Die vierte Corona-Welle in Österreich ist ausser Kontrolle. Die Bundesregierung wollte mit einem Lockdown für Ungeimpfte der Lage Her werden, aber das funktionierte nicht. Die Intensivstationen der Kliniken sind überlastet, auch das Meldesystem für Corona-Infektionen kollabierte bereits.
Für das ganze Chaos gibt es vor allem einen Grund: zu wenig Menschen haben sich impfen lassen – ähnlich wie in Deutschland. Deshalb reagiert die Regierung nun mit einer Impfpflicht ab Februar. Dieser Schritt erscheint als letzter Ausweg für die Politik und wird auch in Österreich stark diskutiert. Denn auch im Nachbarland gibt es eine grosse Anzahl von Impfpfskeptikern.
Für sie ist die Impfpflicht der Schrecken, mit dem sie schon lange gerechnet haben. Deshalb formiert sich Widerstand in einer Zeit, in der die Menschen aufgrund der dramatischen pandemischen Lage eigentlich Kontakte vermeiden müssten. Für Samstag ist in Wien ein grosser Protest angekündigt. Besonders heikel: Auch Teile des österreichischen Heeres, darunter hochrangige Offiziere, werben für den Protest. Deutsche Aktivisten haben sich ebenfalls angekündigt. Sie drohen das Corona-Chaos, dass ohnehin in der Alpenrepublik herrscht, weiter zu befeuern.
Österreich kämpft wie viele europäische Länder derzeit gegen eine heftige Corona-Welle mit immer neuen Höchstständen bei den Neuinfektionen. Am Freitag wurde der Rekordwert von 15'809 Ansteckungen innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Am Donnerstag war in dem Land mit rund 8.9 Millionen Einwohnern insgesamt die Schwelle von einer Million bestätigten Infektionen seit Pandemie-Beginn überschritten worden. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt dort bei 1'033. Die Impfquote beträgt knapp 66 Prozent und liegt damit unter dem EU-Durchschnitt.
Die Ankündigung der neuen Massnahmen stiess im Land auf unterschiedliches Echo. Viele Gesundheitsexperten und auch Oppositionspolitiker von Sozialdemokraten und Liberalen kritisierten das Handeln der Regierung als zu spät. Die rechtspopulistische FPÖ dagegen sprach von einer «Diktatur». Der «generelle Impfzwang» sei verfassungswidrig, erklärte Parteichef Herbert Kickl, der sich kürzlich selbst mit dem Coronavirus infiziert hatte.
Für die Demonstration am Samstag in Wien werden nach Angaben der Nachrichtenagentur APA mindestens 10'000 Teilnehmer erwartet. Generell ist die FPÖ ein Problem für die Impfkampagne. Die Rechtspopulisten sind stärker in der österreichischen Gesellschaft verankert als beispielsweise die AfD in Deutschland. Viele Menschen folgen ihrer Kritik an Corona-Massnahmen und -Impfung.
Was die Lage zusätzlich verschärft: Teile des Bundesheeres warben für den Protest am Samstag. Zwei hochrangige Offiziere und die FGÖ-Bundesheergewerkschaft riefen dazu auf, auf die Barrikaden zu gehen und sich den Massnahmen-Kritikern anzuschliessen, wie die österreichische Tageszeitung «der Standard» berichtet. Ihre Rhetorik ist äusserst aggressiv.
In einem offenen Brief bezeichneten sich zwei Offiziere als «Beamte für Aufklärung» und verglichen die Corona-Massnahmen mit einer «Vergewaltigung». Die Menschen würden «nach 75 Jahren» nun wieder «stigmatisiert, ausgegrenzt und weggesperrt» – eine Verharmlosung des NS-Regimes. Die Gewerkschaft FGÖ, die mehr ein Sammelbecken rechter Hardliner als eine Gewerkschaft ist, ruft zum einem Protest für «Freiheit und Menschenwürde» auf.
Das Bundesheer hat laut dem «Standard» über ihren Sprecher angekündigt, Disziplinarverfahren gegen die Offiziere zu prüfen. Wie viele Menschen die Massnahmen-Skeptiker mobilisieren können, ist bislang unklar. Feststeht, dass es am Samstag zahlreiche Demonstrationen geben wird. Die Identitäre Bewegung, Corona-Leugner, Impfgegner und weitere rechtsextreme Gruppen haben Proteste angemeldet. Die Wiener Polizei befürchtet, dass sie sich zu einer grossen Demonstration zusammenschliessen könnten.
Solche Demonstrationen gibt es dort wie in Deutschland schon seit Beginn der Pandemie. Bereits am vergangenen Sonntag protestierten nach der ersten Verschärfung der Massnahmen Hunderte Menschen vor dem Kanzleramt. Die Impfpflicht – wenngleich sie aufgrund der Lage als notwendig erscheint – giesst nun Öl in dieses Feuer.
«Ich finde, das ist schwer einschränkend und diskriminierend», sagte die 49-jährige Demonstrantin Sabine. «Arbeiten gehen darf ich, ich darf meine Steuern zahlen, aber den Rest des Tages muss ich zu Hause verbringen.» Es handle sich um eine «grosse Schweinerei», sagte eine weitere Demonstrantin. Sie lese seit Monaten keine Zeitungen mehr. «Ich informiere mich selbst. Ich suche wirklich alternative Medien und mache mir selbst ein Bild.»
Dieser Meinung sind nicht wenige Menschen in Österreich, auch unter Geimpften wird die Verpflichtung dazu teilweise kritisch diskutiert. Das Land ist gespalten.
Unterstützung bekommen die Impfgegner in Österreich aus dem Ausland. In deutschen Chat-Gruppen, die mit der Querdenken-Szene verbunden sind, gibt es dazu zahlreiche Aufruf, die Proteste zu unterstützen.
«Die Freiheit in Deutschland und Frankreich in Wien» verteidigen, heisst es dort. «Wir müssen und werden es stoppen.» Ein Aktivist aus Nürnberg schreibt: «Fahrt alle nach Österreich.» Es ginge nun um alles. «Kommt alle mit Deutschland-Fahnen oder mit den Fahnen eurer Bundesländer», ergänzt ein anderer.
Es sind namhafte Vertreter der Corona-Leugner-Szene, die am Freitag zum Protest in Wien aufriefen. Ihre Panik hat vor allem einen Grund: Die Impfpflicht in Österreich könnte Signalwirkung für Europa haben. Das wollen die selbst ernannten Menschenrechtsaktivisten unbedingt verhindern. Sie nehmen dafür aber in Kauf, dass sich die Corona-Lage in Österreich weiter zuspitzt. Das kann sich das Land eigentlich nicht leisten.
Verwendete Quellen: