Erst einmal ein Geständnis: Obwohl ich in keiner Weise monarchistisch veranlagt bin, haben mich gekrönte Häupter stets fasziniert. Für die Briten gilt das erst recht, nicht zuletzt aus historischen Gründen. Kein kontinentales Königshaus hat über die Jahrhunderte eine ähnlich unterhaltsame Show geboten, angefangen beim sagenhaften König Artus.
Und jetzt das. Am Samstag fand erstmals seit 70 Jahren eine Krönung in London statt. Der vermeintliche Neuanfang nach der schier endlosen Regentschaft von Elizabeth II. aber erwies sich als dröge und anachronistische Zeremonie, in der ein müder alter Mann mit allerlei Firlefanz konfrontiert wurde und mit einigen Mühen eine Krone aufgesetzt erhielt.
Auch wenn König Charles III. und Königin Camilla bei der obligaten Balkonszene endlich weniger steif wirkten (und wohl erleichtert waren, dass Peinlichkeiten vermieden werden konnten), stellte man sich die Frage: Sollte das der Auftakt des «karolingischen» Zeitalters gewesen sein? Der Beginn einer neuen Ära für die ruhmreiche britische Monarchie?
Eine historische Klammerbemerkung sei hier angebracht: Die Regentschaft des ersten Karl oder Charles endete 1649 damit, dass er im wahrsten Sinne den Kopf verlor. Zuvor hatte er in einem blutigen Machtkampf mit dem Parlament den Kürzeren gezogen. Die Hinrichtung eines Herrschers von Gottes Gnaden schockierte damals ganz Europa.
Der dritte Karl muss kein solches Schicksal befürchten. Aber in Europa wundert man sich über das Festhalten der Briten an einem mittelalterlichen Ritus. Ein Wechsel an der Spitze einer kontinentalen Monarchie wird heutzutage in einem rein symbolischen Akt vollzogen. Niemand hat Carl Gustaf oder Willem Alexander je mit einer Krone auf dem Haupt gesehen.
Die Briten können oder wollen offenbar nicht anders. Ein Verdacht schleicht sich in die Hirnwindungen: Sie klammern sich ans Mittelalter, weil ihnen die Zukunft abhandenkommt.
Die Anhänger der Republik, die am Samstag auf dem Trafalgar Square demonstriert hatten und von der Polizei irritierend hart angefasst wurden, mögen noch eine Minderheit sein. Aber bei der jungen Generation schwindet die Zustimmung zur Monarchie rapide. Das mag auch an ihrer ungewissen Perspektive nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht liegen.
Die Krönung von Charles III. fand in einer Zeit statt, in der sich die soziale Kluft vertieft. Millionen Briten droht wegen hoher Inflation, steigender Wohnkosten, stagnierender Löhne und zusammengesparten Sozialleistungen die Verarmung. In ganz Grossbritannien gibt es heute fast doppelt so viele gemeinnützige Food Banks wie Filialen von McDonald’s.
Ein Analyst der dänischen Saxo Bank schrieb letztes Jahr, die britische Wirtschaft gleiche «mehr und mehr jener eines Schwellenlandes». Der einzige Unterschied sei das Pfund als stabile Währung. Kurz danach war es auch damit vorbei, als die glücklose Premierministerin Liz Truss mit ihrer Voodoo-Wirtschaftspolitik das britische Pfund in den Abgrund schickte.
Truss’ denkwürdig kurze Amtszeit ist längst Geschichte, ihre Konservative Partei aber büsst bis heute. Bei den Kommunalwahlen in England am letzten Donnerstag verloren die Tories rund 1000 der 8000 zur Wahl stehenden Sitze. Schon 2019 hatten sie 1300 Sitze in den Gemeinderäten eingebüsst. Die Labour-Partei hingegen verbuchte satte Gewinne.
Ein Machtwechsel auf nationaler Ebene liegt in der Luft. An den strukturellen Problemen würde er wenig ändern. Der nationale Gesundheitsdienst NHS befindet sich schon seit Jahren am Anschlag. Jetzt ist nach Ansicht von Insidern der Kipppunkt überschritten. In manchen Gegenden sterben Menschen, weil die Ambulanz nicht rechtzeitig kommt.
In vielen Innenstädten sieht es aus wie in besagten Schwellenländern, oder schlimmer. Der ORF berichtete letzte Woche aus Blackpool, dem einst stolzen Badeort an der Irischen See, einer Geburtsstätte des Massentourismus. Heute ist Blackpool derart heruntergekommen, dass es in einem Armutsindex von 317 britischen Kommunen den letzten Platz belegt.
In diesem Umfeld wirkt nicht nur die pompöse Krönung, sondern die Windsor-Monarchie als Ganze wie ein Anachronismus. Vom religiösen Brimborium ganz zu schweigen. Elizabeth II. konnte solche Widersprüche mit ihrer Persönlichkeit kaschieren. Ob Charles III. gleiches gelingt, ist zu bezweifeln. Sohn Harry etwa hat die Konsequenzen bereits gezogen.
Man kann Charles einen Willen zur Erneuerung nicht absprechen. Im Umgang mit seinen Untertanen wirkt der einst schüchterne und linkische Royal überraschend zugänglich (Camilla sei Dank!). Seine Mutter war in solchen Fällen stets auf Distanziertheit bedacht. Nur bisweilen zeigt Charles Anflüge von Ungeduld und zornigem Temperament.
Absehbar ist auch, dass Charles im Gegensatz zur verstorbenen Queen politische Akzente setzen wird, soweit es die ungeschriebene Verfassung des Königreichs zulässt. Als er EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Unterzeichnung des Windsor-Abkommens eine Audienz gewährte, waren die Brexit-Hardliner entrüstet.
Einen echten Neuanfang aber traut man dem 74-jährigen König nicht zu. Es erstaunt nicht, dass über eine Abdankung in absehbarer Zeit spekuliert wird. Ob es Thronfolger William richten kann? Er mag beliebt sein, doch die Aura des Unverbrauchten ist ähnlich schnell geschwunden wie das Haar auf seinem Kopf. Kontinuität scheint für ihn prioritär zu sein.
Die britischen Royals hatten stets einen hohen Unterhaltungswert. Vielleicht gelingt ihnen die Erneuerung, werden sie fit für die Zukunft. Vielleicht aber ist die Zeit gekommen, um zu sagen: Liebe Windsors, es war schön mit euch. Jetzt dürft ihr abtreten.
Die Monarchie ist eine Schrulligkeit, die sich die Briten anscheinend leisten können & wollen. Also lasst sie doch! Auch nicht peinlicher als den Wilhelm mit der Armbrust als Nationalhelden zu haben.