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Russische Flüchtlinge im Ausland – nicht überall sind sie willkommen

Russische Flüchtlinge – wo sie hingehen und wo sie (nicht) willkommen sind

13.11.2023, 06:07
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Seitdem der russische Angriffskrieg in der Ukraine begonnen hat, sind Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern ins Ausland geflüchtet. Doch auch viele Russinnen und Russen packten ihre Sachen und kehrten ihrem Land den Rücken zu. Entweder um der politischen Unterdrückung oder dem Einzug in die Armee zu entkommen oder um neue wirtschaftliche Möglichkeiten auszuloten. Mit Vorliebe lassen sie sich in Zentralasien und dem Südkaukasus nieder.

Wie werden sie im Ausland willkommen geheissen und welche soziale und wirtschaftliche Folgen hat diese neue «russische Diaspora»? Das italienische Institut für internationale politische Studien (ISPI) hat einen Blick auf die beliebtesten russischen Destinationen geworfen:

Georgien

Georgien liegt direkt an der Grenze zu Russland, südlich der russischen Republik Tschetschenien. Da das Land zur Einreise kein Visum fordert, ist es eine für Russen populäre Destination, um sich niederzulassen.

Panoramablick auf die Altstadt der georgischen Hauptstadt Tiflis
Panoramablick auf die Altstadt der georgischen Hauptstadt Tiflis.Bild: Shutterstock

Eine genaue Zahl zu den russischen Immigranten – oder relokanty, wie sie sich selbst nennen – gibt es nicht. Es wird allerdings geschätzt, dass sich seit dem Krieg Hunderttausende Russen nach Georgien umgesiedelt haben. Gemäss dem georgischen Innenministerium dürften alleine in den ersten neun Monaten nach Beginn des Krieges 112'000 Russinnen und Russen in Georgien angekommen sein.

Gemäss einer Umfrage des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) vom Mai 2023 handelt es sich bei den Immigranten hauptsächlich um junge Menschen (im Schnitt 32,6 Jahre alt) aus Städten.

Wie das ISPI schreibt, sind die Russen in zwei signifikanten Migrationswellen nach Georgien gekommen. Die erste ereignete sich in den ersten Wochen nach Beginn der Invasion im Februar 2022 und dauerte bis in den folgenden Sommer. Die zweite erfolgte nach Putins Ankündigung einer Teilmobilisierung am 21. September 2022. Während sich die erste Welle hauptsächlich aus Menschen zusammensetzte, die nicht mit der repressiven Politik einverstanden waren, wollten sich die Menschen der zweiten Welle hauptsächlich vor dem Einzug in die Armee drücken.

Auch wenn seither öfter Russisch auf georgischen Strassen zu hören ist und einige neue russische Geschäfte geöffnet haben – sehr willkommen sind die Landesnachbarn nicht. Georgien steht seit Beginn des Kriegs auf der Seite der Ukraine. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern weckt die Anwesenheit der Russen Erinnerungen an den russisch-georgischen Krieg von 2008.

Im Allgemeinen sieht die georgische Regierung unter der Führung der Partei Georgischer Traum in eingewanderten Russen neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Opposition zeigt sich hingegen weniger begeistert, wobei die Partei Vereinte Nationale Bewegung von den Russen bei der Einreise sogar eine «Besetzungs-Steuer» in Höhe von 1000 georgischen Lari (334 Franken) verlangen möchte.

Armenien

Das kleine Land war bei den Russen schon immer eine beliebte Destination, da diese wie in Georgien visafrei einreisen können. Zudem ist die armenische Hauptstadt Jerewan mit Direktflügen täglich von diversen russischen Städten aus erreichbar.

Die armenische Hauptstadt Jerewan mit dem türkischen Berg Ararat im Hintergrund.
Die armenische Hauptstadt Jerewan mit dem türkischen Berg Ararat im Hintergrund.Bild: Shutterstock

Armenien hat in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht, die das Land nicht zuletzt dem wachsenden IT-Sektor zu verdanken hat. Start-ups und IT-Unternehmen werden in dem Land, das zwischen Georgien, Aserbaidschan, dem Iran und der Türkei liegt, willkommen geheissen und gefördert.

