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Russland: Wie Prigoschin sein eigenes Todesurteil unterschrieb

«Das verzeiht man im Kreml nicht»: Wie Prigoschin sein eigenes Todesurteil unterschrieb

Der skrupellose Söldnerchef Jewgeni Prigoschin und weitere Führungsleute seiner Wagner-Paramilitärs kommen bei einem Flugzeugabsturz mutmasslich ums Leben. Was das über das Regime Putin aussagt.
24.08.2023, 21:4524.08.2023, 21:45
Inna Hartwich, Moskau / ch media
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«Dort oben gab es eine Explosion. Ich dachte zuerst, es sei irgendeine Rakete. Aber nein, irgendwas stimmte da nicht. Es dauerte fünf Minuten, das Ding drehte sich, taumelte und fiel», erzählt ein Augenzeuge der russischen Boulevardzeitung «Komsomolskaja Prawda». Er beschreibt die Szene, als die Embraer-Maschine mit der Flugnummer RA-02795 in der Nähe eines Bauernhofes bei Kuschenkino in der zentralrussischen Region Twer vom Himmel krachte.

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Trauer um den getöteten Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin: In Sankt Petersburg kamen Unterstützer zusammen und legten Blumen nieder.Bild: keystone

Mit an Bord: der Söldnerchef Jewgeni Prigoschin und der Anführer seiner Gruppe Wagner, Dmitri Utkin, der die Paramilitärs einst mit seinem Kampfnamen versehen hatte. Dazu noch weitere führende Mitglieder von Prigoschins Privatarmee, die die Operationen etwa in Syrien und Sudan leiteten. Quasi die Riege von Russlands skrupellosen Verbrechern, die in der Ukraine, im Nahen Osten und in afrikanischen Ländern - mit der Zustimmung des Kremls - buchstäblich über Leichen gingen.

Alle zehn Insassen des Businessjets seien tot, meldete das russische Ministerium für Notsituationen kurze Zeit später. Die Luftfahrtbehörde bestätigte am Mittwochabend auch den Tod Prigoschins, Experten untersuchen seit Donnerstag die abtransportierten Leichen.

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Ein Mann zündet eine Kerze für den getöteten Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin an: In Sankt Petersburg trauerten einige Unterstützer.Bild: keystone

Der Gewaltverherrlicher hat auf eine unzimperliche Art Gewalt geerntet. Nicht überraschend. Prigoschins Tod zeigt, dass das Regime Putin vor keiner Vergeltungsmassnahme zurückschreckt, wenn sich einer gegen das Regime wendet. Und sei es einer, den dieses Regime selbst erst gross gemacht hatte.

Prigoschin unterschrieb sein Todesurteil

«Nach dem Aufstand hatte man das Gefühl, dass das alles schlecht endet. So etwas verzeiht man im Kreml nicht», zitierte das russischsprachige Medienportal Meduza einen Gesprächspartner aus dem Umkreis der Präsidialverwaltung in Moskau am Donnerstag. «So etwas» war die Blossstellung des russischen Präsidenten Wladimir Putin durch einen, der sich gut und gern als Anwalt des kleinen Mannes inszenierte und in der Ukraine die Erfolge einfuhr, die die russische Armee nicht vorzeigen konnte, wenn auch unter unfassbar hohem Blutzoll.

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Absturzstelle des Prigoschin-Jets nahe Moskau.Bild: keystone

Jewgeni Prigoschin, der aufgestiegene Ex-Kleinkriminelle, hatte am 23. Juni Tausende seiner Kämpfer um sich versammelt und wollte mit einem «Marsch der Gerechtigkeit» gen Moskau ziehen. An Grössenwahn fehlte es ihm nicht: Offenbar glaubte er, dass man ihm Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstaabschef Waleri Gerassimow aushändigen werde. Er wurde ihm zum Verhängnis.

Prigoschin hatte sich in seiner Macht, die er gerade in den mittleren Reihen der Armee und auch in manchen Teilen der russischen Bevölkerung genossen hatte, masslos überschätzt - und damit den stärksten Freund verloren, den er in der russischen Elite hatte. Den Präsidenten selbst.

Es war Putin, der Prigoschin, an jeglichen staatlichen Strukturen vorbei, jahrelang gewähren liess. Zunächst im Schatten, mit dem Ukraine-Krieg auch öffentlich. Die Kurzzeit-Meuterei hatte aber eine Linie überschritten und Prigoschin endgültig zum Fremden im System werden lassen.

«Verräter» nannte ihn Putin in seinem ersten Auftritt, nachdem Prigoschin mit seinen Panzern, ohne jeglichen Widerstand in Rostow am Don an der Grenze zur Ukraine eingerückt war und die Kontrolle im Stadtzentrum übernommen hatte. Der Präsident hatte von «Dolchstoss» gesprochen und markige Worte dafür gefunden, wie mit so etwas umzugehen sei. In Putins Augen ist Verrat nur durch Tod zu vergelten.

Putin verspricht freies Geleit

Doch Putin liess Prigoschin laufen, er soll sich nach der Meuterei gar mit ihm im Kreml getroffen haben. «Freies Geleit» hatte er dem Wagner-Chef versprochen und viele in Russland fast schon ratlos zurückgelassen: Wie, Putin lässt einen Verräter einfach so davonkommen?

