«Die Heimat verteidigen? Ich pfeife auf diese Heimat! Ich will meinen Mann zurück, mit Beinen und Armen, unversehrt!» Maria Andrejewa redet sich in Rage, sie dreht sich einmal zu einer Frau um, einmal zu einer anderen, ihr weisses Kopftuch ist ihr auf die Schultern gerutscht. «Mein Mann hat der Heimat genug geholfen!»
Die Mittdreissigerin ist in den Moskauer Präsidentenstab gekommen, hier können Russinnen und Russen ihre Unterschrift abgeben, damit Wladimir Putin als Präsidentschaftskandidat für die Abstimmung im März registriert wird. Seine Wiederwahl ist zwar bereits gesetzt, aber Unterschriften müssten eben für jeden Anwärter her. So sei das Gesetz, will der Staat seinem Volk vermitteln.
Wie er einst auch vermittelt hatte, dass sogenannte «Teilmobilisierte» nach spätestens sechs Monaten Dienst an der Front in der Ukraine nach Hause kämen. Das Volk nahm es hin, kaufte Thermounterwäsche für die Männer, Väter, Brüder, kaufte schusssichere Westen, schickte Wollsocken an die Front, Kerzen für die Schützengräben, Essen. Es nimmt so ziemlich alles hin.
Maria Andrejewa empfand es als «Ehre», dass ihr Mann in den Krieg zog – auch wenn sie diesen mit Putins Worten der «militärischen Spezialoperation» bezeichnet –, um die «Heimat zu verteidigen». Vor wem der gelernte Masseur sie verteidigen sollte, weiss sie allerdings bis heute nicht. Es sei nun vorbei mit der «Ehre», sie wolle ihren Frieden, mit dem zurückgekehrten Mann an ihrer Seite. In den Krieg könnten schliesslich andere ziehen, Vertragssoldaten, Freiwillige, aber doch nicht ihr Liebster.
Seit Oktober 2022, zwei Wochen zuvor hatte Putin seine «Teilmobilisierung» ausgerufen, war er nicht mehr zu Hause in Moskau. Seit September 2023 kämpft Maria Andrejewa mit anderen Frauen von Mobilisierten «für Gerechtigkeit», wie sie sagt. Im Telegram-Kanal namens «Der Weg nach Hause» mit knapp 40'000 Abonnentinnen und Abonnenten posten sie ihre Geschichten, gehen mit Plakaten, die die Rückkehr der Männer einfordern, auf die Strasse und legen jeden Samstag Blumen an den Denkmälern ihrer Städte nieder.
Da ist Antonina, die ihren Panzerfahrer-Ehemann wegen seiner Magengeschwüre nach Hause holen will. Paulina, die 20-Jährige mit Kleinkind, die ihren IT-Mann wieder bei sich wissen will und sagt: «Jeder Tag könnte sein letzter sein.» Und da ist Mascha, die ihren Mann im Zinksarg zurückbekam und nun wütend fragt: «Warum gibt es keinen Aufschrei derer, die ihre Liebsten für immer verloren haben?»
Kaum eine von ihnen stellt den Krieg grundsätzlich in Frage – ob aus Vorsicht vor den repressiven Gesetzen oder aus Überzeugung – wie auch kaum eine von ihnen das Regime hinterfragt. Sie wollen lediglich, dass es nicht sie und ihre Männer trifft. Manchmal aber klingt der Zweifel an: «Wir irrten uns, indem wir glaubten, Politik gehe uns nichts an. Dann aber kam die Politik zu uns», sagt eine, die nicht namentlich genannt werden will. Langsam realisieren sie, dass ihre Rechte nichts gelten in Russland.
Doch Abgeordnete, Minister, auch der Kreml lassen die Frauen stehen. Lediglich der – noch nicht als Präsidentschaftskandidat registrierte – Systemoppositionelle Boris Nadeschdin hatte sich kürzlich in einem Moskauer Loft mit den Frauen getroffen. Dabei ging es dem Mann allerdings mehr um seine Selbstinszenierung als «Patriot und Kriegsgegner», als um die Anliegen der wenigen Frauen, die gekommen waren.
Doch immerhin: Der Staat liess sie gewähren. Für die Propagandisten sind die Frauen «Feindinnen», «Verräterinnen», «Provokateurinnen», von westlichen Geheimdiensten ins Leben gerufen und bezahlt. Es ist die übliche Diffamierungskampagne für jeden, der das Regime, womit auch immer, kritisiert.
Putin geht auf keine ihrer Fragen ein, trinkt lieber Tee mit ausgesuchten Frauen von Gefallenen in seiner Residenz, erklärt ihnen, dass ihre Männer «Helden» seien, die «nicht sinnlos» ihr Leben verloren hätten. Bei seiner Pressekonferenz im Dezember sagte Putin, eine «zweite Welle der Mobilisierung» werde es nicht geben, eine Perspektive für die «erste Welle» gab er nicht. Das Jahr 2024 erklärte der russische Präsident fast im gleichen Atemzug zum «Jahr der Familie».
Für die aufständischen Frauen der Mobilisierten klingt das wie Hohn. «Wir sind denen egal, wir existieren nicht für sie, sie haben uns und unseren Männern das Leben gestohlen», sagt eine von ihnen. Maria Andrejewa schimpft: «Herr Präsident, schämen Sie sich nicht? Sie haben Ihre Würde verloren. Wollen Sie sich noch weiter blamieren?» Ihre Vorsicht lässt nach, ihre Radikalität nimmt mit jedem ihrer Auftritte zu.
Die Behörden sind längst aufmerksam geworden auf die Aufmüpfigen. Ihre Blumenniederlegungen werden von Polizisten des sogenannten «Zentrum E» gefilmt, einer Einheit für Extremismusbekämpfung, die oft auf Oppositionelle angesetzt wird. Der Inlandsgeheimdienst FSB habe einige von ihnen zur Befragung abgeholt, ihre Männer würden von den Kommandierenden an der Front unter Druck gesetzt, berichten die Frauen.
Der Unmut der Angehörigen bringt den Staat in Verlegenheit. Sie sind Putins Stammwählerschaft, die meisten von ihnen stehen nach wie vor hinter der Entscheidung Putins zum Krieg. Es sind Menschen, die sich jahrelang, nahezu fraglos der Losung des Kremls unterwarfen: «Wir sorgen für euer Wohl und ihr haltet euch aus der Politik heraus.» Nun hat der Staat diesen Frauen nichts anzubieten. Das macht ihren Protest unberechenbar und so kurz vor der «Wahl» zu einem Risiko. (aargauerzeitung.ch)
Aber das was Russland macht, also einen Agressionskrieg ist nie, nie, nie zu begründen.
Was Putin und seine Schergen tun, ist für jeden mündigen Russen ein Schlag ins Gesicht.
Putin muss weg, gleich auf welche Art, mit ihm wird es nie Frieden geben, er ist Abschaum.
Es braucht(e) wirklich viel Zeit, dass der russ. "Gesellschaftsvertrag" ("im Kreml können sie machen, was sie wollen, solange wir nicht davon betroffen sind") langsam zu bröckeln beginnt.
Auch die UA-Bevölk. hat mit vielen Toten und Verstümmelten zu kämpfen. Aber immerhin weiss man im Land, warum es diese Opfer gibt. 😔
In RuZZland werden dies wohl die wenigsten verstehen, denn "ihre Freiheit" wird in der UA nicht erkämpft.