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Russland

Ukraine: Weshalb die russische Armee in «furchtbarem» Zustand ist

FILE - Soldiers walk amid destroyed Russian tanks in Bucha, on the outskirts of Kyiv, Ukraine, April 3, 2022. Kyiv was a Russian defeat for the ages. It started poorly for the invaders and went downhi ...
Zerstörtes russisches Kriegsmaterial in Butscha.Bild: keystone

Experte sagt in wenigen Sätzen, weshalb die russische Armee in «furchtbarem» Zustand ist

06.04.2022, 20:4607.04.2022, 14:22
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Die russischen Truppen haben sich aus dem Norden Kiews zurückgezogen. Wie es aus dem Kreml unlängst hiess, will man sich auf den Osten der Ukraine konzentrieren. Die russischen Soldaten, welche etwa in Butscha oder Borodjanka stationiert waren, seien zu 65 Prozent nach Belarus abgezogen worden, sagte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums gegenüber cnbc.com. Das Pentagon geht demnach davon aus, dass die Truppen neu ausgerüstet werden und in der Folge zu grossen Teilen in die Donbass-Region entsandt werden.

Diejenigen Soldaten, die im Norden Kiews mutmasslich Kriegsverbrechen begangen haben, werden also bald im Osten der Ukraine wieder an Gefechten teilnehmen. Zu diesem Schluss kommt auch der Geheimdienst des ukrainischen Militärs.

Nato rechnet mit Grossoffensive im Osten der Ukraine
Die Nato rechnet mit einem noch lange anhaltenden Krieg in der Ukraine.

Es gebe keine Anzeichen dafür, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seine Ambitionen aufgegeben habe, die komplette Ukraine zu kontrollieren, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch am Rande eines Treffens der 30 Aussenminister der Bündnisstaaten in Brüssel. Man müsse sich bewusst darüber werden, dass der Krieg noch «viele Monate oder sogar Jahre» andauern könne.

Den Rückzug russischer Truppen aus dem Norden der Ukraine erklärte Stoltenberg mit einer nach Nato-Erkenntnissen geplanten Grossoffensive im Osten. Die Streikräfte sollen demnach verstärkt und neu bewaffnet werden, um den gesamten Donbass einzunehmen und eine Landbrücke zur bereits besetzten ukrainischen Halbinsel Krim zu schaffen.

Konsequenz aus den Entwicklungen ist laut Stoltenberg, dass sich die Nato auf einen langen Weg vorbereiten muss. «Wir müssen die Ukraine unterstützen, unsere Sanktionen aufrechterhalten, unsere Verteidigung und unsere Abschreckung stärken», sagte er. (sda/dpa)

Die Brigade, welche in Butscha gewesen sei, sei am 4. April in der belarussischen Stadt Mozyr stationiert gewesen. Am 6. April werde sie per Zug nach Belgorod in Russland transportiert und voraussichtlich in der Nähe von Charkiw wieder eingesetzt, heisst es in einem Telegram-Post.

Die Einschätzung des Militärexperten

Für Phillips P. O'Brien ist dies ein deutliches Zeichen für den schlechten Zustand der russischen Armee. In einem viel beachteten Twitter-Thread legt der Militärexperte dar, wie er zu diesem Schluss kommt. O'Brien ist Historiker und Professor für Strategische Studien an der «University of St Andrews» in Schottland.

Falls Wladimir Putin die Truppen, die nördlich von Kiew stationiert waren, tatsächlich in den Donbass schicke, sei die Armee in einem «furchtbarem» Zustand, so O'Brien. «Diese Truppen wurden aufgerieben, besiegt, haben einen Grossteil ihrer Ausrüstung verloren und wären unter normalen Umständen nahezu kampfunfähig.»

Die folgenden Faktoren würden die Kampffähigkeit normalerweise stark einschränken: Verluste von Personal, Zeit im Gefecht und Niederlagen auf dem Schlachtfeld. All diese Faktoren würden auf die russischen Truppen in hohem Grad zutreffen.

O'Brien sagt: «In jedem vernünftigen System würden sich diese Truppen ausruhen, neu ausrüsten und sich Zeit lassen, bevor sie in eine andere stressige Kampfsituation geschickt werden.» Dass Putin diese Truppen jetzt bereits wieder in den Krieg schicke, offenbare folgende vier Dinge:

1. «Die Russen haben kein Vertrauen in den Rest ihrer Streitkräfte. Wenn sie könnten, würden sie neue Truppen in den Kampf schicken und nicht solche, die solche Verluste erlitten haben.»

2. «Sie sind bereit, den besten Teil ihrer Armee in der ersten Phase des Krieges auszulöschen. [...] Es ist schwer vorstellbar, was in ein paar Wochen von ihnen übrig sein wird.»

3. «Sie kümmern sich nicht um die Moral ihrer eigenen Truppen. Das ist besonders giftig. Wenn die russischen Soldaten glauben, dass sie im Grunde genommen Kanonenfutter für die Führung sind, wird ihre Kampfbereitschaft noch weiter sinken als sie ohnehin schon ist.»

4. «Den Russen sind die Ideen ausgegangen. Wenn sie Truppen, die einige der schlimmsten Verbrechen begangen haben, in die Ukraine zurückschicken, werden sie den ukrainischen Widerstand (der sich bereits als effektiv erwiesen hat) nur noch mehr anspornen. Das ist eine dumme Idee.»

Der ukrainische Geheimdienst kommt zu anderen Schlüssen als O'Brien. Es sei möglich, dass die Truppen auch im Osten der Ukraine die Zivilisten «terrorisieren» würden. Vielleicht wolle Putin aber auch mögliche Zeugen der Geschehnisse in Butscha «entsorgen». «Mit anderen Worten, eine Versetzung an die Front, wo sie kaum Überlebenschancen hätten, würde dafür sorgen, dass sie in den anstehenden Gerichtsverhandlungen nicht aussagen könnten.» (cma)

Ukrainischer UN-Botschafter wendet sich an Russland

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95 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dani S
06.04.2022 21:06registriert September 2017
Wer braucht noch irgendeinen Nachweis dafür, dass die russische Regierung absolut menschenverachtend ist und es ausgeschlossen ist, jemals wieder ein Fitzelchen Vertrauen zu dier Regierung zu haben?
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Päule Freundt
06.04.2022 21:06registriert März 2022
Dieser Bericht ist nüchtern und realistisch, aber was damit ausgesagt wird, ist von A-Z zum (Entschuldigung für den Ausdruck) zum Kotzen.

Wer in der Schweizer Armee Militärdienst leistete und da ab und zu gelästert hat, kann trotzdem einfach nur zufrieden sein.

Jedoch in einer solchen (Entschuldigung für den Ausdruck) Drecksorganisation wie einer russischen Armee zu dienen, ist einfach nur jenseits. Die unterschiedlichsten Berichte zu dieser liederlichen Halunkenorganisation, wo teils noch unerfahrene, naive Soldaten dienen, ist schlimm. Mit miserabler, inkompetenter Führung.
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Liebu
06.04.2022 21:04registriert Oktober 2020
Vielleicht wolle Putin aber auch mögliche Zeugen der Geschehnisse in Butscha «entsorgen». «Mit anderen Worten, eine Versetzung an die Front, wo sie kaum Überlebenschancen hätten, würde dafür sorgen, dass sie in den anstehenden Gerichtsverhandlungen nicht aussagen könnten.

Falls das Putins Beweggründe sind, hofft er auf den Tod seiner eigenen Truppen.
Man stelle sich das mal vor. Unglaublich.
Diese Soldaten haben schon einmal die Hölle erlebt und sich dementsprechend in den besetzten Gebieten verhalten.
Ich hoffe, das wiederholt sich nicht wieder andernorts.
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