Die vielen neu entstehenden Stellen vermag Armenien allerdings nicht alle zu besetzen. Noch immer verlassen viele qualifizierte Personen ihre Heimat, um anderswo zu arbeiten. Dass nun plötzlich mehr Russen eingewandert sind, kommt den Armeniern entgegen.

Seit Februar 2022 sind insgesamt etwa 100'000 Russen in zwei Wellen nach Armenien gereist. Bei vielen von ihnen handelt es sich um IT-Spezialisten, die sich in Armenien ein attraktives Arbeitsumfeld erhoffen.

Laut dem ISPI hat sich die lokale Tech-Community auch schnellstens organisiert: Bereits im März, als die erste grosse Welle an Russen nach Armenien schwappte, boten sie Events und Online-Gruppen an, um den neu eingereisten russischen IT-Fachleuten die Integration zu vereinfachen.

Wie das ISPI weiter schreibt, spielt der Zustrom eine positive Rolle in dem bereits boomenden IT-Sektor in Armenien.

Aserbaidschan

Im Gegensatz zum benachbarten Georgien und Armenien sei Aserbaidschan nie eine bevorzugte Destination von Russen gewesen, schreibt das ISPI. Die Anzahl eingewanderter Russen ist daher um einiges tiefer.

Baku Aserbaidschan
Sicht auf die Hauptstadt Baku mit den imposanten Flame Towers.Bild: Shutterstock

Ein Grund dafür sind die strengen Visa-Regelungen, die den Russen nur einen Aufenthalt von 90 Tagen ermöglichen, wenn sie kein Visum besitzen. Weiter ist Aserbaidschan kein Mitglied der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion. Für Personen, die in Aserbaidschan also einer unternehmerischen Tätigkeit hätten nachgehen wollen, nicht die beste Option.

Dies alles führt dazu, dass die russische Gemeinschaft in Aserbaidschan relativ gering ist, was für migrierende Russen einen weiteren Nachteil darstellt.

Kasachstan

Kasachstan erlebte vor allem nach der Teilmobilisierung im September 2022 eine Welle von einwandernden Russen. Das ISPI schreibt dazu:

«Eine noch nie dagewesene Entwicklung, da ein Strom von Migranten aus dem Machtzentrum eines ehemaligen Imperiums flüchtete und in den Orten Zuflucht suchte, die es kolonisiert hatte.»

1919 wurde das kasachische Gebiet den Sowjets unterworfen, bevor es von 1936 bis 1991 eine Republik der Sowjetunion wurde. Eine besonders schmerzhafte Erinnerung an diese Zeit ist die Hungersnot von 1932/1933, die zwischen 1,3 und 1,7 Millionen (schätzungsweise 42 Prozent der kasachischen Bevölkerung) das Leben gekostet hat.

Astana Kasachstan
Die Hauptstadt Astana, die zu Ehren des langjährigen Präsidenten Kasachstan Nursultan Nasarbajew zwischen 2019 und 2022 zu Nur-Sultan umbenennt worden war.Bild: Shutterstock

Die neue Migrationswelle hat laut dem ISPI neue Diskussionen über das historische Gedächtnis, über Sprache und über ethnische Zugehörigkeit ausgelöst. Denn: In kasachischen Städten wird hauptsächlich Russisch gesprochen. Ethnische Kasachen sprechen dort wenig oder gar kein Kasachisch (Zum Verständnis: Kasachisch und Russisch sind keine verwandten Sprachen und daher ganz unterschiedlich). Zudem leben in Kasachstan etwa 20 Prozent ethnische Russen – sie «gehören» schon lange zu Kasachstan, da das hauptsächlich Russen sind, die nach der Unabhängigkeit Kasachstans nicht nach Russland umgezogen waren.

Das kommt den russischen Auswanderern entgegen: Viele von ihnen erklärten ihre Umsiedlung gegenüber dem ISPI damit, dass die russische Sprache Dinge erleichtere. Diese Haltung empfinden viele Kasachen als imperiale Ignoranz – auch wenn viele von ihnen selbst (noch) kein Kasachisch sprechen. Seit einigen Jahren versucht die Regierung, die kasachische Sprache zu fördern, weshalb 2017 unter anderem der Übergang vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet eingeleitet wurde.

