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Russland: Warum Wagner-Söldner keine Strafgefangenen mehr rekrutieren

Der wahre Grund, weshalb Wagner-Chef Prigoschin keine Strafgefangenen mehr rekrutiert

Jewgeni Prigoschin prahlt, er habe anstelle russischer Häftlinge Bewerbungen von 10 Millionen US-Bürgern. Viel glaubwürdiger ist ein Bericht über die Rolle des russischen Verteidigungsministeriums.
11.02.2023, 08:3911.02.2023, 17:08
Bojan Stula / ch media
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Die russische Söldnergruppe Wagner will ab sofort keine Strafgefangenen mehr für den Kampf in der Ukraine anwerben. Das teilte Jewgeni Prigoschin am Donnerstag in den sozialen Medien mit, kurz bevor die russische Armee eine neue Welle von Angriffen an verschiedenen Frontabschnitten lancierte.

FILE - businessman Yevgeny Prigozhin gestures on the sidelines of a summit meeting between Russian President Vladimir Putin and Turkish President Recep Tayyip Erdogan at the Konstantin palace outside  ...
Bild: keystone

Auf Nachfrage des US-Nachrichtensenders CNN prahlte der Wagner-Gründer, er brauche keine Kriminellen mehr, er habe stattdessen «Bewerbungen von über 10 Millionen US-Bürgern für den Kampf gegen die Nato» erhalten.

Der viel plausiblere und näherliegende Grund für Prigoschins Ankündigung lautet: Es melden sich ohnehin fast keine russischen Häftlinge mehr für den Söldnerdienst, nachdem sich in den Straflagern herumgesprochen hat, welche enormen Verluste die Wagner-Gruppe in den Kämpfen um Bachmut erlitten hat.

Erst vergangene Woche zitierte das britische Verteidigungsministerium in seinem täglichen Militärgeheimdienst-Rapport eine Statistik der russischen Strafgefangenenverwaltung FSIN, wonach die Anzahl vorzeitig aus dem Vollzug entlassener Häftlinge seit vergangenem November massiv abgenommen habe. Das deute auf deren zunehmend schwindende Bereitschaft hin, sich in den Wagner-Selbstmordkommandos totschiessen zu lassen.

So weit, so einleuchtend. Allerdings ist inzwischen eine weitere Erklärung für Wagners «Häftlings-Ablass» aufgetaucht; zudem eine aus glaubwürdiger Quelle. Olga Romanova, Gründerin der Menschenrechtsorganisation «Russland hinter Gittern», sagte am Freitag in einem Interview, in Tat und Wahrheit habe der russische Generalstab Prigoschin verboten, weiterhin in den Straflagern zu rekrutieren. Dies nicht etwa aus plötzlich erwachter Menschlichkeit, sondern aufgrund von Eigeninteressen.

Die russische Armee möchte nämlich selbst Hand anlegen an die Ressource der Strafgefangenen, um ihre eigenen Reihen mit neuem Kanonenfutter zu versorgen. Bis zu einer Reihe von Gesetzesänderungen im vergangenen Herbst war es der russischen Armee untersagt, verurteilte Verbrecher in den Dienst zu nehmen. Laut Romanova hat sich das nun geändert, und prompt nutzt Verteidigungsminister Sergei Schoigu diese Möglichkeit, um seinen Rivalen Prigoschin auszubooten.

Die Rückkehr der russischen Strafbataillone

Angeblich sollen die von der Armee angeworbenen Häftlinge in Strafbataillonen zusammen mit anderen Unerwünschten eingesetzt werden. Traditionell dienen in solchen Einheiten Armeeangehörige, die zuvor beispielsweise den Kampf verweigert oder sich anderer Vergehen schuldig gemacht haben.

Ob Russland im Ukrainekrieg tatsächlich wieder «schtrafbats» aufgestellt hat, wie sie volkstümlich in Anlehnung an den deutschen Ausdruck genannt werden, ist noch unbestätigt, aber wahrscheinlich. Zuletzt wurden sie im Zweiten Weltkrieg für Himmelfahrtskommandos eingesetzt; immer mit den Maschinengewehren eigener Geheimdiensttruppen im Rücken, die Befehl hatten, bei Versagen oder Desertion auf die eigenen «schtrafniks» zu schiessen.

Doch wieso sollten sich russische Häftlinge plötzlich der Armee anschliessen, wenn sie den Kriegsdienst bei Wagner verschmäht haben? Romanova erklärt dies mit den geringfügig besseren Bedingungen, welche die Armee den Strafgefangenen anbietet. So soll es - im Gegensatz zu Wagner - keine Erschiessungen mehr von eigenen Soldaten «ohne ein Militärgerichtsurteil» geben.

Ausserdem werbe das Verteidigungsministerium nur noch Freiwillige über 21 Jahre an. Bei Wagner konnten Eltern ihr Eingeständnis geben, auch junge Menschen unter 21 zu nehmen. Über allem steht die Aussicht auf Entlassung aus dem oft brutalen Strafvollzug. All jenen, die einen sechsmonatigen Einsatz an der Front überleben, winkt – wie schon bisher bei der privaten Söldnerarmee – die Freiheit und die Löschung des Strafregisters.

Ob die Armee mit ihrer Anwerbungsmethode erfolgreicher sein wird als zuletzt Prigoschin für Wagner, muss sich erst noch weisen. Im Interview mit dem TV-Sender Current Time TV berichtet Romanova, die reguläre Armee habe aus mindestens zwei Straflagern bereits Kämpfer für den Fronteinsatz abgezogen.

Bestimmt gleich gross wird hingegen der Unmut der russischen Bevölkerung bleiben, heimkehrende Ex-Strafgefangene begrüssen zu müssen, die den sechsmonatigen Kriegseinsatz überlebt haben. In einer eindrücklichen Reportage beschreibt der britische «Guardian», wie der verurteilte Mörder Anatoly Salmin sein Heimatdorf Pikalevo in Angst und Schrecken versetzt, seit er aus der Ukraine als freier Mann zurückgekommen ist.

(aargauerzeitung.ch)

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HappyUster
11.02.2023 09:47registriert August 2020
"...keine Erschiessungen mehr von eigenen Soldaten «ohne ein Militärgerichtsurteil» geben."

Ob auf dem Feld oder eine Woche später in der Kaserne... spielt dann auch keine Rolle mehr.
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JBV
11.02.2023 10:12registriert September 2021
"So soll es - im Gegensatz zu Wagner - keine Erschiessungen mehr von eigenen Soldaten «ohne ein Militärgerichtsurteil» geben."

Wow... was für eine Errungenschaft. Habe einmal von einem Russen gehört, wer in Russland vor ein Strafgericht gezerrt wird, kann mit mehr als 90%iger Sicherheit davon ausgehen das er auch verurteilt wird.
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Hierundjetzt
11.02.2023 09:55registriert Mai 2015
Ok.

Zuerst: Minderheiten verdampfen
Danach: Sträflinge verdampfen

Erfolg: 0
Erfolg in Zukunft: 0

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