In der Nacht auf Freitag haben die USA und Grossbritannien, unterstützt von Verbündeten, Stellungen der Huthi-Rebellen im Jemen angegriffen. Die vom Iran unterstützte radikale schiitische Miliz kontrolliert den Norden des Landes und führt einen Bürgerkrieg gegen die jemenitische Regierung, die wiederum von Saudi-Arabien unterstützt wird. Seit dem Ausbruch des Gaza-Kriegs greifen die Rebellen vermehrt die Schifffahrt im Roten Meer an. Wer sind die Huthi-Rebellen, wofür stehen sie und warum greifen sie Schiffe an?
Die Huthis sind eine politisch-militärische Bewegung im Jemen, die aus der 1994 von Hussein Badreddin al-Huthi gegründeten Vorgängerorganisation «Ansar Allah» (Partisanen Gottes) hervorgegangen ist. Sie gehören zu einem Stammesverband aus dem bergigen Norden des Jemen an der Grenze zu Saudi-Arabien. In konfessioneller Hinsicht sind sie Zaiditen, eine islamische Rechtsschule, die einen Zweig der Schiiten bildet. Die Zaiditen, die im Gegensatz zu den meisten Schiiten nicht an die Rückkehr eines verborgenen Imams – des sogenannten Mahdi – glauben, stellen etwas mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung im Jemen, die mehrheitlich sunnitisch ausgerichtet ist.
Die Entstehungsgeschichte der Huthis reicht bis in die Neunzigerjahre zurück, als die Unzufriedenheit mit dem als korrupt empfundenen Präsidenten Ali Abdullah Saleh zunahm. Saleh bekämpfte die Bewegung ab 2004 mit saudi-arabischer Militärunterstützung, blieb aber erfolglos. Die nunmehr auch militärisch agierenden Huthi konnten 2014 die Hauptstadt Sana'a erobern, worauf eine von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführte Koalition in die Kämpfe eingriff, um die jemenitische Regierung zu stützen. Der seither andauernde Bürgerkrieg im Jemen hat nach UNO-Angaben bis 2022 schätzungsweise 380'000 Todesopfer gefordert; mehrere Millionen Menschen wurden vertrieben.
Die schiitischen Huthis sehen sich selbst als Teil der vom Iran – der schiitischen Vormacht – geführten «Achse des Widerstands» gegen Israel, die USA und den Westen insgesamt, der auch die libanesische Hisbollah, die palästinensische Hamas, verschiedene irakische Milizen und das syrische Assad-Regime zugerechnet werden. Die schiitische Hisbollah-Miliz, die den Libanon politisch und militärisch dominiert, dient den Huthi-Rebellen als Vorbild.
Die Huthi-Rebellen kontrollieren neben der Hauptstadt Sana'a und dem Norden des Landes auch einen grossen Teil der jemenitischen Küste des Roten Meeres. In diesen Regionen lebt der grösste Teil der Bevölkerung des Jemen. Die Huthis erheben in den von ihnen beherrschten Gebieten Steuern und drucken auch Geld. Sie zählten 2010 schätzungsweise 100'000 bis 120'000 Mitglieder – bewaffnete Milizionäre und unbewaffnete Anhänger. Die Miliz verfügt über moderne Waffensysteme mutmasslich iranischer Herkunft wie Panzer, Drohnen, Lenkflugkörper, Raketen, Schnellboote und Seeminen. Laut eigener Angaben hat sie ihre Waffen indes vornehmlich aus Beständen der regulären jemenitischen Armee erobert.
Der jemenitische Bürgerkrieg steht als Stellvertreterkrieg in einem grösseren Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die um die regionale Vorherrschaft rivalisieren. Das wahhabitisch und damit sunnitisch geprägte Saudi-Arabien will verhindern, dass der gesamte Jemen unter die Herrschaft der schiitischen Huthis fällt; die Huthis wiederum sind neben der Hisbollah und der Hamas eine der Speerspitzen des Irans in der Region. Die Miliz erlaubt es dem Mullah-Regime in Teheran, Saudi-Arabien im Jemen mit relativ geringem Aufwand Probleme zu verursachen.
