International
Russland

Ukraine-Russland: Warum eine Phosphorbombe völkerrechtswidrig wäre

Video: watson

Phosphorbomben auf Asowstal – 3 Punkte zu Putins verbotener Horror-Waffe

Putins Armee soll eine Phosphorbombe über Asowstal eingesetzt haben, wo sich immer noch Menschen aufhalten. Warum Phosphorbomben so gefährlich sind.
16.05.2022, 11:4817.05.2022, 14:27
Mehr «International»

«Die Hölle ist auf die Erde gekommen. Zu Asowstal.» Geöffnet worden sei der Höllenschlund nach Angaben des Mariupoler Stadtratsabgeordneten Petro Andrjuschtschenko von den russischen Streitkräften: Denn Asowstal, der letzten Rückzugsort der ukrainischen Truppen in der Hafenstadt Mariupol, sei am Sonntag mit der gefürchteten Phosphorbombe beschossen worden.

Was wir zum mutmasslichen Phosphorbomben-Angriff auf Asowstal wissen und warum diese Waffe so gefährlich ist:

Die Phosphorbombe auf Asowstal nach dem ESC-Sieg der Ukraine

Ein Regen aus Feuer, der vom Himmel regnet, ein leuchtend rotes Feuerwerk über einer Industrieruine – das sieht man auf einem Video, das in den sozialen Medien die Runde macht und das den Einsatz von Phosphorbomben auf Aswostal zeigen soll. Andere Quellen sprechen von Magnesium-Bomben.

Der britische Militärexperte Hamish Stephen de Bretton-Gordon bestätigte gegenüber Reuters, dass es sich um einen Angriff mit Phosphor- oder Brandbomben handle. Klarheit darüber, welches Geschoss eingesetzt wurde, brächten aber erst Proben. Darum gilt: Unabhängig überprüfbar sind die Aussagen über Phosphorbomben in Mariupol derzeit nicht – sicher ist aber, Russland besitzt Phosphorbomben, die in der Vergangenheit bereits zum Einsatz kamen.

Verbreitet wurde das Video unter anderem durch den ukrainischen Lokalpolitiker Andrjuschtschenko via Telegram am Sonntagmorgen (Ortszeit). Dieser schrieb dazu:

«Vom Himmel, vom Meer, vom Land: Gestern setzten die Besatzer zum ersten Mal Phosphorbomben gegen die Bewohner von Mariupol ein.»

In Hasskommentaren war auf den sozialen Medien zu lesen, dass die mutmasslichen Phosphorbomben «der russische Gruss» zum ESC-Sieg seien.

>> Alle Entwicklungen im Ukraine-Krieg <<

Was die Phosphorbombe so gefährlich macht

«Horrorwaffe» ist nicht selten ein Begriff, mit dem Kritiker die Phosphorbombe beschreiben. Denn Phosphorbomben haben eine extrem zerstörerische Kraft auf Infrastruktur und töten Menschen unter äussersten Qualen.

Phosphorbomben enthalten weissen Phosphor und Kautschuk. Weisser Phosphor ist die reaktivste allotrope Variante von Phosphor und entzündet sich alleine durch den Kontakt mit Sauerstoff, wodurch eine bis zu 1300 Grad Celsius heisse Flamme entsteht und dichter, weisser Rauch.

Feuer, das durch Phosphorbomben gelegt wurde, lässt sich nicht mit Wasser löschen – es flammt schon wenige Sekunden nach dem Löschen wieder auf. Der Brand lässt sich lediglich ersticken, zum Beispiel durch Sand.

Der Einsatz von Phosphorbomben gegen Menschen ist perfide und verheerend, denn aufgrund des Kautschuks bleibt der entzündliche weisse Phosphor auf der Haut kleben: Versuchen Opfer die Mixtur abzustreifen, verteilt sie sich nur noch weiter. So können Opfer von Phosphorbomben Verbrennungen dritten Grades ereilen – manche verbrennen bis auf die Knochen.

Viele Phosphor-Bomben-Opfer sterben qualvoll an den giftigen Dämpfen im dichten, weissen Rauch, wie Human Rights Watch schreibt. Der Tod tritt erst mehrere Tage nach dem Einatmen der Phosphor-Dämpfe ein – aufgrund von Leber- Herz- oder Nierenschäden. Wer trotzdem überlebt, hat in der Regel ein Leben lang mit Beeinträchtigungen zu kämpfen.

Einsatz von Phosphorbomben

Trotz dieser verheerenden Folgen für den Menschen gelten Phosphorbomben nicht als Chemiewaffen. Aber ihr Einsatz gegen Menschen ist im humanitären Völkerrecht eingeschränkt:

Der Einsatz gegen ein militärisches Ziel ist u.a. dann verboten, wenn sich dieses in einem besiedelten Gebiet befindet und der Angriff aus der Luft erfolgt. Festgehalten ist dies in einem Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen – dem Herzstück des internationalen Völkerrechts.

