Die Reise soll überstürzt gewesen sein und nicht sehr angenehm. Vier Tage wollen Elena Kolbasnikova und Max Schlund mit ihren Katzen im Auto unterwegs gewesen sein, um von Köln ins rund 1'200 Kilometer entfernte Kaliningrad zu fahren. Das Paar stand im Mittelpunkt vieler pro-russischer Demonstrationen in Deutschland und hat Geld für die Ausrüstung russischer Kämpfer gesammelt. Jetzt melden sie ihre Flucht aus dem «verrückten» Deutschland und vor der politischen Verfolgung in das «freie» Russland.
Elena Kolbasnikova, die eigentliche Olena heisst und einen ukrainischen Pass hat, ist mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erstmals überregional in Erscheinung getreten – und seitdem immer wieder. Sie war die Anmelderin des grössten pro-russischen Autokorsos in Deutschland: Mehr als 1'000 Teilnehmer in Fahrzeugen mit russischen und sowjetischen Fahnen in Köln, das russische Fernsehen berichtete von einem «Massenprotest». Danach war sie Anmelderin und Rednerin bei zahlreichen Kundgebungen – vor immer weniger Teilnehmern.
Bereits die erste Versammlung hatte ihr ein Ermittlungsverfahren und eine Verurteilung eingebracht, da sie während einer Demonstration in eine Kamera gesagt hatte: «Russland ist kein Aggressor. Russland hilft zurzeit, den Krieg in der Ukraine beenden.» Sie kassierte eine Geldstrafe über 30 Tagessätze zu 30 Euro wegen Billigung eines Verbrechens. Sie ging in Berufung, ein Völkerrechtler soll dafür als Sachverständiger hinzugezogen werden – Fortgang unklar.
Ihr Anwalt Markus Beisicht beantwortet zu laufenden Verfahren keine Fragen, lässt offen, ob sie zu einem Berufungsprozess einreisen wird. Er teilte t-online aber mit, eine «zeitnahe» Rückkehr« sei nicht geplant. »Ob eine Rückkehr nach Deutschland noch einmal möglich sein kann, wird die Zukunft zeigen."
Der frühere «ProNRW»-Politiker Beisicht hat mit Kolbasnikva auch im September 2023 die Querfront-Kleinstpartei «Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit» gegründet. Beisicht teilte t-online mit, er habe am Montagmorgen mit Kolbasnikova und Schlund in Kaliningrad telefoniert. Wegen «gravierender Russophobie», also Feindseligkeit gegenüber Russland, könnten sie nicht mehr in Deutschland leben. Das Paar habe «wegen des politischen Engagements» Arbeit und Wohnung verloren und stehe «im Fadenkreuz ukrainischer Extremisten». Zudem gebe es «unzählige, fragwürdige strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit teilweise brutal ausgeführten Hausdurchsuchungen».
Für das Paar ist es in Deutschland offensichtlich ungemütlich geworden.
Beim Berufungsprozess um die kleine Geldstrafe wegen Billigens des russischen Angriffskriegs würde es auch nicht bleiben, wenn sie in Deutschland greifbar sind. In einem anderen Verfahren geht es um schwerwiegendere Vorwürfe: Unter anderem Verstoss gegen das Aussenhandelsgesetz – sie sollen mit Spendengeldern Ausrüstung zur Unterstützung russischer Einheiten beschafft und in den Donbass gebracht haben.
Wegen dieser Vorwürfe hatte es bereits im März 2023 eine Hausdurchsuchung bei den beiden gegeben, im August 2023 gab es eine zweite – mit einem brisanten Fund: einer nicht funktionsfähigen Kalaschnikow. Das brachte den Vorwurf des Verstosses gegen das Waffengesetz ein, der schliesslich mit dem Verfahren wegen der Transporte in den Donbass verknüpft wurde.