Dass sich das Kasachische dem Russischen nicht beugen wird, demonstrierte der kasachische Präsident am vergangenen Donnerstag. Beim Empfang der russischen Delegation, die vom Präsidenten Wladimir Putin angeführt wurde, eröffnete Kassym-Jomart Tokayev zur Überraschung aller Anwesenden seine Rede auf Kasachisch:

Kirgistan

The Central Mosque of Imam Sarakhsi, named after a famed Islamic scholar who lived in the 11th century, officially opened in the Kyrgyz capital Bishkek.
Die Zentralmoschee von Imam Sarakhsi, benannt nach einem berühmten islamischen Gelehrten, der im 11. Jahrhundert lebte, in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek.Bild: Shutterstock

Ebenso wie Kasachstan war auch Kirgistan einst eine sowjetische Republik und die plötzliche russische Einwanderungswelle 2022 daher ebenso ungewöhnlich. Wie in Kasachstan leben in Kirgistan ethnische Russen. Diese werden von den Kirgisen als zum Land zugehörig empfunden. Nicht aber die neuen Einwanderer. Wie eine Kirgisin gegenüber der ISPI-Forscherin erklärt:

«Unsere Russen sind anders, ich kann nicht ganz erklären wie, aber sie sind anders – sie sind ‹unsere›.»

Trotz der Vorbehalte in der Bevölkerung werden die «neuen Russen» von der Regierung willkommen geheissen. Kirgistan organisierte schnell spezielle Visa und sogar ein «Digital nomad»-Programm, um den Russen die Ankunft zu vereinfachen.

Üblicherweise verläuft der Migrantenstrom in die andere Richtung: Für zentralasiatische Arbeitsmigranten ist Russland die Hauptdestination.

Dubai

Für viele russische Geschäftsleute ist Dubai zum sicheren Hafen geworden. Bereits vor dem Ukrainekrieg war das Emirat eine bei Russen beliebte Destination – ein Trend, der sich seither noch verstärkt. Öffentliche Zahlen liegen keine vor, es wird jedoch geschätzt, dass sich seit Kriegsbeginn etwa 200'000 Russen in Dubai niedergelassen haben. Nebst der drohenden Teilmobilisierung dürfte bei diesen Russen insbesondere auch das Geschäft eine Rolle gespielt haben.

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Sicht auf die Skyline von Dubai.Bild: keystone

Dubai bietet nicht nur einen hohen Lebensstandard, sondern auch ein günstiges Umfeld für Finanz- und Handelsbeziehungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hat die emiratische Föderation keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Zudem können Russen in Dubai einfach an ein Visum gelangen. (saw)

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39 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rethinking
13.11.2023 06:10registriert Oktober 2018
Ausser bei Dubai dürfte eine reelle Gefahr bestehen, dass Russland dann irgendwann findet, das Land gehöre sowieso zu ihnen und da schon viele Russen dort leben, sei es eigentlich Russland…
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Smee Afshin.
13.11.2023 06:26registriert April 2021
Russen fliehen vor der Verschleppung in Kasernen, in denen Reservisten verprügelt und vergewaltigt werden, und an eine Front, an der kaum militärisch ausgebildete Reservisten weniger Wert beigemessen wird als einem Klappspaten.
Der Vorteil der Dienstverweigerung für den Kriegsverlauf ist offensichtlich: Weniger Kampfkraft auf russischer Seite. Der Vorteil für Europa auch: Weniger Tote=Stabilere Lage nach dem Krieg.
Die Dienstverweigerung als "sich drücken" zu bezeichnen ist zu kurz gefasst.
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Janster
13.11.2023 07:33registriert März 2021
Serbien und die Türkei müssten auch noch auf die Liste. Zwei meiner ehemaligen Arbeitskollegen aus dem Büro in Moskau sind dort. Aber keine Ahnung ob das viele sind.
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