Russische Nachrichtenagenturen waren die Ersten, die über den Absturz berichteten. Dabei stützten sie sich auf das russische Verteidigungsministerium, das behauptete, es hätten sich 65 ukrainische Kriegsgefangene an Bord des Flugzeugs befunden. Bereits zu diesem Zeitpunkt kursierte die Information, dass sich das Flugzeug auf dem Weg zu einem Gefangenenaustausch befunden habe. Alle seien bei dem Absturz ums Leben gekommen.
Behörden haben die Namen des getöteten Piloten und weiterer fünf Besatzungsmitglieder veröffentlicht. «Das ist für alle ein nicht wieder gutzumachender Verlust. Unser Beileid gilt den Familien und Freunden der Helden», teilten die Behörden der Region Orenburg am Donnerstag mit.
Eine Reaktion soll es laut Kremlsprecher Dmitri Peskow erst geben, wenn offene Fragen geklärt seien. Dazu sollen auch die sichergestellten Flugschreiber ausgewertet werden, wie Staatsmedien in Moskau meldeten. Auch Raketenteile seien gefunden worden.
Die Ukraine dementierte nicht, dass sich ukrainische Kriegsgefangene an Bord befunden hätten. Sie bestätigt sogar, dass für Mittwoch ein Austausch von Kriegsgefangenen geplant gewesen sei. Man habe sich an die Absprachen gehalten und die russischen Kriegsgefangenen zum vereinbarten Übergabeort gebracht.
Der ukrainische Militärgeheimdienst machte der russischen Seite Vorwürfe, im Gegensatz zu früheren Gefangenentransporten nicht über die geplante Flugroute und den Zeitraum informiert zu haben – zur Sicherheit der Besatzung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte eine internationale Untersuchung des Vorfalls und fand in seiner abendlichen Videoansprache deutliche Worte:
«Es ist offensichtlich, dass die Russen mit dem Leben von ukrainischen Gefangenen, mit den Gefühlen ihrer Angehörigen und mit den Emotionen unserer Gesellschaft spielen», sagte Selenskyj in seiner Ansprache. Er nennt die Heimholung Tausender Ukrainer aus russischer Gefangenschaft stets als vorrangiges Ziel.
Die russische Propagandistin Margarita Simonjan präsentierte auf dem Propagandakanal RT eine Liste mit 65 ukrainischen Kriegsgefangenen. Darunter war der Name eines ukrainischen Snipers, der bereits Anfang Januar in die Ukraine hatte zurückkehren können, wie die Aargauer Zeitung schreibt.
Vonseiten der Ukraine wurde behauptet, das abgestürzte Transportflugzeug habe Flugabwehrraketen vom Typ S-300 transportiert und keine Kriegsgefangenen. Doch auch diese Behauptung wurde bis dato nicht belegt.
«Wir haben keinerlei Anzeichen dessen gesehen, dass sich im Flugzeug eine grosse Anzahl von Menschen befand – ob nun Bürger der Ukraine oder keine Bürger der Ukraine», sagte der Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez am Donnerstag im Nachrichtenfernsehen. Wie Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach er sich für eine internationale Untersuchung des Vorfalls aus. Er bestätigte erneut den gescheiterten Gefangenenaustausch.
Lubinez betonte, gemäss der Genfer Konvention trage das Aufenthaltsland die gesamte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Kriegsgefangenen. «Das ist die Russische Föderation», unterstrich der Ombudsmann. Moskau sei vor dem Austausch verpflichtet gewesen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz über den Transportweg von Kriegsgefangenen zu informieren. Er warf der russischen Seite eine gezielte und lang geplante Kampagne zur Verleumdung der Ukraine vor.
Zusammengefasst: Es liegen derzeit weder Beweise dafür vor, dass sich S-300-Raketen an Bord befunden hätten, noch dass sich Dutzende ukrainische Kriegsgefangene an Bord befunden hätten.
Tatsächlich ist derzeit noch gar nicht bestätigt, dass das Flugzeug überhaupt abgeschossen wurde. Nicht authentifizierte Bilder und Videos in sozialen Medien, die das Wrack zeigen sollen, könnten auf den Einschlag von Flugabwehrwaffen hinweisen. Sie liefern aber keine Hinweise, dass an der Absturzstelle viele Leichen lagen.
Früh nach Bekanntwerden des Flugzeugabsturzes meldete die «Ukrajinska Prawda», eine Quelle innerhalb des ukrainischen Militärs habe gesagt, das Ganze sei ihr Werk gewesen, und dass S-300-Raketen an Bord gewesen seien. Der implizierte Abschuss wurde so als Erfolg präsentiert. Diese Angabe wurde jedoch nach kurzer Zeit wieder aus dem Artikel gelöscht.
Weiter ist nicht bekannt, über welche Informationen die ukrainische Seite verfügt, und ob sie diese aus taktischen Gründen bisher zurückhält. Der ukrainische Geheimdienst SBU nahm Ermittlungen wegen eines mutmasslichen Kriegsverbrechens auf.
Der Abschuss von russischen Militärmaschinen ist nicht per se unüblich. Nach Angaben des ukrainischen Militärs landen im Zusammenhang mit Raketenangriffen auf Charkiw und andere Städte vermehrt russische Militärtransportmaschinen in der russischen Grenzstadt Belgorod.
Der russische Parlamentsabgeordnete Andrej Kartapolow behauptete gestern, die Ukraine habe das Flugzeug mit drei Flugabwehrraketen des US-Systems Patriot oder des deutschen Iris-T-Systems abgeschossen. Dies sei allerdings laut Expertenkreisen nicht wahrscheinlich, da die Reichweite der Iris-T nicht gross genug sei.
Das russische Verteidigungsministerium wiederum sagte, die Ukraine habe zwei Flugabwehrraketen verwendet. Sie sollen von der Gegend um das ukrainische Dorf Lypzi in der ukrainischen Region Charkiw abgefeuert worden sein. Die Region Charkiw in der Ukraine grenzt an die Region Belgorod in Russland.
Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington teilten mit, dass weder die russischen noch die ukrainischen Angaben unabhängig überprüft werden könnten.
Nach ISW-Angaben instrumentalisiert die russische Führung den Vorfall, um in der ukrainischen Gesellschaft Misstrauen zu säen gegen die Regierung in Kiew. Besonders die Frage des Austauschs von Kriegsgefangenen gelte für Ukrainer und Russen gleichermassen als sensibles Thema, das Emotionen auslöse. Zudem wollten russische Funktionäre mit unbewiesenen Behauptungen, dass die Ukraine für den mutmasslichen Abschuss deutsche oder US-Raketen eingesetzt habe, die militärische Unterstützung des Westens für das Land schwächen.
Mit Material von t-online sowie der Nachrichtenagenturen SDA und DPA
Im oben verlinkten Video sieht man bei 0:20 eine Rauchwolke am Himmel. Mit ziemlicher Sicherheit die Explosionswolke einer Flugabwehrrakete.
Bilder der Absturzsrelle zeigen eine Trümmerwüste. Grosse Trümmer mit zahlreichen Löchern übersäht, wie es für einen Treffer mit einer Flugabwehrrakete typisch ist.
Leichen sind allerdings auf den meisten Bildern nicht zu sehen. Nur 1 ist erkennbar. Sollten mehr als 65 Menschen an Bord gewesen sein, wäre das ebenfalls sehr untypisch.