Was den Nazis recht war, ist nun auch Wladimir Putin billig. Der russische Präsident ermöglicht und begünstigt offen die Deportation ukrainischer Kinder bis nach Sibirien. Sie werden ihrer Heimat, teils auch ihren Familien entrissen und tragen schwere Traumata davon.
Laut den geltenden, von Moskau ratifizierten UNO-Konventionen beinhaltet dieses klare Kriegsverbrechen auch eine genozidäre Absicht. Vielsagend ist, dass der Kreml diesen völkerrechtswidrigen Kinderraub keineswegs verheimlicht. Putins «Kommissarin für Kinderrechte», Maria Lvova-Belova, erklärt am russischen Fernsehen, sie lasse gefährdete Kinder aus Städten wie Mariupol oder Kherson «evakuieren» und «retten».
Ausdrücklich spricht die Mehrfachmutter von den Wohltaten der «Umerziehung». Einen 16-jährigen Jugendlichen aus Mariupol hat die Putin-Vertraute selber adoptiert. Vor einer TV-Kamera erzählte sie mit einem Teddybären im Arm, die Kinder aus der zerbombten Stadt hätten zuerst die ukrainische Nationalhymne gesungen, als man sie aus den Kellern geholt habe; mittlerweile habe sich ihre Haltung aber in «Liebe zu Russland» verwandelt.
Von ukrainischer Seite sind auf Twitter Kommentare zu lesen wie: «Sie sieht Goebbels' Frau auch noch ähnlich.»
Zu den ersten, die diese Massenentführung publik machten und anprangerten, gehört eine Gruppe französischer Wissenschafter, Autoren und Ukrainologen. Sie veröffentlichten im August in der Pariser Zeitung «Le Monde» eine Zuschrift unter dem Titel: «Ukrainische Kinder zu deportieren und zu ‹russifizieren›, bedeutet, die Ukraine ihrer Zukunft zu berauben.»
Die Mitunterzeichnerin Sylvie Rollet, Filmexpertin und Vorsteherin des Pariser Vereins «Für die Ukraine, für unsere und ihre Freiheit», schildert gegenüber CH Media, warum es sich um eine regelrechte Deportation handle. Sie betreffe ukrainische Kriegswaisen, aber längst nicht nur. Viele Kinder würden in den russischen «Filtrationszentren» von ihren Eltern getrennt; andere wiederum kehrten nicht mehr aus «Ferienkolonien» in den von Russland besetzten Gebieten zurück.
Laut Rollet werden sie zusammen mit anderen isolierten Minderjährigen nach Russland transportiert und dort bisweilen in die entlegensten Landesregionen wie Nowosibirsk, Murmansk oder die Grenze zu Nordkorea aufgeteilt. Wohin genau, erfahren die zurückgebliebenen Angehörigen nur, wenn es den Kindern gelingt, sie anzurufen.
Wie viele Kinder gekidnappt wurden, ist sehr schwer zu sagen. Das französische Kollektiv geht von 300'000 aus. Diese Zahl umfasst indessen auch die Kinder, die zusammen mit ihrer Familie nach Russland verfrachtet wurden und werden. Die Zahl der ohne Eltern entführten Kinder dürfte ein Bruchteil ausmachen – aber immer noch mehr als die 11'000 namentlich bekannten Kinder, die laut der ukrainischen Regierungswebseite «Children of war» allein deportiert worden sind.
Die Spannweite dieser Zahlen sagt viel aus über die Unmöglichkeit, das Ausmass dieses zynischen Kriegsverbrechens an Kindern zu erfassen. Putin schafft eiskalt die Rahmenbedingungen:
Oleksandra Romantsowa vom Zentrum für zivile Freiheit – das im Oktober den Friedensnobelpreis erhalten hat – führte an der Pariser Pressekonferenz aus, wie russische Soldaten die Deportation ukrainischer Kinder fördern: «Sie schiessen zuerst auf Kindergärten, Schulen und Waisenhäuser; dann geben sie vor, dass sie die Kinder an einen vor den Schüssen sicheren Ort bringen. Der befindet sich oft mehr als tausend Kilometer entfernt im Osten oder Norden Russlands.»
Der franko-amerikanische Schriftsteller Jonathan Littell wurde an derselben Pressekonferenz gefragt, ob das Verhalten des Putin-Clans nicht an die breitflächige Deportationspolitik der Stalin-Ära gemahne. Littells Antwort: «Mich erinnert das eher an das Vorgehen der Nazis gegenüber Polen.»
Damals seien 50'000 bis 200'000 polnischer und slawischer Kinder mit blonden Haaren und blauen Augen nach Deutschland entführt und dort assimiliert worden.
Nur das Motiv ist heute anders: Den Nazis ging es um die «Arisierung», Putin folgt dem Konzept der «Russifizierung», wie seine Adoptionsdekrete belegen. Dazu Sylvie Rollet: «Mit seiner ‹Spezialoperation› will Putin die Ukraine letztlich ausmerzen. Er negiert ihre Vergangenheit, die kulturellen Traditionen und ihre staatliche Legitimität. Die ‹Russifizierung› ukrainischer Kinder ist Teil dieser Politik.» (aargauerzeitung.ch)
Perfides, widerliches Regime.