Wegen der ukrainischen Informationssperre kommen Nachrichten aus dem Kriegsgebiet derzeit hauptsächlich von russischen Quellen. Demnach ereignete sich der bisher grösste ukrainische Angriff an der Südfront im Gebiet nördlich des wichtigen Verkehrsknotenpunkts Tokmak.
Die russischen Truppen hatten sich dort in Erwartung der Ukrainer bestens eingegraben und vorbereitet. Erstmals setzten die Ukrainer zwischen der von ihnen kontrollierten Ortschaft Orichiv und dem russisch besetzten Tokmak auch deutsche Kampfpanzer vom Typ Leopard-2 ein.
Obwohl die heftigen Kämpfe auch am Freitag weitergingen, konnten die Ukrainer laut russischen Quellen zwar kleinere Geländegewinne verbuchen, aber keinen Durchbruch erzielen. Offenbar wurde eine Panzerkolonne von einer russischen Drohne gesichtet und gezielt mit Artillerie beschossen, wie russische Videoaufnahmen zeigen. Mindestens ein Leopard-2 geriet dabei in Brand, wobei bisher nicht klar ist, ob er am Ende ganz zerstört wurde.
Blamabel an dem Angriff war das Vorgehen der Ukrainer, das schon häufiger im Kriegsgebiet zu beobachten war: Die Panzer hielten zum Teil kaum Abstand voneinander und präsentierten sich in einer Kolonne wie auf dem Silbertablett. Erstaunlich dabei ist die Tatsache, dass die mit modernem westlichem Material ausgerüsteten ukrainischen Einheiten auch im Westen trainiert wurden. Es ist schwer verständlich, wie solche Fehler immer wieder passieren können.
Es war von Anfang an klar, dass die Gegenoffensive der Ukrainer nicht wie der Blitzkrieg im letzten Herbst ablaufen würde. Diesmal hatten die Russen monatelang Zeit, sich vorzubereiten und in die Tiefe gestaffelte Befestigungen zu errichten. Natürlich war sich auch die russische Militärführung bewusst, dass die Ukrainer die Landbrücke bei Tokmak, die Russland am Ufer des Asowschen Meers mit der Halbinsel Krim verbindet, kappen möchten.
Die Ukrainer haben nach dem ersten Rückschlag ihre Angriffe nun offenbar verstärkt und setzen dabei ebenfalls massiv Artillerie ein. Der Ausgang der Schlacht ist offen. Unklar ist zudem, ob es sich bei dem Angriff in Richtung Tokmak schon um den Hauptstoss der Gegenoffensive handelt.
An der Ostfront konzentrierten sich die ukrainischen Angriffe dagegen auf die russischen Flanken beim zerstörten Bachmut. Hier eroberten die Angreifer die beherrschende Anhöhe nordwestlich der Stadt - ein wichtiger Zwischensieg. Sollte es ihnen gelingen, dort weiter ins Tal vorzudringen, könnten sie Bachmut von den benachbarten Salzminen in Soledar abschneiden. Erhebliche russische Verbände würden dabei Gefahr laufen, eingekesselt zu werden. So weit ist es aber noch nicht.
Aus dem Stausee von Nowa Kachowka läuft derweil weiterhin Wasser in die überfluteten Gebiete am Unterlauf des Dnipro. Betroffen von den Überschwemmungen sind zum grösseren Teil Gebiete am Ostufer des Flusses, die unter russischer Kontrolle stehen. Für den Dammbruch macht die staatliche Nachrichtenagentur Tass in Moskau nach wie vor ukrainisches Artilleriefeuer verantwortlich - obwohl das technisch gar nicht möglich ist.
Wie unverfroren Tass lügt, zeigt sich auch an einfachen Meldungen wie jener über den Zoo beim Staudamm von Nowa Kachowka: Noch vor zwei Tagen dementierte Tass ukrainische Meldungen, wonach dort unzählige Tiere umgekommen seien. Es gebe in Nowa Kachowka gar keinen Zoo, schrieb Tass mit Berufung auf lokale Quellen - obwohl der private Tierpark ein Facebook-Profil hat. Vor einem Tag meldete Tass dann plötzlich, dass in einem «Nationalpark» von Nowa Kachowka Tausende Tiere ertrunken seien.
In Cherson, der Stadt am westlichen Ufer des Dnipro, evakuierten ukrainische Helfer zahlreiche Menschen mit Booten von überfluteten Inseln und tiefer gelegenen Stadtvierteln. Weil Präsident Selenski Cherson einen unangekündigten Besuch abstattete, beschoss die russische Artillerie in der Folge die Evakuierungspunkte am ukrainisch kontrollierten Ufer.
Auch wenn einige russische Stellungen am Ostufer überflutet wurden, sieht es so aus, als ob die Russen dank der Überflutungen Truppen von dort abziehen konnten, um ihre Stellungen in der Region von Tokmak weiter östlich zu verstärken. (aargauerzeitung.ch)
„Wie die Schlacht in der Normandie 1944 oder jede andere große Schlacht ist auch die Kriegsführung ein Geben und Nehmen. Es wird Tage geben, an denen man viel Aktivität sieht, und es wird Tage geben, an denen man vielleicht nur sehr wenig Aktivität sieht. Es wird Angriffsaktionen und Verteidigungsaktionen geben. Es wird also über einen längeren Zeitraum ein Hin- und Her-Kampf sein. Wir gehen davon aus, dass das ukrainische Militär auf alles, was es tut, gut vorbereitet ist.“
Ein Problem ist allerdings, dass wir momentan fast nur russische Quellen haben. Die Ukraine hat eine Informationssperre. Das kann das Bild, das wir gerade erhalten, erheblich verzerren.