Dismaland schlägt schon aufs Gemüt, bevor man es überhaupt betritt. Es ist praktisch unmöglich, eines der wenigen Online-Tickets für den «deprimierendsten Freizeitpark Englands» zu erhaschen. Wer es riskiert und die Reise ohne Billett auf sich nimmt, muss sich auf stundenlanges Warten einstellen.
Denn das Anti-Disneyland des berüchtigten Strassenkünstlers Banksy wird nicht nur im Internet gefeiert – die Berichterstattung hat einen wahren Run auf den Park ausgelöst. Tag für Tag pilgern Tausende in den tristen Ferienort Weston-Super-Mare an der Südwestküste Englands, um Dismaland zu erleben: Banksy-Fans aus dem ganzen Land, Touristen aus Asien, Amerika und Europa. Und ein Schweizer Reporter.
Zusammen mit rund 400 weiteren Pilgern – einige sind seit 7 Uhr morgens da – verbringe ich den Freitagnachmittag eine Woche nach der Eröffnung in einer Schlange stehend. Es ist ein typischer englischer Sommertag: Bewölkter Himmel, unterbrochen von gelegentlichen Regenschauern. Die Prognosen des Sicherheitspersonals reichen von «wir können keinen Einlass garantieren» bis «ihr kommt heute garantiert nicht rein».
Gegen vier Uhr Nachmittags, nach rund fünf Stunden bangen, die Erlösung: Es wird noch eine Runde Tickets verkauft, alle passen rein. Das bizarre Missvergnügen kann beginnen.
Ehe ich weiss, wie mir geschieht, bin ich mittendrin: Ein grimmiges Security-Mädchen untersucht mich und fragt, ob ich Waffen, Getränke oder Sprengstoff dabei habe. Und woher ich komme. «Switzerland», antworte ich, etwas überrumpelt. «Für das hier bist du so weit gereist?», fragt sie kopfschüttelnd. Ich knipse noch ein Selfie, dann raunt sie mir zu: «Und jetzt raus hier!»
Im Raum stehen Getränke, ein Megafon, ein Metalldetektor, Maschinengewehre, Verbotsschilder – alles aus Karton. Es ist die erste Installation des Parks, die des US-Amerikaners Bill Barminski. Barminski ist einer der 50 Künstler, die Banksy eingeladen hat, Dismaland mitzugestalten.
Ein paar Schritte später finde ich mich in einer surrealen Parallelwelt wieder. Da ist Arielle, die Meerjungfrau, die vor meinen Augen verschwimmt. Zwei Trucks, die ineinander verschlungen in die Höhe wachsen. Eine Sitzbank, die einen Looping macht. An jeder Ecke grimmig blickende Angestellte.
Und natürlich Grafitti, Gemälde, Banner mit subversiven Botschaften. Auf der Website wird Dismaland so beschrieben: «Ein Festival der Kunst, des Amusements und Einstiegs-Anarchismus.» Das ist es auch – auf den ersten Blick. Was Banksy hier wirklich macht, offenbart sich erst, wenn man einen Schritt zurück tritt und sich den Rummel mit Abstand ansieht.
Gesellschaftskritische Botschaften transportiert Banksy mit seinen Grafittis. Im Dismaland geht er einen Schritt weiter.
Zwei Beispiele dafür:
Ich betrete das Märchenschloss im Herzen des Parks und stehe in einem dunklen Raum. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich begreife, welches Bild sich mir bietet: Es ist Aschenputtel, die nach einem Unfall leblos aus der Kutsche hängt. Ich sehe sie nur wegen des Blitzgewitters der zahllosen Paparazzi, die sie ins Visier nehmen. Die verunfallte Prinzessin – Lady Diana.
Ich nehme meine Kamera hervor und versuche die Szene festzuhalten. Und schaue mich um. All die Leute um mich herum tun es mir gleich. Dann dämmert es mir: Wir sind im Moment nicht besser als die Aasgeier. Wir sind Teil der Paparazzi-Meute. Wir sind alle in Banksys Falle getappt.
In einem Teich schwimmen vier kleine Boote: Drei überfüllt mit Flüchtlingen, ein Polizeiboot. Im Wasser treiben leblose Figuren – sie haben es nicht geschafft. Der Clou: Man kann ein Pfund einwerfen und jedes der Boote selber steuern.
Ein mulmiges Gefühl steigt in mir auf. Was mir dann ein bisschen den Magen umdreht, ist die Begeisterung, mit der zwei Jungs die Schiffe steuern und Flüchtlinge durch den Teich jagen. Wissen Sie, worum es geht? Sehen sie die Leichen im Wasser? Andererseits: Wieso sollten sie die Schiffe steuern, wenn nicht zum Vergnügen?
Eines ist klar: Auch diese Installation entfaltet erst ihre volle Wirkung, wenn man betrachtet, wie die Menschen mit ihr umgehen.
