Mit seiner «Person des Jahres» sorgt «Time» regelmässig für Kontroversen. Weniger umstritten, aber nicht weniger interessant ist die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten, die das Magazin jeweils im Frühjahr veröffentlicht. Sie ist Amerika-lastig, was nicht überrascht. Die diesjährige Ausgabe, die am Freitag erschienen ist, ist aus zwei Gründen lesenswert.
Zum einen stehen die Top 100 ganz im Zeichen der Diversitätsdebatte. Noch nie war die Liste vielfältiger, was Geschlecht, Herkunft und Alter betrifft. Bestes Beispiel ist die Snowboarderin und Halfpipe-Olympiasiegerin Chloe Kim, eine Amerikanerin koreanischer Herkunft, die in wenigen Tagen 18 Jahre alt wird. Die 14-jährige Millie Bobby Brown, die in der Netflix-Serie «Stranger Things» mitwirkt, ist gar die jüngste Person, die es je auf die Liste geschafft hat.
Die «Laudatio» auf Brown hat Aaron Paul verfasst, den man aus der Kultserie «Breaking Bad» in guter Erinnerung hat. Womit der zweite spannende Aspekt erwähnt ist: Die «Time»-Redaktion hat erneut prominente Persönlichkeiten gebeten, die 100 Einflussreichen zu würdigen. So stimmt kein geringerer als Microsoft-Gründer Bill Gates ein Loblied auf «unseren» Roger Federer an.
Die grösste Aufmerksamkeit kann wohl Barack Obama für sich beanspruchen. Der frühere US-Präsident, der vergeblich für schärfere Waffengesetze gekämpft hatte, würdigt fünf Überlebende des Schulmassakers in Parkland (Florida). Sie hätten dafür gesorgt, dass die Debatte dieses Mal anders verlaufe: Sie hätten «die Macht, darauf zu beharren, dass Amerika besser sein kann».
Die Parkland-Schüler werden in der Kategorie «Pioniere» ausgezeichnet. Besonders prominent besetzt ist naturgemäss die Künstler-Liste, sowohl bei den Einflussreichen wie ihren Laudatoren. Hollywood-Legende Steven Spielberg erinnert sich an sein Gespräch mit der Schauspielerin und Neu-Regisseurin Greta Gerwig beim Mittagessen der Oscar-Nominierten.
Naomi Watts schreibt über Nicole Kidman, Anne Hathaway über Hugh Jackman und Rosie O'Donnell über Roseanne Barr. Lynda Carter die «Wonder Woman»-Darstellerin in der unfreiwillig komischen Fernsehserie der 1970er Jahre, würdigt «Nachfolgerin» Gal Gadot im letztjährigen Blockbuster. Und John Mayer widmet sich seinem Musiker-Kollegen Shawn Mendes.
Spezielle Konstellationen findet man in der «Leader»-Kategorie: So darf sich Elton John über Prinz Harry und ihren gemeinsamen Kampf gegen Aids äussern, bei dem seine Mutter, Prinzessin Diana, «so wichtige Vorarbeit» geleistet habe. Kanadas Premierminister Justin Trudeau wird von seiner neuseeländischen Amtskollegin Jacinda Ardern gewürdigt, die sich ihrerseits auf der Liste befindet und eine Laudatio von Facebook-Chefin Sheryl Sandberg erhalten hat.
In dieser Kategorie findet man zahlreiche führende Politiker. Auffällig ist die Abwesenheit von Angela Merkel – vielleicht ein Indiz für ihren Autoritätsverlust. Dafür ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vertreten, gewürdigt von IWF-Chefin Christine Lagarde. Und US-Präsident Donald Trump. Der ultrarechte texanische Senator Ted Cruz bezeichnet ihn als «Blendgranate, die von den vergessenen Männern und Frauen in Amerika nach Washington geworfen wurde».
Trumps Gegenspieler, Sonderermittler Robert Mueller, erhält Lob von Preet Bharara, dem vom Präsidenten gefeuerten Ex-Bundesstaatsanwalt von New York. Nur wenige Zeilen umfasst der Text von Newt Gingrich über den kontroversen «Fox News»-Moderator und Trump-Jünger Sean Hannity, aber natürlich erwähnt er darin ihren gemeinsamen Feind, den «Deep State».
Weitere Listen umfassen «Ikonen» und «Titanen» (angeführt von King Roger). Zwei auffällige Konstellationen seien hier noch erwähnt: Die drei Journalisten Ronan Farrow, Jodi Kantor und Megan Twohey, die die sexuellen Übergriffe von Hollywood-Tycoon Harvey Weinstein aufgedeckt hatten und diese Woche mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurden, werden in «Time» von einer ihrer «Kronzeuginnen» gewürdigt, Schauspielerin Ashley Judd.
Und einer der Texte ist namenlos. Er stammt von der weltweit ersten Frau, die ein Baby mit einer transplantierten Gebärmutter zur Welt gebracht hat. Entwickelt wurde diese Behandlung von Giuliano Testa, einen italienischen Chirurgen, der am Universitätsspital von Dallas tätig ist und es mit dieser Leistung auf die «Time»-Liste geschafft hat. Die Kindsmutter aber will anonym bleiben.