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«Verfluchte Armee» – russische Soldaten übernachten im Kuhstall

Video: twitter/@wartranslated

«Das ist unsere verfluchte Armee» – russische Soldaten beklagen sich über Lage im Feld

Moskau verkündet das Ende der Teilmobilmachung. Derweil fehlt es den Soldaten an der Front an allem. Die schwierigsten Monate stehen vermutlich aber noch bevor.
02.11.2022, 05:2403.11.2022, 11:11
Corsin Manser
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Die russische Teilmobilmachung ist beendet. Dies verkündete das Verteidigungsministerium in Moskau am Montag. Bereits am Freitag äusserte sich Sergej Schoigu dazu. Der Verteidigungsminister sagte, 300'000 Personen seien einberufen worden. 82'000 seien bereits an der Front im Einsatz. Der Rest werde aktuell noch ausgebildet.

Russland startete seine Teilmobilmachung am 21. September. Die Einberufung der Reservisten verlief zuweilen chaotisch. So gab es etwa nicht genügend Ausrüstung oder die falschen Personen wurden in den Dienst berufen. Auch Wladimir Putin gestand, dass nicht alles rund lief. In der ersten Phase habe es Schwierigkeiten und Fehler gegeben, sagte er gemäss der Nachrichtenagentur Ria Novosti.

Diese seien jedoch unvermeidlich gewesen, da die letzte Teilmobilmachung schon lange zurückliege. Es sei jetzt wichtig, «die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, um das gesamte Arbeitssystem der Militärregistrierungs- und Rekrutierungsämter zu modernisieren».

Schoigu sagte, Probleme hätte es nur während der ersten Phase der Mobilisierung gegeben. Sie seien mittlerweile behoben worden.

Putin und sein Verteidigungsminister liessen sich kürzlich auf einem Trainingsgelände ablichten, auf dem sie gut ausgerüsteten Soldaten die Hände schüttelten.

FILE - Russian President Vladimir Putin shakes hands with a soldier as he visits a military training centre of the Western Military District for mobilised reservists as Russian Defense Minister Sergei ...
Fotos für die Propagandaabteilung: Wladimir Putin und Sergej Schoigu besuchen Soldaten in der Region Ryazan.Bild: keystone

Die Realität an der Front sieht aber teilweise ganz anders aus. Mehrere Videos, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass die russischen Kämpfer unter widrigsten Umständen um ihr Leben kämpfen müssen.

Schlechte Ausrüstung

Von einer guten Ausrüstung, die vor Regen und niedrigen Temperaturen schützt, können viele Soldaten nur träumen. «Wir wurden ohne Training und nichts hierhin geschickt», beschwert sich ein Kompanieführer in einem bewaldeten Frontabschnitt. «Die Leute tragen ihre eigene Uniform. Wir mussten alles selber kaufen.» Ein Kamerad ergänzt: «Wir haben keine warme Unterwäsche. Wir stehen nur mit Hosen hier.»

«Die Leute tragen ihre eigene Uniform. Wir mussten alles selber kaufen.»
Russischer Soldat

Auch ansonsten scheint die Organisation bei dieser Einheit miserabel zu sein. «Keine Waffen, keine Munition, keine Granaten, kein Essen, kein Wasser. Das ist eine Katastrophe», ärgert sich ein Kämpfer.

Dies ist kein Einzelfall. Im ganzen Land würden die mobilisierten Männer ihre Ausrüstung selber zusammenkaufen, schreibt The Guardian. Es habe sich herumgesprochen, dass die Armee die Soldaten nicht ausreichend ausrüsten könne. Die Nachfrage nach Schlafsäcken, Stiefeln und Outdoor-Kleidung habe in ganz Russland stark zugenommen. Der Preis kugelsicherer Westen sei um 500 Prozent gestiegen.

