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«Das Sterben an sich ist sehr einsam geworden während Corona»

Friedhof, Trauernde vor Grab (Symbolbild)
Viele Gräber auf den Friedhöfen sind in den letzten Monaten neu hinzugekommen.Bild: Shutterstock

Deutscher Bestatter: «Das Sterben an sich ist sehr einsam geworden während Corona»

05.12.2021, 13:4205.12.2021, 14:35
Julia Jannaschk / watson.de
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Nicht nur die Neuinfektionen steigen täglich, auch die Zahl der Corona-Verstorbenen klettert in Deutschland jeden Tag weiter in die Höhe. Die Pandemie hat laut RKI bisher (Stand: 5. Dezember) bereits 103'040 Tote gefordert.

Aber wie nimmt man überhaupt Abschied von Angehörigen in dieser schwierigen Zeit? Der Buchautor und Bestatter von Lebensnah-Bestattungen, Eric Wrede, erzählt watson.de von Covid-19-Debatten unter Hinterbliebenen und neuen Herausforderungen aufgrund von Corona-Massnahmen.

Eric Wrede ist Bestatter aus Leidenschaft.
Eric Wrede ist Bestatter aus Leidenschaft.Bild: Erik Weiss

Herr Wrede, wie gestalten sich Bestattungen in Corona-Zeiten?
Eric Wrede:
Die ganz schlimme Phase ist fast vorbei, muss man sagen. Mittlerweile haben sich diverse Regelungen ja gelockert. Mal sehen, wie sich das jetzt wieder entwickeln wird. Wo wir bei der Bestattung Schwierigkeiten gesehen haben, waren eher ganz normale Sachen, die nicht nur Corona-Erkrankte betreffen. Sowas wie die Frage: «Darf ich jemanden im Krankenhaus besuchen, wenn der krank ist?» Viele Krankenhäuser, aber auch Alten- und Pflegeheime haben sehr harte Regeln, was den Besuch angeht. Das Sterben an sich ist sehr einsam geworden während Corona.

«Wie kann man das aufholen, was vielleicht die letzten Monate im Sterbeprozess gar nicht mehr möglich war?»

War das vorher wirklich anders?
Man hat da sicherlich – wie in diversen anderen gesellschaftlichen Bereichen – während Corona einfach nochmal eine Art Brennglas auf die Problematik gehalten. Aber das ist schon etwas, was wir bei unserer Arbeit bei Angehörigen und sicherlich auch bei denen, die versterben, oft als traumatisierend und schmerzhaft erleben: Wenn sie nicht so für ihre Nächsten da sein konnten, wie sie es wollten, weil in der Hochphase von Corona die Krankenhäuser und die Alten- und Pflegeheime gesagt haben: «Liebe Familie, bitte legt euch auf zwei Bezugspersonen fest, die kommen dürfen. Mehr ist uns zu risikovoll.» Die einen haben dann ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht kümmern dürfen, die anderen vereinsamen in den Situationen noch extremer. Häufig sind diese sterbenden Menschen von Corona gar nicht betroffen, sondern ihre Isolation geschieht quasi zum Schutz anderer. Dieses Thema hat uns während der Pandemie sehr beschäftigt: Wie kann man das aufholen, was vielleicht die letzten Monate im Sterbeprozess gar nicht mehr möglich war?

Und wie wurde dieses Abschiednehmen nachgeholt?
Wir haben in der Zeit häufig sogenannte Hausaufbahrungen gemacht. Wo wir Menschen wirklich noch mal aus den Krankenhäusern nach Hause geholt haben, nachdem sie verstorben waren, damit überhaupt so was wie sich Verabschieden im familiären Kontext möglich ist.

