Die ersten Missbrauchsanschuldigungen gegen den in Chicago als Robert Sylvester Kelly geborenen Musiker wurden bereits vor 25 Jahren laut. 2008 stand der mittlerweile 54-Jährige das erste Mal vor Gericht. Ihm war vorgeworfen worden, Sex mit seiner damals 13-jährigen Patentochter gehabt und dies auf Video aufgezeichnet zu haben.
Mehr als zwölf Zeugen hatten das Mädchen auf dem Video wiedererkannt. Die Verteidigung machte geltend, dass das angebliche Opfer selbst bestreitet, die gezeigte Person zu sein. Zudem habe der Sänger einen markanten Leberfleck am Rücken, der auf der Aufnahme nicht zu sehen war. 2010 wurde Kelly freigesprochen.
Fast zehn Jahre nach dem Freispruch erschien die sechsstündige Serie «Surviving R. Kelly», in der zahlreiche Frauen dem Musiker sexuellen Missbrauch vorwerfen. Die Taten sollen sich zwischen 1998 und 2010 erstreckt haben.
Nach Ausstrahlung der Serie prüfte die Strafverfolgungsbehörde die Vorwürfe und erwirkte noch im selben Jahr einen Haftbefehl gegen Kelly. Gleich in drei Bundesstaaten (Illinois, New York und Minnesota) lagen Anklageschriften gegen Kelly vor, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger.
Im August 2021 hatte der Prozess in New York begonnen. Rund sechs Wochen lang hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Missbrauchsvorwürfe gegen Kelly aus mehreren Jahrzehnten detailliert ausgebreitet, auseinandergenommen und ihre Argumente dargelegt.
Neun Frauen und zwei Männer hatten ausgesagt. Sechs von ihnen waren zum Tatzeitpunkt minderjährig. Mehr als 30 Zeugen, darunter viele frühere Mitarbeiter, sind zu den Taten des ehemaligen Musikers befragt worden.
Die Opfer sagten aus, sie seien missbraucht, geschlagen, unter Drogen gesetzt, eingesperrt und dabei gefilmt worden. Manchmal sei ihnen Essen oder der Gang zur Toilette verweigert worden. Eine Frau berichtet, dass sie zu einer Abtreibung gezwungen wurde.
Die Anklage brauchte drei Tage, um die ganzen Beweise im Schlussplädoyer zusammenzufassen. Viele der Fälle waren bereits verjährt, doch die Staatsanwaltschaft zählte sie zum Anklagepunkt der organisierten Kriminalität, welches meistens nur bei Drogenkartelle zur Anwendung kommt und ältere Taten berücksichtigt.
Nachdem sich die Geschworenen knapp zwei Tage beraten hatten, ist Kelly in allen neun Anklagepunkten, darunter sexueller Ausbeutung Minderjähriger, Kidnapping, Kinderpornografie und Bestechung, für schuldig befunden worden. Das Strafmass soll am 4. Mai 2022 verkündet werden. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe.
Die Jury habe eine «starke Botschaft» an Männer wie R. Kelly gesendet: «Egal wie lange es dauert, die Justiz wird euch kriegen», sagte die zuständige Staatsanwältin Jacquelyn Kasulis nach der Verkündung des Urteils.
«Dieses Urteil brandmarkt R. Kelly für immer als Raubtier, das seinen Ruhm und seinen Reichtum genutzt hat, um junge, verletzliche und stimmlose Menschen für seine eigene sexuelle Befriedigung auszubeuten», so Kasulis.
Das Verfahren ist – nach Fällen wie denen von Filmproduzent Harvey Weinstein und Komiker Bill Cosby – eine weitere viel beachtete juristische Aufarbeitung der #MeToo-Ära. #MeToo-Begründerin Tarana Burke twitterte gleich nach der Verkündung des Urteils ein kurzes Video von einer tanzenden Frau mit dem Untertitel «Kannst du einen völlig neuen Tag fühlen?».
— Tarana (@TaranaBurke) September 27, 2021
Nach dem Urteil in New York drohen Kelly noch weitere juristische Auseinandersetzungen: Auch in den US-Bundesstaaten Illinois und Minnesota liegen Anklagen gegen ihn vor.
In Chicago ist nicht nur Kelly, sondern auch seine ehemaligen Mitarbeiter Derrel McDavid und Milton Brown angeklagt worden. Der Prozess konzentriert sich auf das Video der damals 13-jährigen Patentochter Kellys, für welches der Musiker 2008 angeklagt und später freigesprochen wurde.
Der Fall soll deswegen neu aufgerollt werden, da die Staatsanwaltschaft Kellys ehemaligen Geschäftspartnern vorwirft, Zeugen manipuliert zu haben. Kelly, McDavid und Brown haben alle auf unschuldig plädiert.
Unklar ist, warum Kellys mutmassliche Komplizen nicht als Zeugen nach New York eingeladen worden sind und warum die Bundesverfahren in Chicago und Brooklyn nicht zusammengelegt wurden. Der Eastern District of New York und der Northern District of Illinois haben auf die Frage, warum die Kelly-Fälle nicht zusammengelegt wurden, mit «Kein Kommentar» beantwortet. Das Verfahren in Chicago, Illinois, ist bis zum Abschluss des Verfahrens in Brooklyn, New York, ausgesetzt.
Dasselbe gilt für das Verfahren wegen sexuellen Straftaten mit zwei Minderjährigen im Bundesstaat Minnesota. Eines ist aber bereits klar: Auf Kelly wartet eine jahrzehntelange Haftstrafe.
(mit Material der sda)
https://www.faz.net/aktuell/gesells…52735.html