Freilich ist nicht klar, wie gross die Abhängigkeit der Huthis vom Iran ist – es gibt Anzeichen dafür, dass die Miliz nicht direkt dem iranischen Kommando- und Kontrollsystem untersteht und Vorgaben aus Teheran weniger strikt befolgt als etwa die Hisbollah. Direkte Waffenlieferungen aus dem Iran an die Huthis sind schwierig, da die USA und Saudi-Arabien sowohl den Luftraum wie die Seewege kontrollieren. Teheran hat daher seit 2014 im Jemen eine lokale Waffenindustrie aufgebaut. Dabei war die Hisbollah involviert, die auch die Kämpfer der Huthis ausgebildet hat.
Die Huthis haben ihr Waffenarsenal in den vergangenen Jahren genutzt, um Ziele in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu treffen. Gemäss amerikanischer und saudi-arabischer Darstellung stammten die ballistischen Raketen, mit denen die Miliz 2017 die saudi-arabische Hauptstadt Riad beschoss, aus dem Iran. Saudi-Arabien behauptet zudem, der Iran habe den Huthis die Marschflugkörper und Drohnen geliefert, mit denen sie 2019 die saudi-arabische Ölinfrastruktur angriffen.
Die Blaupausen für die Raketen, die von den Huthis seit Beginn des aktuellen Gaza-Kriegs auf Israel abgefeuert wurden, stammen aus dem Iran und dem Libanon. Der Iran bestreitet jedoch, den Huthi-Rebellen solche Waffen geliefert zu haben. Die Lieferung ballistischer Raketen würde gegen ein Waffenembargo des UNO-Sicherheitsrates gegen die Huthi-Miliz verstossen.
Teheran bestreitet auch eine Beteiligung an den Angriffen der Huthis auf die Schifffahrt im Roten Meer. Nach Ansicht der USA soll die Miliz jedoch ohne iranische Geheimdienstinformationen nicht in der Lage sein, die Schiffe anzugreifen. «Wir wissen, dass der Iran stark in die Planung der Operationen gegen Handelsschiffe im Roten Meer involviert war», erklärte die Sprecherin für nationale Sicherheit des Weissen Hauses, Adrienne Watson, laut der Nachrichtenagentur Reuters.
Die britische Zeitung «The Telegraph» berichtete zudem unter Berufung auf anonyme Quellen, rund 200 Huthi-Milizionäre seien in der iranischen Chamenei-Akademie für Seewissenschaften und Technologie trainiert worden. Sie seien sechs Monate lang an der Elite-Akademie in der Region Zibakenar unter dem Kommando der Revolutionsgarde ausgebildet worden.
Der Wahlspruch der Huthis, die in ihrem Herrschaftsbereich im Jemen eine strenge islamische Ordnung eingeführt haben, spiegelt ihre radikal-islamistische Ausrichtung wider: «Gott ist der Grösste, Tod für Amerika, Tod für Israel, Fluch den Juden, Sieg für den Islam.» Der antiisraelische und antijüdische Kurs zeigte sich von Anfang an, etwa als die Huthi die jemenitische Regierung als proisraelisch verurteilten, obwohl diese wie die meisten arabischen Regierungen klar propalästinensisch positioniert war.
Interesting fact about the Houthis: They literally use the Nazi salute, *because* it's the Nazi salute.https://t.co/BjKm1DdbZ4 pic.twitter.com/Jgyu4Fh2OQ
— Noah Smith 🐇🇺🇸🇺🇦 (@Noahpinion) December 23, 2023
Starken Einfluss üben nach wie vor die antisemitischen Predigten von Hussein Badreddin al-Huthi aus, der 2004 getötet wurde. In diesen Predigten, die immer noch auf der Website von Ansar Allah und ihres wichtigsten Fernsehsenders al-Masirah vorhanden sind, propagierte er den Genozid an den Juden, die er mit Affen und Schweinen verglich. Die arabischen und muslimischen Nationen könnten, so al-Huthi, nicht «vom Übel der Juden befreit» werden, es sei denn «durch ihre Ausrottung und durch die Beseitigung ihrer Entität Israel».
