Gerade erst hat die Nato ihren 75. Geburtstag gefeiert. Insgesamt sind 32 Länder bislang dem Bündnis beigetreten, die USA gelten als Führungsmacht. Aber ausgerechnet einer der US-Bundesstaaten wird von dem Abkommen nicht ausdrücklich geschützt. Die Insel Hawaii liegt im Pazifik, die Nato ist aber ein Nordatlantisches Verteidigungsbündnis. Folglich würde eine Attacke auf die Insel nicht automatisch den Bündnisfall auslösen. Dieser sieht vor, dass bei einem Angriff auf ein Nato-Land die anderen Mitglieder diesem beistehen müssen.
In Russland schlug vor kurzem der Vorsitzende der Moskau-Universität, Andrej Sidorow, vor, dass sein Land sich ein Gebiet als Ziel aussuchen solle, das nicht durch den Nato-Beistandsartikel 5 geschützt sei. Das berichtet das US-Magazin «Newsweek». Sidorow soll die Aussagen im Fernsehen gemacht haben. «Die Nato schützt alles, ausser einem US-Bundesstaat. Das ist einer, den wir greifen sollten. Das ist, was ich immer schon gesagt habe», wird der Uni-Vorsitzende zitiert.
US-Präsidentschaftskandidat Donalds Trump hatte vor kurzem Russland ermutigt, mit Bündnismitgliedern, die nicht ausreichend an die Nato zahlen, «zu tun, was zum Teufel es wolle». Zwar wird er damit nicht sein eigenes Land gemeint haben, aber offenbar sind in Russland Begehrlichkeiten geweckt worden.
Dass der heutige Bundesstaat nicht Teil der Nato ist, hat historische Gründe: Als das Washingtoner Abkommen 1949 die Grundlage für die Nato legte, war Hawaii noch kein US-Bundesstaat. Zwar liegt es weit von Russland entfernt, aber Experten sehen es dennoch als Risiko an.
Der Leiter der britischen Henry Jackson Gesellschaft, einem konservativen Think Tank, sieht eine Notwendigkeit zum Umdenken. «In Anbetracht der Ausweitung der Nato auf andere Demokratien, die nicht direkt an den Nordatlantik grenzen, aber dennoch mit ihm verbunden sind, wäre es sinnvoll, die Idee einer Ausweitung der Nato auf Hawaii in einer Zeit, in der die Solidarität des Bündnisses noch notwendiger wird, zumindest in Betracht zu ziehen», sagte er «Newsweek».
Auch John Hemmings, von der Denkfabrik Pacific Forum, fordert eine offizielle Einbindung Hawaiis. «Dort fand Pearl Harbor statt», erinnert er in einem Interview mit dem amerikanischen Sender CBS an den Angriff Japans im Zweiten Weltkrieg. Dieser habe die USA erst in den Krieg eintreten lassen.
Jetzt sind die Japaner Verbündete, aber aus Asien könnte eine andere Gefahr drohen. Denn China macht weiterhin Druck auf Taiwan, fliegt dort immer wieder mit Militärmaschinen in den Luftraum. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz und will sie wieder Teil des Mutterlandes werden lassen. Käme es zu einem militärischen Konflikt, wäre die USA zumindest indirekt betroffen. Denn Washington unterstützt Taipeh mit Militärhilfe.
Und selbst wenn es nicht Teil der Nato-Karte ist, hat Hawaii bereits jetzt eine wichtige Bedeutung für das US-Militär. Dort befindet sich das Hauptquartier des Indopazifischen Kommandos. Übrigens ist Hawaii nicht der einzige Teil der USA, der von dem Nato-Abkommen ausgenommen ist. Das Gleiche gilt für Guam, ein US-Territorium im Pazifik, auf dem sich ebenfalls ein Stützpunkt der Marine und der Luftwaffe befindet.
Auf Twitter forderte Jakub Janda, Direktor der Denkfabrik European Values Center for Security Policy in Prag, dass Europa arbeiten sollte, das Verteidigungsgebiet auszuweiten. Das sei auch eine Abschreckung, denn jeder Angriff auf Hawaii oder Guam würde dann ein Angriff auf die 32 Mitgliedsstaaten bedeuten.
Ganz schutzlos ist Hawaii übrigens nicht. Nach Ansicht eines Sprechers des US-Verteidigungsministeriums wird der Nato-Artikel 4 auch den Bundesstaat abdecken.«Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind», steht dort.
Ob es tatsächlich zu einer Aufnahme Hawaiis kommen wird, ist unklar. Denn damit könnte auch ein Präzedenzfall für Länder geschaffen werden, die Gebiete ausserhalb der Nato-Grenze haben. Dazu gehören die Falklandinseln, die unter britischer Verwaltung stehen. Als Argentinien diese besetzte, griff die Nato nicht ein.