International
Russland

Alaska ade: Diese Entscheidung bereut Russland bis heute bitter

Vladimir Putin blickt auf Alaska
Karte, Putin: Russlands Propaganda erhebt Ansprüche auf Alaska.Bild: shutterstock/Imago/watson

Alaska ade: Diese Entscheidung bereut Russland bis heute bitter

1867 machte Russland ein Millionengeschäft, das sich historisch als ziemlich schlechte Idee erweisen sollte. Heute fordert der Kreml Alaska zurück.
02.01.2024, 18:0903.01.2024, 11:18
Marc von Lüpke / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Nach Westen! Mit aller Gewalt will Wladimir Putin Russland in diese Himmelsrichtung ausdehnen: Russische Truppen sollen gegenwärtig die Ukraine unterwerfen. Doch auch in Moskaus Osten haben die Sprachrohre des Kremls ein Stück Land aufgestöbert, das einst «russischer Boden» gewesen ist. Ein grosses Stück Land, ein reiches Stück Land, das obendrein seit mehr als 150 Jahren zu den USA gehört: Alaska.

«Alaska gehört uns!», tönte es der Realität zum Trotz 2022 auf Plakaten in der russischen Stadt Krasnojarsk, wie das US-Magazin «Newsweek» berichtete. Befeuert wurde diese Forderung von Wjatscheslaw Wolodin, seines Zeichens Putin-Vertrauter und Sprecher der Duma. Angesichts des westlichen Wirtschaftskriegs gegen Russland wäre die Rückkehr Alaskas ins Russische Reich nur recht und billig – so Wolodins Argumentation.

«Höchst provokativ»

Das derart bemühte «Sammeln der russischen Erde» war damit aber noch lange nicht zu Ende. Oleg Matveychev, Berater des Kremls, forderte im letzten Sommer laut «Daily Mail» nicht nur Alaska zurück, sondern auch noch das nördlich von San Francisco gelegene Fort Ross in Kalifornien. Warum? Weil dort einst eine russische Siedlung bestanden hatte. Der Putin-Vertraute Sergej Mironow filetierte die USA auf dem Portal X (vormals Twitter) dann kürzlich in Gedankenspielen noch weiter. Denn deren Bundesstaat Texas etwa hatte einst zu Mexiko gehört.

Worte sind Worte, aber ein Ereignis aus dem Sommer 2023 löste handfeste Beunruhigung in Washington, D.C. aus. Kriegsschiffe aus Russland und China fuhren in der Nähe Alaskas gemeinsam «Patrouille» zur See. Als «höchst provokativ» schätzte laut «Spiegel» ein Experte die Aktion ein. Denn so weit Russland und die Vereinigten Staaten aus europäischer Perspektive auch geografisch voneinander entfernt zu sein scheinen: Sie sind es nicht.

Lediglich 85 Kilometer trennen Russland und Alaska in Form der Beringstrasse voneinander, eine Nähe, die auch den US-Streitkräften unbehaglich ist. Seit längerer Zeit wollen sie Russland durch eine verstärkte militärische Präsenz in Alaska demonstrieren, dass die Vereinigten Staaten das Treiben Moskaus auch in dieser einst den Zaren gehörenden Region im Auge behalten.

Wie aber waren Alaska und Fort Ross überhaupt in russischen Besitz gelangt? Dies geht in gewisser Weise auf einen Dänen zurück: Vitus Bering – auch als «Kolumbus des Zaren» bekannt – leitete zwischen 1733 und 1743 die sogenannte Grosse Nordische Expedition. Ihr gelang die «zweite Entdeckung» Amerikas, dieses Mal im Pazifik anstelle des Atlantiks, über den einst Christoph Kolumbus gen Westen gesegelt war.

«Ohne jegliche Nahrungsmittel»

Den eigentlichen Bewohnern Alaskas, deren Vorfahren einst die wahren Entdecker Amerikas gewesen sind, waren die Neuankömmlinge von jenseits der Beringstrasse alles andere als willkommen. Die russischen Pelzjäger nahmen unter anderem etwa Geiseln bei den Ureinwohnern der Aleuten, um Pelze zu erpressen, berichtet der Historiker Henner Kropp in seinem lesenswerten Buch «Russlands Traum von Amerika. Die Alaska-Kolonisten, Russland und die USA, 1733–1867». Diese brutale Vorgehensweise erschien ihnen einfacher, als selbst auf die Jagd zu gehen.

Gewinnmaximierung war das Gebot der Stunde, die 1799 gegründete Russländisch-Amerikanische Kompagnie (RAK) sollte die Ausbeutung des Landes gewährleisten. Russlands Zugriff auf Alaska schien gelungen zu sein. «Um die Jahrhundertwende gab es mehr als ein Dutzend russischer Niederlassungen in Russisch-Amerika», schreibt Historiker Kropp.

Doch der nähere Blick offenbart etwas ganz anderes: «Im Mittel befanden sich zwischen den 1780er-Jahren und 1867 wohl circa 500 aus Russland stammende Menschen in Alaska». Was bedeutet, dass sich zu keinem Zeitpunkt mehr als ein paar Hundert Untertanen des Zaren in diesem riesigen Gebiet aufgehalten haben. Und denen ging es alles andere als gut.

Das Leben war hart, gefährlich und entbehrungsreich, Hunger herrschte um 1805 in Russisch-Amerika. «Ich fand hier 200 Russen und mehr als 300 Aleuten ohne jegliche Nahrungsmittel und Vorräte», notierte der aus Russland kommende Nikolai Resanow über die Zustände im Ort Sitka. Die Lösung für das Problem sollte im Süden liegen, einem Ort, der bis heute als Inbegriff des amerikanischen Traums gilt: Kalifornien.

