«Die Hölle ist auf die Erde gekommen. Zu Asowstal.» Geöffnet worden sei der Höllenschlund nach Angaben des Mariupoler Stadtratsabgeordneten Petro Andrjuschtschenko von den russischen Streitkräften: Denn Asowstal, der letzten Rückzugsort der ukrainischen Truppen in der Hafenstadt Mariupol, sei am Sonntag mit der gefürchteten Phosphorbombe beschossen worden.
Was wir zum mutmasslichen Phosphorbomben-Angriff auf Asowstal wissen und warum diese Waffe so gefährlich ist:
Ein Regen aus Feuer, der vom Himmel regnet, ein leuchtend rotes Feuerwerk über einer Industrieruine – das sieht man auf einem Video, das in den sozialen Medien die Runde macht und das den Einsatz von Phosphorbomben auf Aswostal zeigen soll. Andere Quellen sprechen von Magnesium-Bomben.
Der britische Militärexperte Hamish Stephen de Bretton-Gordon bestätigte gegenüber Reuters, dass es sich um einen Angriff mit Phosphor- oder Brandbomben handle. Klarheit darüber, welches Geschoss eingesetzt wurde, brächten aber erst Proben. Darum gilt: Unabhängig überprüfbar sind die Aussagen über Phosphorbomben in Mariupol derzeit nicht – sicher ist aber, Russland besitzt Phosphorbomben, die in der Vergangenheit bereits zum Einsatz kamen.
Советник мэра Мариуполя Петр Андрющенко опубликовал видео обстрела завода «Азовсталь» зажигательными снарядами. Он отмечает, что это могут быть запрещенные к применению боеприпасы с белым фосфором.https://t.co/Jhq1s0zeYI pic.twitter.com/ECXFiYaB4I
— Медиазона (@mediazzzona) May 15, 2022
Verbreitet wurde das Video unter anderem durch den ukrainischen Lokalpolitiker Andrjuschtschenko via Telegram am Sonntagmorgen (Ortszeit). Dieser schrieb dazu:
In Hasskommentaren war auf den sozialen Medien zu lesen, dass die mutmasslichen Phosphorbomben «der russische Gruss» zum ESC-Sieg seien.
«Horrorwaffe» ist nicht selten ein Begriff, mit dem Kritiker die Phosphorbombe beschreiben. Denn Phosphorbomben haben eine extrem zerstörerische Kraft auf Infrastruktur und töten Menschen unter äussersten Qualen.
Phosphorbomben enthalten weissen Phosphor und Kautschuk. Weisser Phosphor ist die reaktivste allotrope Variante von Phosphor und entzündet sich alleine durch den Kontakt mit Sauerstoff, wodurch eine bis zu 1300 Grad Celsius heisse Flamme entsteht und dichter, weisser Rauch.
Feuer, das durch Phosphorbomben gelegt wurde, lässt sich nicht mit Wasser löschen – es flammt schon wenige Sekunden nach dem Löschen wieder auf. Der Brand lässt sich lediglich ersticken, zum Beispiel durch Sand.
Der Einsatz von Phosphorbomben gegen Menschen ist perfide und verheerend, denn aufgrund des Kautschuks bleibt der entzündliche weisse Phosphor auf der Haut kleben: Versuchen Opfer die Mixtur abzustreifen, verteilt sie sich nur noch weiter. So können Opfer von Phosphorbomben Verbrennungen dritten Grades ereilen – manche verbrennen bis auf die Knochen.
Viele Phosphor-Bomben-Opfer sterben qualvoll an den giftigen Dämpfen im dichten, weissen Rauch, wie Human Rights Watch schreibt. Der Tod tritt erst mehrere Tage nach dem Einatmen der Phosphor-Dämpfe ein – aufgrund von Leber- Herz- oder Nierenschäden. Wer trotzdem überlebt, hat in der Regel ein Leben lang mit Beeinträchtigungen zu kämpfen.
Trotz dieser verheerenden Folgen für den Menschen gelten Phosphorbomben nicht als Chemiewaffen. Aber ihr Einsatz gegen Menschen ist im humanitären Völkerrecht eingeschränkt:
Der Einsatz gegen ein militärisches Ziel ist u.a. dann verboten, wenn sich dieses in einem besiedelten Gebiet befindet und der Angriff aus der Luft erfolgt. Festgehalten ist dies in einem Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen – dem Herzstück des internationalen Völkerrechts.
Im Übrigen gilt der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz, dass der Einsatz von Waffen, Geschossen und Stoffen verboten ist, die geeignet sind, unnötige Leiden hervorzurufen.
In Asowstal verschanzen sich nach ukrainischen Angaben immer noch rund 1000 ukrainische Kämpfer. In Mariupol selber verstecken sich noch Zivilisten. Somit wäre der Einsatz von Phosphorbomben auf Aswostal und Mariupol, wie ihn Andrjuschtschenko beschreibt, eine Verletzung des Völkerrechts.
Der Einsatz von Phosphorbomben im Allgemeinen ist allerdings nicht verboten. Und so werden Phosphorbomben als militärtaktische Bomben eingesetzt, um zum Beispiel Truppenbewegungen zu verschleiern.
Bereits im Ersten Weltkrieg wurde weisser Phosphor wegen seiner Brand- und Nebelwirkung waffentechnisch genutzt. Im grossen Massstab als Brandbombe kam er allerdings erst im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz.
Auch in jüngster Vergangenheit sollen Phosphorbomben von mehreren Streitkräften in kriegerischen Auseinandersetzungen über bewohntem Gebiet eingesetzt worden sein: Zum Beispiel haben die israelischen Streitkräfte im Libanonkrieg 2006 sowie 2009 im Gazastreifen Phosphorbomben abgeworfen. Beide Einsätze wurde von Israel bestätigt. Israel bekräftigte später, keine Artilleriegranaten mit weissem Phosphor mehr einsetzen zu wollen.
Ein weiteres Beispiel: 2005 feuerten die USA im zweiten Irakkrieg Phosphorbomben ab. Die «United States Army» leugnete dies zunächst, gab es jedoch später zu.
Eine Verurteilung wegen Einsatz von Phosphorbomben auf besiedelte Gebiete hat es in beiden Fällen nicht gegeben. Weder Israel noch die USA haben das Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen unterzeichnet.
Auch im aktuellen Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine sollen Putins Horrorwaffen bereits früher eingesetzt worden sein: Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte, Ljudmyla Denissowa, beschuldigte Russland am 13. März in Luhansk Phosphormunition eingesetzt zu haben. Im März sollen laut den ukrainischen Behörden in Popasna, Kramatorsk, Irpin, Hostomel und Rubischne Phosphorbomben abgeworfen worden sein. Unabhängig verifizieren liess sich bis jetzt keiner der Angriffe.
Weiterhin ist schon längst klar, dass Russland sehr barbarisch vorgeht. Wir wissen, dass die Zerstörung der Städte, das Töten und Vergewaltigen von Zivilisten und das Verschleppen von Kindern zur russischen Taktik gehört. Aber immerhin ist es jetzt dokumentiert und kann verfolgt werden.
Wollte ich nur mal so am Rande loswerden. Sonst gibt es ja eigentlich echt nichts mehr an Worten hinzuzufügen zum abgrundtief barbarischen Verhalten Russlands.