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Leiche von Alexej Nawalny: Das barbarische Katz-und-Maus-Spiel des Kreml

epaselect epa11165617 Lyudmila Navalnaya (R), mother of Alexei Navalny, walks accompanied by lawyers after visiting the Investigative Committee in Salekhard, Yamalo-Nenets region, Russia, 19 February  ...
Ljudmila Nawalnaja (rechts) mit einer Anwältin: Die Mutter des in Haft getöteten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny kämpft um die Herausgabe der Leiche ihres verstorbenen Sohnes.Bild: keystone

Wo ist seine Leiche? Barbarisches Katz-und-Maus-Spiel des Kreml um den toten Nawalny

Nach dem Tod von Alexej Nawalny geben die russischen Behörden seinen Leichnam nicht heraus. Offiziell ist nicht einmal klar, wo er sich befindet. Doch es gibt einen Verdacht.
20.02.2024, 11:2720.02.2024, 11:27
Inna Hartwich, Moskau / ch media
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Ljudmila Nawalnaja hält ihre Dokumente fest in der Hand, sie läuft über verschneite Wege von Salechard in Nordwestsibirien, hakt sich bei ihrem Anwalt unter. So zeigen Videoaufnahmen die Mutter Alexej Nawalnys in diesen Tagen.

Es ist kalt hinter dem Polarkreis, minus 27 Grad. Hier, hinter den Mauern der «Besserungskolonie Nummer 3» des Dörfchens Charp, endete am vergangenen Freitag plötzlich das Leben des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Ihres Sohnes. Wo sein Leichnam ist, weiss die Mutter jedoch immer noch nicht.

Ljudmila Nawalnaja ist keine, die den Umgang mit russischen Behörden scheut. Sie kennt sie, seit Jahren. Stunden verbrachte sie in russischen Gerichten, sass auf Holzbänken in der Ecke, hörte zu, versuchte zu verstehen, was Richterinnen und Richter in allerlei Verhandlungen vor sich hin nuschelten, was sie ihrem Aljoscha (so der Kosename von Alexej), dem Hoffnungsträger so vieler Russinnen und Russen, vorwarfen.

Es waren so viele absurde Vorhaltungen, selbst für Juristen kaum nachzuvollziehen. Die 69-Jährige ertrug die staatlichen Erniedrigungen gegen ihren Sohn und mied die Öffentlichkeit. Nun steht sie in dieser Öffentlichkeit, die sie begleitet auf ihrer unermüdlichen Suche nach dem Leichnam ihres Jungen – weil der russische Staat Alexej Nawalny auch nach seinem Tod erniedrigt. Und Ljudmila Nawalnaja mit ihm.

Zehntausende kämpfen für die Herausgabe

Nach russischem Recht sind die Gefängnisbehörden dazu verpflichtet, den Leichnam eines in Haft Verstorbenen an die Angehörigen herauszugeben, so steht es in der Anordnung Nummer 93 des Justizministeriums aus dem Jahr 2005. Nur drei Gründe lässt die Anordnung zu, dies nicht zu tun: Wenn der Häftling das vorher selbst äussert hat, die Angehörigen sich weigern, die Leiche abzuholen, oder diese gar nicht gefunden wird.

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Trauer um Alexej Nawalny: Menschen haben Blumen an der russischen Botschaft in London abgelegt, um an den getöteten Kreml-Kritiker zu erinnern.Bild: keystone

Nawalnys Angehörige aber kämpfen um die Herausgabe; auch mehr als 55'000 Menschen kämpfen in einer Petition mittlerweile dafür. Die Behörden sprechen indes von einer «verlängerten Überprüfung der Leiche», die Todesursache sei «nicht geklärt», hiess es vom Untersuchungsausschuss des russischen Ermittlungskomitees. Das russische Gesetz griff bei Nawalny selten.

«Am frühen Morgen trafen Alexejs Mutter und ihre Anwälte im Leichenschauhaus ein. Rein durften sie nicht. Einer der Anwälte wurde regelrecht rausgedrängt. Auf die Frage, ob Alexejs Leiche da sei, sagten die Mitarbeiter nichts», schrieb Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch auf X, ehemals Twitter.

Die Spuren des Verbrechens beseitigen

Iwan Schdanow, der Leiter von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK (in Russland für «extremistisch» erklärt), erinnert das Katz-und-Maus-Spiel an die Tage nach Nawalnys Vergiftung im August 2020. Auch damals seien die Fristen immer wieder verlängert worden, Nawalnys Kleider nicht herausgegeben worden. «Sie sagen, sie seien interessiert daran, alles so schnell wie möglich zu erledigen, sagen, dass alles in einer Stunde entschieden sei. Diese prinzipienlosen Lakaien lügen unverhohlen. Sie wissen genau, dass in einer Stunde nichts entschieden wird, auch nicht nach einem Tag. Ist doch klar, was sie jetzt tun. Die Spuren ihres Verbrechens beseitigen», schrieb er auf X.

Das russische Medienportal «Mediazona» veröffentlichte Bilder von Überwachungskameras zwischen Labytnangi (auch ein Ort mit einer Strafkolonie, unweit von Charp) und der Regionalhauptstadt Salechard. Darauf ist zu sehen, wie eine Wagenkolonne der Gefängnisbehörde in der Nacht auf den 17. Februar diesen einzigen Zugang von Charp nach Salechard – über den vereisten Fluss Ob – passiert.

Die Journalisten gehen davon aus, dass Nawalnys Leichnam in einem Kleinbus aus der Strafkolonie gebracht wurde. Im Kreml hiess es am Montag, es sei «nicht die Aufgabe der Präsidialverwaltung, sich um die Frage nach der Herausgabe einer Leiche» zu kümmern. «Alle gesetzlich erforderlichen Massnahmen werden unternommen», sagte der Kremlsprecher Dmitri Peskow. Ljudmila Nawalnaja wartet derweil in Salechard weiter auf ihren Aljoscha.

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Auster N
20.02.2024 09:56registriert Januar 2022
Russland ist so dumm, dass sie mit diesen Spielchen Nawalny erst recht zu einer Legende werden lassen. Und das wird ihnen, Putin allen voran, niemals mehr Ruhe gewähren. Für mich ist der Mann sowieso schon der höchste Held der Sowjetunion aller Zeiten.
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Henry Enveloppe
20.02.2024 11:02registriert September 2022
Vielleicht hat der Tod von Nawalny Einfluss auf die russischen Wahlberechtigten. Es wäre schön, wenn sie nur eine Tatsache berücksichtigen würden: Mörder und Atombombendroher wählt man einfach nicht.
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maruhu
20.02.2024 11:46registriert Januar 2021
Der heutige Kreml und all seine Unterstützer ist das Finsterste, wo es momentan auf Welt gibt ! Die verantwortlichen werden die richtige Strafe erhalten.
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