Land zu verkaufen

1812 – das Jahr, in dem Napoleon Bonaparte seine Grande Armée gen Moskau führte – errichtete Russland an der fernen Küste des Pazifiks Fort Ross. Misstrauisch beäugt von den Spaniern, die den gesamten Raum eigentlich als den ihren betrachteten. Pelze und Lebensmittel erhoffte sich die RAK von dort. Nur waren die dortigen Pelztiere bald erlegt, die Ureinwohner, die die Feldarbeit für die Russen erledigten, verärgert. Kurzum, 1840 hatte die RAK endgültig das Interesse an Fort Ross verloren, Alaska konnte von dort nicht ausreichend proviantiert werden. Anschliessend erwarb die Siedlung in Kalifornien der Schweizer Johann August Sutter.

Von Alaska trennte sich Russland erst Jahrzehnte später. Ursache war ein Ereignis, das weit, weit weg stattgefunden hatte. 1856 hatten Briten und Franzosen dem Reich der Zaren eine desaströse Niederlage im Krimkrieg zugefügt, die Schmach sass tief – und führte tatsächlich zu Reformen im reaktionären Russland. Der recht frischgebackene Zar Alexander II. befreite später etwa die leibeigenen Bauern und stiess Alaska ab.

«Treasury Warrant»: Mit diesem Scheck über 7,2 Millionen US-Dollar erwarben die USA Alaska.
«Treasury Warrant»: Mit diesem Scheck über 7,2 Millionen US-Dollar erwarben die USA Alaska.Bild: public domain

Eine Entscheidung, die dem Herrscher Russlands wohl nicht allzu schwergefallen ist. «Mit dem fernen und unwirtlichen Alaska war man in Sankt Petersburg nie wirklich warm geworden», bilanziert Henner Kropp. Nur: Wer sollte Russlands Land jenseits der Beringstrasse bekommen? Grossbritannien kam nicht infrage, schliesslich hatte das Inselreich Russland nicht nur die Schmach auf der Krim zugefügt. Nein, mit dem Erwerb Alaskas wäre Grossbritannien mittels seines kanadischen Besitzes Russland im Osten ziemlich auf den Pelz gerückt.

Anders als im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts – und heute angesichts der russischen Invasion der Ukraine – war das Verhältnis Russlands zu den Vereinigten Staaten wesentlich besser. Der amerikanische Aussenminister William H. Seward war angetan von der Idee, das riesige Land im Norden des Kontinents zu erwerben. Für 7,2 Millionen Dollar wechselte Alaska 1867 den Eigentümer.

Gruss nach Moskau

Auch wenn Wladimir Putin und seiner Entourage das nicht gefallen sollte: Es war ein gültiges Geschäft. Nach dem Willen der Bewohner fragte allerdings niemand. Während damals William H. Seward ob des Kaufs eine Menge Spott ertragen musste («Sewards Gefriertruhe»), gilt in der Gegenwart Zar Alexander II. wegen des Verkaufs als Narr. Schliesslich würde ein heutiges Russisch-Amerika die geopolitischen Verhältnisse dramatisch zugunsten Russlands verändern. Vom Ölreichtum des 49. Bundesstaats der USA ganz abgesehen.

Henner Kropp verteidigt die russische Entscheidung von 1867: «Aus zeitgenössischer Perspektive lässt sich der Alaska Purchase durchaus rational erklären.» Eine Rückkehr Russlands nach Alaska à la Wolodin, Matveychev und Mironow ist auch eher unwahrscheinlich. Mike Dunleavy, Alaskas Gouverneur, schrieb auf X: «An die russischen Politiker, die glauben, dass sie Alaska zurückerobern können: Viel Glück!»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Bär rennt auf Touristen zu – zum Glück war dieser Mann da
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
108 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Überdimensionierte Riesenshrimps aka Reaper
02.01.2024 18:23registriert Juni 2016
Im Kreml scheinen sie entgültig den Bezug zur Realität verloren zu haben
2646
Melden
Zum Kommentar
avatar
Chibs
02.01.2024 18:41registriert April 2021
...ich bin schon lange der Meinung, dass Italien das römische Reich zurückerhalten sollte... und Russland müsste grosse Gebiete an die Mongolen abtreten... und... you name it !!

Immer, wenn ich überzeugt bin und jede Wette eingehe würde, dass es nicht mehr schwachsinniger geht, macht mir Putain und seine irre Entourage einen Strich durch die Rechnung. Ich hasse das...
25110
Melden
Zum Kommentar
avatar
John Henry Eden
02.01.2024 18:29registriert Januar 2014
Diese Entscheidung von damals war weise. Wir sollten heute alle dafür dankbar sein. Ansonsten wäre die Situation spätestens im Kalten Krieg eskaliert.

Die USA hätten niemals geduldet, dass die halbe Rote Armee die Westküste zu Fuss erreichen könnte. Ganz zu schweigen von in Alaska stationierten sowjetischen Langstreckenraketen. Die Vorwarnzeit für Kalifornien hätte nur wenig Minuten betragen.
1324
Melden
Zum Kommentar
108
So entwickelte sich Baschar al-Assad vom Reformer zum blutigen Diktator
Beinahe ein halbes Jahrhundert lang herrschte der alawitische Assad-Clan über Syrien. Nach dem Tod seines Vaters Hafez im Jahr 2000 galt sein Sohn Baschar zunächst als Hoffnungsträger.

Mehr als 24 Jahre lang war Baschar al-Assad in Syrien allgegenwärtig – doch am Sonntagmorgen war er plötzlich verschwunden. Der 59-jährige verliess Damaskus, als Rebellenverbände vor den Toren der Hauptstadt standen und sein Regime kollabierte.

Zur Story