Im Übrigen gilt der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz, dass der Einsatz von Waffen, Geschossen und Stoffen verboten ist, die geeignet sind, unnötige Leiden hervorzurufen.

In Asowstal verschanzen sich nach ukrainischen Angaben immer noch rund 1000 ukrainische Kämpfer. In Mariupol selber verstecken sich noch Zivilisten. Somit wäre der Einsatz von Phosphorbomben auf Aswostal und Mariupol, wie ihn Andrjuschtschenko beschreibt, eine Verletzung des Völkerrechts.

Der Einsatz von Phosphorbomben im Allgemeinen ist allerdings nicht verboten. Und so werden Phosphorbomben als militärtaktische Bomben eingesetzt, um zum Beispiel Truppenbewegungen zu verschleiern.

Bereits im Ersten Weltkrieg wurde weisser Phosphor wegen seiner Brand- und Nebelwirkung waffentechnisch genutzt. Im grossen Massstab als Brandbombe kam er allerdings erst im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz.

Auch in jüngster Vergangenheit sollen Phosphorbomben von mehreren Streitkräften in kriegerischen Auseinandersetzungen über bewohntem Gebiet eingesetzt worden sein: Zum Beispiel haben die israelischen Streitkräfte im Libanonkrieg 2006 sowie 2009 im Gazastreifen Phosphorbomben abgeworfen. Beide Einsätze wurde von Israel bestätigt. Israel bekräftigte später, keine Artilleriegranaten mit weissem Phosphor mehr einsetzen zu wollen.

Ein weiteres Beispiel: 2005 feuerten die USA im zweiten Irakkrieg Phosphorbomben ab. Die «United States Army» leugnete dies zunächst, gab es jedoch später zu.

Eine Verurteilung wegen Einsatz von Phosphorbomben auf besiedelte Gebiete hat es in beiden Fällen nicht gegeben. Weder Israel noch die USA haben das Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen unterzeichnet.

Auch im aktuellen Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine sollen Putins Horrorwaffen bereits früher eingesetzt worden sein: Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte, Ljudmyla Denissowa, beschuldigte Russland am 13. März in Luhansk Phosphormunition eingesetzt zu haben. Im März sollen laut den ukrainischen Behörden in Popasna, Kramatorsk, Irpin, Hostomel und Rubischne Phosphorbomben abgeworfen worden sein. Unabhängig verifizieren liess sich bis jetzt keiner der Angriffe.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Wie sich ukrainische Zivilisten auf ihren Feind vorbereiten
1 / 17
Wie sich ukrainische Zivilisten auf ihren Feind vorbereiten
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Russischer Panzer explodiert in der Ukraine
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
89 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Majoras Maske
16.05.2022 11:59registriert Dezember 2016
Vermutlich soll dieser Angriff uns beeindrucken und uns die Macht und Entschlossenheit des Kremls zeigen. Aber mich beeindruckt eher, dass die Ukrainer Charkiw befreit haben und die Russen wie bei Kiew fliehen müssen.
Weiterhin ist schon längst klar, dass Russland sehr barbarisch vorgeht. Wir wissen, dass die Zerstörung der Städte, das Töten und Vergewaltigen von Zivilisten und das Verschleppen von Kindern zur russischen Taktik gehört. Aber immerhin ist es jetzt dokumentiert und kann verfolgt werden.
1675
Melden
Zum Kommentar
avatar
CogitoErgoSum
16.05.2022 12:43registriert August 2018
Jeder macht bald, was er will. Solange es nicht folgenträchtig verurteilt wird oder persönliche Folgen hat. Das fängt bei Fussballrowdies an und endet bei Kriegstreibern.
396
Melden
Zum Kommentar
avatar
Alnothur
16.05.2022 13:04registriert April 2014
Mittlerweile frage ich mich, warum überhaupt noch ein Satz wie "das ist eine Verletzung des Völkerrechts" geschrieben wird. Das ist doch vergeudete Tinte (bzw. vergeudete Bytes). Das Völkerrecht ist schon längst nur mehr ein Witz, an den sich eh keiner mehr hält...

Wollte ich nur mal so am Rande loswerden. Sonst gibt es ja eigentlich echt nichts mehr an Worten hinzuzufügen zum abgrundtief barbarischen Verhalten Russlands.
253
Melden
Zum Kommentar
89
Kuba in der Krise – Proteste gegen Stromausfälle und Versorgungsengpässe

Zahlreiche Kubaner sind gegen die häufigen Stromausfälle und die Lebensmittelknappheit auf der sozialistischen Karibikinsel auf die Strasse gegangen.

Zur Story