Wenn wir schon auf der Metaebene sind: Klar, Dismaland soll eine augenöffnende Alternative zu den Fun-Parks sein, die wir kennen – eine anti-kapitalistische, anti-konsumeristische Version. Aber schon jetzt, eine Woche nach der Eröffnung zeigt sich, dass auch dieser Park keine Insel ist.
Die Ticketpreise sind mit drei Pfund mehr als fair – doch leider sind die offiziellen Billetts, die man online bekommt, im Nullkommanichts weg – und werden auf dem Schwarzmarkt für ein Vielfaches gehandelt. Auf Online-Ticketbörsen werden sie für bis zu 50 Pfund angeboten. Tickets für den Freitagabend, an dem jeweils eine Party stattfindet, kosten da sogar 100 Pfund.
Ähnlich ergeht es den Souvenirs: Programmhefte und lächerliche Preise, die man bei lächerlichen Spielen gewinnt (Gummi-Armbänder mit der Aufschrift «nutzloses Gummi-Armband», Papp-Fischstäbchen im Plastiksack) werden für das Vielfache ihres Einstandpreises verkauft. Es ist davon auszugehen, dass diese Preise noch steigen werden, sobald der Laden in vier Wochen wieder dicht macht.
Brad Pitt soll diese Woche eine Privatführung erhalten.
Man kann sich durchaus fragen, ob Banksy nicht zumindest einen Teil dieser Entwicklungen vorhergesehen hat. Und ob er uns auch damit etwas sagen will. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Guerilla-Künstler die Wirkung seiner Kunst zum Thema macht. Bei einem seiner bekanntesten Stunts liess er einen Strassenverkäufer in New York einen Tag lang Originale zum Preis von Fälschungen verkaufen – niemand hat es gemerkt.
Obwohl sie vermutlich dazu beitragen sollten, dem Gast den Tag zu vermiesen, gehören die schlecht gelaunten Angestellten mit ihren grossen Mickey-Mouse-Ohren und leuchtenden Westen mit der Aufschrift «DISMAL» zu den Highlights. Als ich mich bei einer jungen Frau für den Einlass in ein Zelt bedanke, antwortet sie: «You're not welcome».
Natürlich sind es überzeichnete Karikaturen. Aber egal, wie sehr sie es übertreibt, sie ist immer noch sehr nahe an wirklich miesepetrigen Angestellten und öffentlich Bediensteten dran, denen wir Tag für Tag begegnen. Das macht die Sache erst richtig lustig.
«Wenn ich hier mitspiele, bist du dann etwas glücklicher?», frage ich einen Angestellten.
«Nein. Ich kann nicht ..., ich darf nicht», sagt er schulterzuckend.
«Dich kenne ich von einem berühmten Pressefoto», sage ich zu einer anderen.
«Ist mir egal», gibt sie zurück. Doch ihr Lächeln kann sie nur mit Mühe verbergen.
Eine junge Frau blickt so traurig drein, dass ich mir für einen Moment fast Sorgen mache. Ich frage sie, ob sie okay sei. Und ob es vorkommt, dass sich Gäste von ihrer Stimmung anstecken liessen. Sie bejaht.
«Und wie fühlst du dich dabei?»
«Es macht mich traurig.»
Dass aus gespielten Emotionen echte entstehen können, sehe ich, als eine Angestellte einen angetrunkenen Engländer mit einem unwirschen Kommentar angeht. «Hey, pass auf, was du sagst», sagt er drohend. Und geht seines Weges.
Betrunkene Pöbeleien gibt es in dieser Stadt ab und zu: Weston-Super-Mare ist ein beliebter Ferienort der englischen Unterschicht. Seit seinen besten Zeiten in den 70er-Jahren hat er seinen Glanz aber etwas verloren. Mit dem Aufkommen des günstigen Luftverkehrs begannen die Engländer, andere europäische Destinationen für ihre Sommerferien vorzuziehen.
Als Symbol dieses Niedergangs dient das «Tropicana», einst ein attraktiver Badepark am Strand von Weston-Super-Mare. Im Jahr 2000 wurde der Park geschlossen und ist seitdem dem Zerfall überlassen. Genau hier hat Banksy, der als Kind die Ferien in Weston-Super-Mare verbrachte, sein Dismaland errichtet.
«Der Vorteil, Kunst an einer kleinen Küstenstadt auszustellen besteht darin, dass du nur mit Eseln konkurrierst», sagt der Künstler im Interview mit dem Guardian. (Tatsächlich scheint das Eselreiten am «Strand», den man während der Ebbe eher als Sumpf bezeichnen müsste, zu den grossen Highlights zu gehören.) «Ein Museum ist ein schlechter Ort für Kunst», so Banksy weiter, «der ungeeignetste Kontext für Kunst ist andere Kunst.»
Es ist kein Zufall, dass Dismaland in Weston-Super-Mare steht. Banksy will den Feriengästen die Kunst näherbringen – und den weitgereisten Fans seinen glanzlosen Kindheits-Ferienort zeigen. Ein Einheimischer bringt auf den Punkt, was ich schon länger ahne: «Weston-Super-Mare ist Dismaland.»