Im Interview mit CH-Media-Zeitungen hat Bundespräsident Ignazio Cassis am Samstag seine Begegnung mit einer Gruppe von Frauen in einem ukrainischen Dorf geschildert: «Sie frieren zu Hause, weil sie keine Fenster mehr haben. Und die lokalen Behörden können nicht helfen, weil ihnen die Ressourcen und das nötige Material fehlen.»
Er leitete davon ab, dass der Westen jetzt handeln müsse: «Bis Ende Jahr sollte die Plattform definiert werden, um die unmittelbare Hilfe für diesen Winter, aber auch die Finanzierung des Wiederaufbaus zu koordinieren und in die Tat umzusetzen.»
Es sei eine riesige Aufgabe:
Die EU spricht von 3 bis 5 Milliarden Euro pro Monat. Wie viel die Schweiz konkret beitragen soll, das mochte Cassis in der vergangenen Woche noch nicht sagen: «Diese Frage ist verfrüht. Jetzt geht es darum, Zuständigkeiten zu definieren.»
Doch nun zeigen Recherchen, dass in Bern doch schon über konkrete Beträge für die Winterhilfe an die Ukraine diskutiert wird. So kursierte am Montag ein Aussprachepapier in den Amtsstuben, das zwei Varianten zur Diskussion stellte. In der ersten Variante ist vorgesehen, dass die Schweiz 100 Millionen Franken an Winterhilfe leisten soll.
Etwas mehr als 76 Millionen sollen in dieser Variante über einen Zusatzkredit des Bundes locker gemacht werden; die übrigen gut 23 Millionen müssten im bestehenden Budget kompensiert werden. In dem Papier wird argumentiert, diese Zahlung entspreche der humanitären Tradition der Schweiz, zudem trage sie dazu bei, weitere Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa zu verhindern.
Die zweite Variante will ohne Zusatzkredit auskommen. Das heisst: Die involvierten Departemente – namentlich das Aussendepartement mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und das Wirtschaftsdepartement mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft – müssten möglichst viel Gelder aus dem bestehenden Budget zugunsten der Ukraine umleiten.
Wie die erste Variante zeigt, sollte das im Umfang von gut 23 Millionen möglich sein; dass aber auch in dieser Variante letztlich 100 Millionen Franken Winterhilfe zusammenkämen, scheint fraglich.
Die Gelder aus der Schweiz sollen gemäss gut informierten Quellen in bestehende Fonds von internationalen Organisationen wie etwa der Weltbank einbezahlt werden. Sie sollen unter anderem für den Unterhalt und die Reparatur der Eisenbahn- oder der Elektroinfrastruktur eingesetzt werden sowie für dringend nötige humanitäre Hilfe.
Offenbar hatte die ukrainische Seite erwartet, dass Cassis bereits bei seinem Besuch in Kiew auch ein neues Hilfspaket für das kriegsversehrte Land ankündigt. Das sagt Nationalratspräsidentin Irène Kälin.
Die Aargauer Grüne nahm letzte Woche an einem Parlamentariertreffen zur Zukunft der Krim in Zagreb teil. Die Ukraine sei dankbar für die Unterstützung der Schweiz. Doch ihre Delegation habe auch unmissverständlich klargemacht, dass sie mehr Unterstützung aus der Schweiz brauche.
Das fordert auch die höchste Schweizerin selbst. Kälin verweist auf den «Ukraine Support Tracker» des Kiel Institut für Weltwirtschaft. Dieses weist aus, welches Land die Ukraine wie stark unterstützt. Erfasst werden die militärische, humanitäre und finanzielle Hilfen. Grösste Geldgeberin sind die USA: Seit Kriegsbeginn sagte das Land 52 Milliarden Dollar an Hilfen zu. Die Schweiz gehört zu den knausrigen Staaten – und belegt Platz 29 von 40.
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Schweiz keine Waffen an die Ukraine liefert. Betrachtet man nur die humanitäre Hilfe, liegt die Schweiz bei den absoluten Beträgen auf Rang neun, gemessen an der Wirtschaftskraft auf Rang 14. Zu wenig, findet Kälin:
Die Forderung für eine stärkere Hilfe aus der Schweiz kommt nicht nur von den linken Parteien. Auch GLP-Präsident Jürg Grossen hält fest, dass die Schweiz die finanziellen Mittel für die Hilfe an die Ukraine substanziell erhöhen muss. «Als eines der wohlhabendsten Länder Europas soll die Schweiz entsprechend ihrer Wirtschaftskraft Hilfe für die Ukraine leisten.»
Die Debatte, wie stark sich die Schweiz in der Ukraine engagieren soll, wird über die Winternothilfe hinausgehen. Das Aussendepartement bereitet bereits ein Hilfspaket für das nächste Jahr vor. Gemäss Recherchen sind nochmals rund 100 Millionen Franken an Hilfsgeldern vorgesehen.
Einfache Fragen. Was kostet es in der CH die Grundbedürftnisse von Flüchtlingen zu befriedigen und was vor Ort? Darf man hier von Hebelwirkung reden?