Ist der Kontakt mit einem Covid-Verstorbenen denn nicht gefährlich?
Das Robert-Koch-Institut hat schon früh gesagt, dass man mit Corona-Verstorbenen relativ normal umgehen kann – immer unter gewissen Vorsichtsmassnahmen. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass Corona-Verstorbenen eher eine Sondermüll-Entsorgung zugedacht wird, als dass sie noch als Menschen gesehen werden. Das war einfach ein inhaltlicher Fehler. Natürlich müssen wir alle vorsichtig sein, aber jetzt einen totalen Minimaldienst zu machen, nur weil man selber vielleicht ein bisschen Angst vor Corona hat, kann nicht die Lösung sein. Natürlich ergreife ich Vorsichtsmassnahmen wie Maskentragen bei jemandem, der Corona hatte. Aber ich habe jeden Tag im Zweifel mit schlimmeren Erkrankungen zu tun als Corona und da versuchen mein Team und ich trotzdem, einen Abschied zu ermöglichen.

«Corona wurde auch ein bisschen als Ausrede benutzt, um möglichst wenig zu machen. Und das ist etwas, das ich schade fand.»

Was wäre denn ein Minimaldienst?
Minimaldienst heisst für mich immer: rein technische Umsetzung, ohne Trauerbegleitung, ohne das Eingehen auf persönliche Wünsche oder Befindlichkeiten. Das heisst, der verstorbene Mensch wird vom Sterbeort abgeholt, niemand kümmert sich mehr um den Körper und er wird ohne Einbindung von Familie und Freunden beigesetzt. Mein letzter Stand ist, dass das RKI gesagt hat, dass Abschiedshandlungen an Verstorbenen unter Vorsichtsmassnahmen möglich sind. Aber teilweise wurde das einfach nicht mehr gemacht, stattdessen wurde möglichst direkt ins Krematorium gefahren.

Also wäre das Abschiednehmen noch möglich gewesen?
Corona wurde auch ein bisschen als Ausrede benutzt, um möglichst wenig zu machen. Und das ist etwas, das ich schade fand. Denn wie schon erwähnt, konnte man ganz viel noch ermöglichen, wenn man ein bisschen kreativ ist. Ich weiss nicht, wie die nächsten Wochen verlaufen werden und ob es wieder Besucherbeschränkung auch für Trauerfeiern gibt. Wir haben es dann teilweise sehr einfach gelöst und im Zweifel haben wir Trauerfeiern einfach in die Länge gezogen und gesagt, wir machen zwei nacheinander. Man kann immer Antworten finden, wenn man möchte.

«Ihr habt gerade jemanden verloren. Das kann doch nicht sein, dass ihr eure Grabenkämpfe hier noch weiter führt.»

Muss sich also die Bestattungsbranche in Deutschland verändern?
Am Ende ist es auch da so, dass durch Corona ein Brennglas auf die Probleme gehalten wurde, die vorher schon da waren: total runtergesparte Friedhöfe zum Beispiel. Wenn nur ein Mitarbeiter krank wird, sind die so dünn besetzt, dass wochenlang gar nichts mehr passiert. Und es ist ja nicht so, dass da irgendjemand Böses sitzt und sagt: «Wir wollen jetzt keine Beerdigung», sondern die Friedhofswärter müssen sich auch schützen. Das hat das Bestatten mit ganz vielen Bereichen des öffentlichen Lebens gemein, nämlich das Corona gezeigt hat, wo die neuralgischen Punkte sind.

Wie hat sich diese prekäre Situation auf die Beerdigungen selber ausgewirkt?
Ich kenne viele Bestatter, die während Corona nach den Visitationen als erstes gesagt haben: «Ah, eine Urnen-Beisetzung, die verschieben wir möglichst nach hinten.» Da denke ich immer: Wir alle schreien, dass wir eine bessere, oder eine menschlichere Trauerkultur in Deutschland wollen und dann, wo man das mal kurz zeigen könnte im Rahmen einer Pandemie, dürfen wir nicht arbeiten. Genau jetzt könnte man ja zeigen, dass ein Friedhof ein Ort der Wertschätzung ist.

