte sich vom Ex-Präsidenten abheben und sich als Präsidentin mit einer optimistischen Vision profilieren, mit einer Vision, in der alle Menschen eine Chance auf Wohlstand haben.
Nicht nur inhaltlich konnte sich Harris deutlich von Trump absetzen, auch visuell gelang ihr dies – und gemäss Kommunikationsexperten ist dies weit wichtiger als alles andere. Die Vize-Präsidentin blieb stets cool, aber nie überheblich und lächelte oft, aber nicht aufreizend. Trump hingegen guckte meist hässig in die Kameras und wirkte dabei so, wie er ja auch ist: sehr alt.
Kein Wunder also, dass die Wahlkampf-Manager von Harris schon Minuten nach der Debatte erklärten, die Vize-Präsidentin sei gerne bereit für ein Rückspiel.
Warum nur hat er diesem Duell zugestimmt? Egal.
Harris 2024 🇺🇸
Zudem hat sich Taylor Swift öffentlich zu Harris bekannt.
Wenn nichts Drastisches passiert, dürfen wir uns auf die erste Präsidentin der USA freuen 👍😄