Auf Social Media kursiert ein Video, in dem sich ein russischer Soldat darüber beschwert, dass seine Schutzweste nur für Airsoft-Spiele gedacht sei und keinen Schutz vor echten Kugeln biete.

«Russland war auf eine Mobilisierung dieses Ausmasses einfach nicht vorbereitet», zitiert The Guardian den unabhängigen russischen Militärexperten Pawel Luzin. «Als die Mobilisierung angekündigt wurde, gab es keinen Mechanismus, um sie tatsächlich umzusetzen.»

Schlafen im Kuhstall

Unter miserablen Umständen lebt auch ein Bataillon aus der russischen Stadt Penza. Wie auf dem Video eines Kämpfers zu sehen ist, ist seine Einheit in einem verlassenen Kuhstall stationiert. «Alle sind erkältet, alle sind nass», flucht der Russe. Alles sei voll mit Kuhdung, die Soldaten hätten Stroh auf den Boden gelegt, um darauf zu schlafen. Alles sei offen, es habe keine Türen und keine Fenster. «Es gibt keinen Ort, an dem wir uns trocknen können.» Der Kämpfer meint resigniert: «Das ist unsere verfluchte Armee mit den Mobilisierten.»

Angehörige beklagen sich

Nicht gut soll es auch den Männern gehen, die aus der Stadt Serow eingezogen wurden. Sie kämpfen momentan in der Nähe der ukrainischen Stadt Lyman. Dabei fehlt es ihnen offenbar an allem. Die Angehörigen der Kämpfer sagen in einem Video, dass die Versorgung mit Wasser und Essen miserabel sei. «Kein Essen, kein Wasser, sie haben nichts», klagt eine Frau. Ein Training habe es auch nicht gegeben.

Die Soldaten müssten die Gefallenen selbst begraben, beklagen sie. Die Armee würde diese Personen dann einfach als vermisst deklarieren. Den Soldaten stünde zwar ein Panzer zur Verfügung, doch der sei nutzlos, da kein Treibstoff vorhanden sei. Ein Mann behauptet zudem, dass Hilfsgüter nicht bei den Kämpfern ankämen, da die Offiziere diese selber einsteckten.

Weitere Mobilisierungs-Welle möglich

Trotz der Teilmobilmachung ist es Russland nicht gelungen, Boden in der Ukraine gutzumachen. Im Monat Oktober konnten die Ukrainer rund 2500 Quadratkilometer zurückerobern. Die Lage für die Soldaten an der Front dürfte sich in den kommenden Monaten noch einmal zuspitzen. Gerade im Osten der Ukraine wird es im Winter bitterkalt. Die Ausrüstung wird dann eine noch wichtigere Rolle spielen.

Dennoch gehen die Forscherinnen des US-amerikanischen «Institute for the Study of War» (ISW) nicht davon aus, dass Putin die Kampfhandlungen einstellen wird. Er werde seine Soldaten weiter mit konventionellen Mitteln kämpfen lassen und darauf hoffen, dass der Westen die Unterstützung für Kiew im Winter fallen lasse.

Das ISW geht davon aus, dass Putin noch länger dazu bereit sein wird, schlecht ausgerüstete Kämpfer an die Front zu schicken. Möglich, dass die soeben zu Ende gegangene Mobilisierungswelle nicht die letzte war.

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110 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Haarspalter
02.11.2022 07:21registriert Oktober 2020
Wenn die 300‘000 nicht an die Front, sondern auf die Strasse gegangen wären, hinge jetzt Putin in Kuhstall.
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mrmikech
02.11.2022 07:33registriert Juni 2016
Und zu bedenken dass, hätte Putin einen Plan für die russische Wirtschaft gehabt, all diese Männer etwas produktives für das Land hätten machen können. Nach Putin ist Russland kaputt.
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Nothingtodisplay
02.11.2022 06:45registriert November 2014
Putins Kanonenfutter kann einen nur leid tun. Diese Männer werden scheinbar an die Front geschickt um zu sterben...
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