Welche Art von Trauerkultur wäre das denn?
Eine Trauerkultur, die Menschen wirklich hilft, wäre eine Kultur, die zum einen integriert: Mitmachen heisst Verstehen, heisst Annehmen. Haptik ist der Kern von Verstehen, wie Haptik aussehen kann ist für jeden Menschen unterschiedlich. Der eine muss Zeit mit dem verstorbenen Menschen verbringen, die andere muss aktiv werden und Selbstwirksamkeit erleben. Es braucht ausserdem eine Trauerkultur, die sich emanzipiert von althergebrachten Riten: Jeder Ritus ist nur so viel wert, wie er ernsthaft gemeint ist. Gemeinsames Singen kann Einheit und Wärme geben oder eben eine Pflichtveranstaltung sein. Und zum Schluss muss eine Trauerfeier katalysieren: Trauer muss ausgelebt und nicht verdrängt werden, ein lautes Weinen ist langfristig gesünder als jeder heruntergeschluckte Schmerz.

Eric Wrede fordert für Deutschland eine neue Trauerkultur.
Eric Wrede fordert für Deutschland eine neue Trauerkultur.Bild: Shutterstock

Corona und vor allem die Impfung dagegen spalten ja nicht nur die Gesellschaft, sondern auch ganze Familien. Gab es da auch bei der Trauerbegleitung von Corona-Verstorbenen Probleme?
Was ich ganz interessant finde ist, wie lange Leugnen funktioniert. Ich bin kein Arzt und auch kein Experte: Mir ist es relativ egal, woran jemand gestorben ist. Dennoch ist es natürlich interessant, wie dieser Diskurs in Familien geführt wird. Das hatten wir gerade aktuell: Die Oma hat einen Herzinfarkt und kommt ins Krankenhaus, holt sich dort Covid, ist geimpft und verstirbt. Wie da jetzt die Kausalkette ist, wird dir im Zweifel auch kein Arzt zu 100 Prozent sagen können. Ob die Frau schon schwach war oder ob Covid noch das Tüpfelchen auf dem «i» war – am Ende ist mir das aber egal, die Frau ist verstorben. Aber dass das in Familien zu Debatten genutzt wird, um noch mal über den mangelnden Schutz der Impfung zu sprechen, finde ich schon interessant. Also wie weit uns da diese gesellschaftliche Spaltung getrieben hat. Da denke ich: Ihr habt gerade jemanden verloren. Das kann doch nicht sein, dass ihr eure Grabenkämpfe hier noch weiter führt und das als Argument benutzt.

«Solange ich mich über die Krankheit aufrege, habe ich quasi immer noch etwas anderes, mit dem ich mich beschäftigen kann als mit dem Tod selber.»

Wie war das bei den Reden zur Trauerfeier? Haben Sie oder die Angehörigen das Thema Corona als Todesursache angesprochen?
Wir ermutigen meistens die Trauernden, selber eine Rede zu halten. Da waren die meisten in ihrer Trauer gesund genug, Corona nicht in ihrer Rede zu thematisieren. Bei den Reden, die ich gehalten habe, waren mehr die Begleitumstände von Corona Thema, zum Beispiel wie traurig es für die Person war, dass nicht alle kommen konnten, von denen sie das wollte. Wenn du jemanden verlierst, dann ist nicht mehr die grösste Frage: Woran? Sondern dann ist das Schlimmste, dass der Mensch weg ist. Das ist mein Eindruck, aber das kann ich auch nicht verallgemeinernd sagen. Wir beobachten, dass Corona von Trauernden thematisiert wird, wie auch andere Erkrankungen, die zum Tod führen. Aber es geht im Prinzip darum: Wie gehe ich mit der Trauer um? Schaffe ich es, anzunehmen, dass jemand verstorben ist? Solange ich mich über die Krankheit aufrege, habe ich quasi immer noch etwas anderes, mit dem ich mich beschäftigen kann als mit dem Tod selber.