Prigoschin verschwand erst von der Bildfläche, seine Mannen waren teils nach Weissrussland gezogen, wie im Deal mit dem weissrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko nach der Meuterei ausgehandelt worden war. Doch die zwei Monate bis zum Flugzeugabsturz hatte das Regime letztlich dafür genutzt, um nach und nach nicht nur Prigoschins Unternehmen zu zerschlagen, sondern auch den Mythos um seine Person - bis es schliesslich auch an seine Person selbst ging.

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Wagner-Anhänger vor einer Flagge der Privatarmee in Sankt Petersburg.Bild: keystone

Sein Medienimperium wurde geschlossen, sein luxuriöses Haus durchsucht, später im Fernsehen wurden seine Perücken, Goldbarren und etliche Pässe präsentiert, wohl im Versuch, ihn in der Bevölkerung als komischen Kauz zu diffamieren. Erst vor wenigen Tagen hatte sich Prigoschin mit einem Video, offenbar in einem afrikanischen Land aufgenommen, öffentlich zurückgemeldet.

Zu dem Zeitpunkt hatte das Verteidigungsministerium einige seiner Kämpfer als reguläre Soldaten unter Vertrag genommen, und sein Fürsprecher in der Armee, der Chef der Luftstreitkräfte Sergej Surowikin, war abgesetzt worden. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Zeit der internen Abrechnungen offenbar begonnen hat.

Der Staat tut, als habe es Prigoschin nie gegeben

Offiziell wird zum Tod von Prigoschin, Utkin und den anderen nichts gesagt. Die Nachrichten im staatlichen Fernsehen verschweigen den Absturz. Der Staat tut, als habe es den Mann, dem Putin vor nicht allzu langer Zeit den Orden «Held Russlands» persönlich an die Brust geheftet hatte, nicht gegeben. Er hat ihn buchstäblich ausgelöscht und schürt mit seinem Vorgehen weiter Angst. Das Regime zeigt einmal mehr, dass es fähig ist, seine Gegner mit den brutalsten Methoden zu «entsorgen».

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Der getötete Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin.Bild: keystone

Wie die Maschine Prigoschins vom Himmel kam, dürfte wohl auch nach der vom russischen Ermittlungskomitee eingeleiteten Untersuchung kaum deutlich werden. Ob es einen Sprengsatz an Bord gegeben hatte oder der Jet abgeschossen wurde, wie in den Telegram-Kanälen, die Prigoschin nahestehen, sogleich vermutet wurde, ist unklar.

Klar aber ist eines: Prigoschins Tod wird als eine öffentliche Hinrichtung eines buchstäblich tief Gefallenen wahrgenommen. «Er war kein guter Mensch. Er war kein lieber Mensch. Er war kein angenehmer Mensch», schrieb einer seiner Bewunderer in seinem Telegram-Kanal Schiwow Z. Doch Prigoschin sei ein «sehr effizienter Mensch gewesen, der die Wahrheit sagte und sich wie ein richtiger Mann verhielt und sich damit Respekt bei anderen richtigen Männern verdiente», fügte er hinzu.

Mit seiner Gossensprache erreichte Prigoschin viele Menschen in Russland, er holte Kriminelle aus dem Gefängnis und versprach ihnen ein Leben in Freiheit, wenn sie in der Ukraine «ihre Pflicht am Vaterland» ausüben würden. Für solche Männer und auch für Arme aus den unterentwickelten Regionen war Prigoschin der Freipass in ein besseres Leben. Seinen Kämpfern zahlte er besser als der Staat, er liess sie auch unerbittlich töten, wenn sie nicht so funktionierten, wie er es verlangte. «Er war eine Legende zu Lebzeiten», schreiben seine Anhänger in ihren Trauerposts nun.

Gedenkstätte für den getöteten Wagner-Chef

An die zirkulierte Version, Prigoschin könnte auch von ukrainischen Raketen abgeschossen worden sein, will keiner der Kriegsunterstützer glauben, den Kreml greift allerdings niemand von ihnen an. «Nie und nimmer waren es die Ukrainer», hiess es im Telegram-Kanal JanZen.

In Sankt Petersburg, wo Prigoschin die Zentrale seiner Unternehmen hatte, richteten seine Anhänger eine spontane Gedenkstätte ein. Sie rollten Flaggen der Wagner-Gruppe aus, legten Nelken nieder und stellten Kerzen aus. Für den kommenden Sonntag riefen sie zu Versammlungen auf den zentralen Plätzen russischer Städte auf. In der Nacht auf Donnerstag hatte es nur vereinzelte Mahnwachen für den Abgestürzten gegeben.

Was mit seinen Kämpfern wird, ist ebenfalls unklar. Die Gruppe Wagner, auch wenn sie in den vergangenen Monaten immer weiter ihrer Macht beraubt wurde, steht nun komplett führungslos da. Das birgt einige Gefahren, auch für die russische Bevölkerung.

Zuletzt hatte es immer wieder Meldungen darüber gegeben, wie die zurückgekehrten Wagnerowzy, wie sie im Russischen genannt werden, in ihren Ortschaften randalierten, sich betranken, um sich schossen, Frauen vergewaltigten, Frauen wie Männer töteten. Die Truppe ist schwer bewaffnet und sich für nichts zu schade. Dass sie sich allerdings gegen den Staat richtet, ist angesichts des starken Zeichens, den der Absturz Prigoschins sendet, wenig wahrscheinlich. (aargauerzeitung.ch)

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