Es war der Showdown im Machtkampf zwischen der Wagner-Söldnergruppe und dem russischen Militärkommando: Die Söldner übernahmen am Samstag Kontrolle über militärische Einrichtungen in der Grossstadt Rostow am Don und fuhren nahezu ungehindert auf Moskau zu. Dann plötzlich hielt Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin den Vormarsch an – und beorderte seine Kämpfer zurück.
Warum genau, das ist bislang unklar. Sicher ist nur, dass er ein Abkommen mit dem russischen Präsidialamt, offenbar unter Vermittlung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, schloss. Den Angaben zufolge wurde darin folgendes vereinbart:
Experten gehen davon aus, das weitere Aspekte bei den Verhandlungen eine Rolle gespielt haben. So schreiben etwa die Experten der US-Denkfabrik Insitute for the Study of War (ISW), «die Einzelheiten der Vereinbarung, die Art und Weise sowie der Zeitplan ihrer Umsetzung, die Ergebnisse für jede Partei und das Ausmass, in dem sich alle beteiligten Parteien an die Vereinbarung halten werden, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar».
Doch gibt es auch Äusserungen, die nahelegen, wie es in Zukunft mit den Wagner-Söldnern weitergehen könnte. Experten zufolge könnte nun das Ende der Söldergruppe in ihrer heutigen Form drohen.
So schreibt etwa die Politologin und Gründerin des Analysezentrums R.Politik, Tatjana Stanowaja in ihrem Telegram-Kanal: «Jetzt läuft eine Demontage von Wagner». Sie ist sich sicher: «Das Ende von Prigoschin ist auch das Ende von Wagner.»
Die Wagner-Gruppe werde «als unabhängiger Akteur unter der Führung von Prigoschin in ihrer jetzigen Form höchstwahrscheinlich verschwinden», schreiben die Experten des ISW in ihrem täglichen Bericht. Der Deal entziehe Prigoschin die Kontrolle über Wagner. Teile der Organisation könnten allerdings «unter bestehenden und neuen Kapazitäten weiterbestehen».
Schon seit Wochen bemüht sich das russische Verteidigungsministerium, mehr Kontrolle über die Söldnergruppen zu erlangen. Bislang agiert Wagner als privates Unternehmen, dass zumindest offiziell in Russland illegal ist. Das Ministerium versucht nun aber, sich die Kämpfer unterzuordnen und setzte dafür eine Deadline bis zum 1. Juli. Wagner-Soldaten wurden etwa angewiesen, Verträge mit dem Ministerium zu unterzeichnen.
Am Rande der Vereinbarung gab es nun ein neues Angebot an einige Wagner-Kämpfer: Wer sich nicht an dem Aufstand beteiligt habe, könne einen Vertrag mit der russischen Armee abschliessen. Allerdings bleiben hier einige Fragen offen, wie die ISW-Experten betonen.
Es gebe etwa keine Angaben dazu, wie der Kreml definiert, welche Mitarbeiter nicht an der Rebellion teilgenommen haben. Zudem ist das Schicksal der anderen Kämpfer offen. Klar ist derzeit nur, dass sie nicht strafrechtlich verfolgt werden sollen. Auch ob die Wagner-Kämpfer überhaupt in die Armee wollen und ob sie dort von den Streikräften akzeptiert werden würden, ist offen.
Die Experten beschreiben vier Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte: Sie könnten etwa individuelle Verträge mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnen, ihrem Anführer nach Belarus folgen oder zu Wagner-Einsatzorten in Afrika oder dem Nahen Osten geschickt werden. Möglich sei auch, dass sie sich demobilisieren und weiter in Russland aufhalten. Das könnte allerdings für die innere Sicherheit ein Problem darstellen.
Auch wie es mit Prigoschin selbst weitergeht ist offen. Unklar ist, ob er bereits in Belarus angekommen ist, wo er laut Kremlangaben künftig leben soll. Es gibt auch keine weiteren Informationen über einen möglichen Aufenthaltsort. Beobachter weisen ebenfalls daraufhin, dass nur weil der Kreml ihm Sicherheitsgarantien gegeben hat, das keinesfalls bedeutet, dass Prigoschin auch tatsächlich sicher ist.
Vor allem, weil er mit seinem Marsch auf Moskau dem Kreml massiv geschadet haben könnte. Wie die ISW-Experten schreiben, hat die Aktion deutliche Schwächen in der internen Sicherheit offengelegt: Die Kräfte konnten den Wagner-Söldnern so gut wie nichts entgegegensetzen. Für die russische Luftwaffe war es eines der tödlichsten Tage des Kriegs. Die Moral der russischen Truppen dürfte deutlich geschwächst sein. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin lässt das schwach scheinen.
Laut den ISW-Experten hat sich Prigoschin vermutlich durch die Bemühungen des Verteidigungsministeriums, die Kontrolle über die Söldner zu erlangen, in die Ecke gedrängt gefühlt – und eine solche Aktion als einzigen Weg gesehen, um sich geschäftlich, aber auch persönlich zu retten. Die ISW-Experten schätzen, dass Prigoschin auf mehr Überläufer zählte, es aber dazu nicht in grossem Ausmass gekommen ist.
Stattdessen habe er sich in seiner Unterstützerschaft in der ultranationalistischen Bewegung mehr Gegner gemacht. Militärblogger etwa verurteilten den Marsch auf Moskau, sie sahen im Kampf gegen das eigene Militär eine rote Linie überschritten. (t-online/cck)
Sehe ich nicht so. Im Gegenteil. Ich kann mir vorstellen, dass er sich mit Teilen der Truppe nach Afrika zurückzieht und sich neu sortiert und ausrichtet.