Also dient Corona den trauernden Menschen dazu, sich vom Verlust abzulenken?
Corona ist da echt ein Punkt, der uns immer wieder zeigt, wie wenig gesellschaftliches Wissen um Trauer besteht, weil man jetzt noch mehr auf sich zurückgeworfen ist. Ich mache mir wirklich Gedanken, dass die Trauer der Leute, die sich natürlich erst mal zurückziehen, jetzt noch verstärkt wird.

Warum das?
Es ist eigentlich ein normaler Prozess, dass man nach der Trauerphase irgendwann wieder zurück ins gesellschaftliche Leben kommt und wieder Freunde trifft, aber das konnten Leute zum Teil jetzt lange nicht. Wenn ich trauere und in diesem fast depressiven Zustand bin, dann ist Corona natürlich die perfekte Ausrede, nicht rauszugehen und nichts zu machen. Das Verdrängen ist nicht die unangenehmste Eigenschaft, wenn es um Sterben geht. Da frage ich mich oft, wie die Langzeitfolgen davon sein werden: Man muss das mal hochrechnen. In Deutschland sterben ungefähr jedes Jahr zwischen 800 und 900'000 Menschen. Rechne das mal auf zwei Jahre hoch und überlege dir, wie viele Verwandte oder Freunde der Verstorbenen trauern. Was das für eine Welle nach sich zieht an Menschen, die sich im schlimmsten Falle nicht vernünftig haben verabschieden können.

Welche Langzeitfolgen stellen Sie sich vor?
Das letzte Mal, als wir so viel omnipräsentes Sterben hatten, ist daraus eine Generation geworden, die auf keinen Fall über das Sterben reden wollte: Das sind die Kriegskinder. Wann ausser im Krieg hattest du denn sonst zuletzt jeden Tag so hohe Todeszahlen in den Nachrichten? Das ist schon etwas, das sich durch Corona immens verändert hat: Sterblichkeit ist bewusster, weil sie noch mal stärker ausgesprochen wird.

«Das Elektronische ist kein Ersatz. Es ist was anderes, ob du dabei bist, ob du dich von einem Menschen verabschieden kannst oder ob du zu Hause auf der Couch sitzt.»

Wie waren denn die Trauerfeiern selbst? Auch mal digital?
Na klar, das ist ja fast schon Standard. Gerade in der Hochphase, als Reisen schwierig und Angehörige im Ausland waren. Das schönste Erlebnis war, als wir einen Opa zugeschaltet haben, der die Rede per Facetime gehalten hat. Der Herr war älter und Hochrisikopatient, aber er sagte: «Meine Enkelin ist verstorben, ich kann nicht kommen, aber ich möchte was sagen.» Da ist Digitalisierung auch etwas Tolles, weil ganz viele Sachen funktionieren – mit ein bisschen Kreativität kriegt man die gelöst. Aber man muss natürlich trotzdem sagen, das Elektronische ist kein Ersatz. Es ist was anderes, ob du dabei bist, ob du dich von einem Menschen verabschieden kannst oder ob du zu Hause auf der Couch sitzt.

Hat Corona die Art der Trauerbegleitung verändert?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin auch gespannt, wie es danach wird. Also ob Corona noch mal zeigt, wie wichtig es ist, sich zu verabschieden und dass Leute das mehr wahrnehmen. Ob es weiter so bleibt, dass die Kreise des Verabschiedens kleiner werden.

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8 Kommentare
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Pummelfee
05.12.2021 23:33registriert Mai 2020
Wirklich schlimm war nicht die Beerdigung meines Vaters. Er hatte sich angesteckt und als klar war, dass er das nicht überleben würde, durfte ich eine Viertelstunde zu ihm um Abschied zu nehmen. Sonst keiner. Mein Vater hat sich bis zuletzt vor dem Sterben gefürchtet und musste dann letztendlich allein sterben. DAS ist schlimm.
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