Ein Termin für diese Verhandlung stand nicht bevor, heisst es von der Staatsanwaltschaft Köln. Angeklagt sind sie auch nur vor dem Amtsgericht. Dort landen die nicht so harten Fälle, bei denen eine Strafe von maximal vier Jahren zu erwarten ist. Nach t-online-Informationen gab es in Kölner Sicherheitskreisen auch keine Überlegungen, das Paar vorab etwa wegen Fluchtgefahr in Haft zu nehmen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft wollte dazu keine Stellung nehmen und nicht sagen, ob nun ein solcher Haftbefehl im Raum stehen könnte. Es sei ja nicht einmal gesichert, ob das Paar wirklich weg sei.
Kolbasnikova und Schlund verkaufen auf Telegram ihre Reise als Coup und rechtzeitiges Entrinnen vor den Verfolgern in Deutschland. Sie seien gewarnt worden. Nun seien «Freunde froh, dass wir aus der Hölle raus sind und Freiheit atmen». Die Feinde dagegen seien «stinksauer» und machten deutschen Behörden Vorwürfe, die Flucht nicht verhindert zu haben.
Darüber kann Tanja Schmieder nur lachen. Schmieder wird von Kolbasnikova wohl zu den «Feinden» gezählt, denn sie war mit dem Verein «City of Hope Cologne» regelmässig bei den prorussischen Kundgebungen zum Gegenprotest präsent. Schmieder organisierte Hilfstransporte in die Ukraine, einer ukrainischen Freundin hat sie das Versprechen gegeben:
Sie erfuhr auf der Plattform Telegram von der angeblichen Flucht und sagte t-online: «Wenn Kolbasnikova und Schlund zurück nach Russland gegangen sind, ist das doch super.» Schieber hatte auch über Lautsprecher bei Gegenprotesten Kolbasnikova zugerufen, sie hinter Gitter oder zum Aufgeben zu bringen. Der Verein verfolgt das Treiben des Paares intensiv und erstattete Anzeigen, wenn das Paar mutmasslich Straftaten beging.
Schlund hatte etwa am Rande einer Verhandlung am Amtsgericht angesichts des Gegenprotests die Nerven verloren und einen Aktivisten aus den Reihen des Vereins mit der Faust zu Boden geschlagen. «Da wäre auch noch ein Verfahren auf Schlund wegen Körperverletzung zugekommen, es laufen noch einige Ermittlungen», so Schmieder.
Über seinen Telegramkanal schickte Schlund nun ein Foto von sich mit opulent gefüllten Tellern in einem Biergarten in Kaliningrad. Er könne sich dort für 20 Euro mehr als satt essen. Das Paar ruft auf, ihnen nach Russland zu folgen. Schmieder glaubt, dass solche Werbung bald weniger werden könnte:
In der Vergangenheit war die Unterstützung für das Paar direkt aus Russland offensichtlich: Die Nachrichtenagentur Reuters deckte im Januar 2023 auf, dass eine russische Regierungsagentur dem Paar einen Flug nach Moskau zu einer Konferenz mit Präsident Wladimir Putin gezahlt hatte. Im vergangenen Jahr verlieh er in einem Dekret Kolbasnikova die russische Staatsbürgerschaft. Sie ist jetzt Russin wie Schlund, der unter seinem früheren Namen Rostislav Teslyuk als Luftwaffenoffizier gedient hatte. Schmieder glaubt: «Jetzt könnte er auch bald an der Front landen.»
Dann bekäme eine weitere Ankündigung im Kanal von Schlund und Kolbaniskova auch noch einmal eine andere Bedeutung: Die «Militärische Spezialoperation» – wie sie Russlands Krieg in der Ukraine nach Sprachvorgaben des Kremls nennen, sei nicht «irgendwo weit weg. Sie ist hier, und wir werden nicht aufgeben.» Propagandakrieg auf deutschem Boden ist für Russen mit weniger Risiko verbunden.
Verwendete Quellen:
Einige Tipps:
- von Fenstern und Balkonen fernhalten
- in keinen Swimmingpools schwimmen gehen
- niemals Messern und Schusswaffen den Rücken zudrehen (Suizidgefahr)
- perfektes akzentfreies Russisch sprechen, sonst "sehr hartes" Verhör durch die Ork-Spionageabwehr
Viel Spass im "freien und demokratischen" Orkland!