Die radikale Feindschaft gegen den jüdischen Staat verschafft der Huthi-Miliz grosse Sympathien in der jemenitischen Bevölkerung. Experten gehen denn auch davon aus, dass ihre Raketenangriffe auf Israel seit Beginn des Gaza-Kriegs und die Drohung, alle Schiffe unter israelischer Flagge anzugreifen, eher eine Art innenpolitischer Botschaft für ihre Gefolgschaft und die jemenitische Bevölkerung seien. Sie seien bisher keine militärische Bedrohung für Israel. Der Gaza-Krieg stelle für die Huthis eine einmalige Gelegenheit dar, ihrer lokalen Bevölkerung ihre propalästinensische, antiisraelische und antiamerikanische Position zu demonstrieren.
Wie die von ihnen auf Israel abgefeuerten Raketen betrachten die Huthi-Rebellen ihre Angriffe auf Schiffe im Roten Meer als Vergeltung für den israelischen Angriff auf den Gazastreifen. Die attackierten Handelsschiffe stehen ihrer Meinung nach mit Israel in Verbindung – die Miliz kündigte laut der BBC an, sie werde jedes Schiff mit Kurs auf Israel angreifen. Es ist nicht klar, ob alle angegriffenen Schiffe tatsächlich dorthin unterwegs waren.
Im November kaperten die Huthi-Rebellen den angeblich israelischen Frachter «Galaxy Leader». Seither haben ihre Angriffe auf Handelsschiffe sich verfünffacht. Da einer der wichtigsten Schifffahrtswege der Welt durch die Meerenge Bab al-Mandab führt, die den Golf von Aden mit dem Roten Meer verbindet, haben diese Angriffe eine starke Wirkung. Bereits haben vier internationale Reedereien angekündigt, ihre Schiffe nicht mehr durch die Meerenge zu schicken: Mediterranean Shipping Company, Maersk, Hapag-Lloyd und der Ölkonzern BP.
Die Angriffe der Huthis auf Handelsschiffe gefährden mittlerweile den gesamten zivilen Schiffsverkehr zwischen dem Suezkanal und der Meerenge Bab al-Mandab, also dem kürzesten Seeweg zwischen Asien und Europa. Durch dieses Nadelöhr werden etwa zehn Prozent des Welthandels transportiert, darunter auch Güter wie Getreide oder Öl.
Handelsschiffe, die mit Israel in Verbindung stehen, nehmen nun die Route um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas, die jedoch bis zu 31 Tage länger dauert. Dies führt zu Lieferverzögerungen und zusätzlichen Kosten. Die französische Reederei CMA CGM hat nach Informationen der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) die Frachtraten für den Containertransport von Asien in den Mittelmeerraum bereits verdoppelt. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Huthi-Rebellen nicht in der Lage sind, die Meerenge komplett abzuriegeln, da ihnen die dazu notwendigen Kriegsschiffe fehlen.
Auch die Schweiz ist von der Bedrohung der freien Schifffahrt am Bab al-Mandab betroffen. Die Schweizer Industrie benötigt für ihre Produktion Rohstoffe und Halbfertigwaren; die Schweiz als Exportnation ist auf die internationale Schifffahrt angewiesen. Das Center for Security Studies der ETH Zürich schreibt laut der «Handelszeitung» in einer Analyse: «Für die stark globalisierte Schweizer Wirtschaft mit ihrer hohen Exportabhängigkeit und ihrem ausgeprägten Bedarf an Rohstoffimporten ist die freie Seeschifffahrt von strategischer Bedeutung.»