Die russische Teilmobilmachung ist beendet. Dies verkündete das Verteidigungsministerium in Moskau am Montag. Bereits am Freitag äusserte sich Sergej Schoigu dazu. Der Verteidigungsminister sagte, 300'000 Personen seien einberufen worden. 82'000 seien bereits an der Front im Einsatz. Der Rest werde aktuell noch ausgebildet.
Russland startete seine Teilmobilmachung am 21. September. Die Einberufung der Reservisten verlief zuweilen chaotisch. So gab es etwa nicht genügend Ausrüstung oder die falschen Personen wurden in den Dienst berufen. Auch Wladimir Putin gestand, dass nicht alles rund lief. In der ersten Phase habe es Schwierigkeiten und Fehler gegeben, sagte er gemäss der Nachrichtenagentur Ria Novosti.
Diese seien jedoch unvermeidlich gewesen, da die letzte Teilmobilmachung schon lange zurückliege. Es sei jetzt wichtig, «die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, um das gesamte Arbeitssystem der Militärregistrierungs- und Rekrutierungsämter zu modernisieren».
Schoigu sagte, Probleme hätte es nur während der ersten Phase der Mobilisierung gegeben. Sie seien mittlerweile behoben worden.
Putin und sein Verteidigungsminister liessen sich kürzlich auf einem Trainingsgelände ablichten, auf dem sie gut ausgerüsteten Soldaten die Hände schüttelten.
Die Realität an der Front sieht aber teilweise ganz anders aus. Mehrere Videos, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass die russischen Kämpfer unter widrigsten Umständen um ihr Leben kämpfen müssen.
Von einer guten Ausrüstung, die vor Regen und niedrigen Temperaturen schützt, können viele Soldaten nur träumen. «Wir wurden ohne Training und nichts hierhin geschickt», beschwert sich ein Kompanieführer in einem bewaldeten Frontabschnitt. «Die Leute tragen ihre eigene Uniform. Wir mussten alles selber kaufen.» Ein Kamerad ergänzt: «Wir haben keine warme Unterwäsche. Wir stehen nur mit Hosen hier.»
Auch ansonsten scheint die Organisation bei dieser Einheit miserabel zu sein. «Keine Waffen, keine Munition, keine Granaten, kein Essen, kein Wasser. Das ist eine Katastrophe», ärgert sich ein Kämpfer.
Russian mobilization, October 26-27: more regions wrap up mobilization while others hold last-minute draft raids, multiple mobilized POW videos appear, and state employees are forced to donate parts of their salaries "to support the troops" https://t.co/HybGoJztES pic.twitter.com/TsdwFmDPpN
— CIT (en) (@CITeam_en) October 28, 2022
Dies ist kein Einzelfall. Im ganzen Land würden die mobilisierten Männer ihre Ausrüstung selber zusammenkaufen, schreibt The Guardian. Es habe sich herumgesprochen, dass die Armee die Soldaten nicht ausreichend ausrüsten könne. Die Nachfrage nach Schlafsäcken, Stiefeln und Outdoor-Kleidung habe in ganz Russland stark zugenommen. Der Preis kugelsicherer Westen sei um 500 Prozent gestiegen.
Auf Social Media kursiert ein Video, in dem sich ein russischer Soldat darüber beschwert, dass seine Schutzweste nur für Airsoft-Spiele gedacht sei und keinen Schutz vor echten Kugeln biete.
#Russian "partially mobilized" humorously complains that he has been equipped with an Airsoft vest rather than a proper bulletproof plate carrier.
— Stepan Gronk (@StepanGronk) October 18, 2022
He undoubtedly understands that he, and his unit, are nothing more than bullet-absorbing meat to be ground up in #Ukraine. pic.twitter.com/LSTH7J0LCl
«Russland war auf eine Mobilisierung dieses Ausmasses einfach nicht vorbereitet», zitiert The Guardian den unabhängigen russischen Militärexperten Pawel Luzin. «Als die Mobilisierung angekündigt wurde, gab es keinen Mechanismus, um sie tatsächlich umzusetzen.»
Unter miserablen Umständen lebt auch ein Bataillon aus der russischen Stadt Penza. Wie auf dem Video eines Kämpfers zu sehen ist, ist seine Einheit in einem verlassenen Kuhstall stationiert. «Alle sind erkältet, alle sind nass», flucht der Russe. Alles sei voll mit Kuhdung, die Soldaten hätten Stroh auf den Boden gelegt, um darauf zu schlafen. Alles sei offen, es habe keine Türen und keine Fenster. «Es gibt keinen Ort, an dem wir uns trocknen können.» Der Kämpfer meint resigniert: «Das ist unsere verfluchte Armee mit den Mobilisierten.»
Russian mobilization, October 28-29: head of Central Bank says mobilization will cause inflation, the mobilized are kept in cowsheds and detained without trial for desertion, pneumonia is spreading among the troops, and a governor vows to get POWs backhttps://t.co/tKaUwpjVEr pic.twitter.com/6ofSLmFbnt
— CIT (en) (@CITeam_en) October 30, 2022
Nicht gut soll es auch den Männern gehen, die aus der Stadt Serow eingezogen wurden. Sie kämpfen momentan in der Nähe der ukrainischen Stadt Lyman. Dabei fehlt es ihnen offenbar an allem. Die Angehörigen der Kämpfer sagen in einem Video, dass die Versorgung mit Wasser und Essen miserabel sei. «Kein Essen, kein Wasser, sie haben nichts», klagt eine Frau. Ein Training habe es auch nicht gegeben.
Die Soldaten müssten die Gefallenen selbst begraben, beklagen sie. Die Armee würde diese Personen dann einfach als vermisst deklarieren. Den Soldaten stünde zwar ein Panzer zur Verfügung, doch der sei nutzlos, da kein Treibstoff vorhanden sei. Ein Mann behauptet zudem, dass Hilfsgüter nicht bei den Kämpfern ankämen, da die Offiziere diese selber einsteckten.
2/ The men's relatives, from Serov in Sverdlovsk region, have recorded a video appeal about their plight. They say that the men have no food and are being given only 1.5 litres of water to last two days, for two people.pic.twitter.com/GLNghPJrYu
— ChrisO (@ChrisO_wiki) October 27, 2022
Trotz der Teilmobilmachung ist es Russland nicht gelungen, Boden in der Ukraine gutzumachen. Im Monat Oktober konnten die Ukrainer rund 2500 Quadratkilometer zurückerobern. Die Lage für die Soldaten an der Front dürfte sich in den kommenden Monaten noch einmal zuspitzen. Gerade im Osten der Ukraine wird es im Winter bitterkalt. Die Ausrüstung wird dann eine noch wichtigere Rolle spielen.
Dennoch gehen die Forscherinnen des US-amerikanischen «Institute for the Study of War» (ISW) nicht davon aus, dass Putin die Kampfhandlungen einstellen wird. Er werde seine Soldaten weiter mit konventionellen Mitteln kämpfen lassen und darauf hoffen, dass der Westen die Unterstützung für Kiew im Winter fallen lasse.
Das ISW geht davon aus, dass Putin noch länger dazu bereit sein wird, schlecht ausgerüstete Kämpfer an die Front zu schicken. Möglich, dass die soeben zu Ende gegangene Mobilisierungswelle nicht die letzte war.