Am Montagmorgen kam die überraschende Meldung aus Vilnius: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen Widerstand aufgegeben und einem NATO-Beitritt Schwedens zugestimmt. Dies verkündete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz in der litauischen Hauptstadt.
Glad to announce that after the meeting I hosted with @RTErdogan & @SwedishPM, President Erdogan has agreed to forward #Sweden's accession protocol to the Grand National Assembly ASAP & ensure ratification. This is an historic step which makes all #NATO Allies stronger & safer. pic.twitter.com/D7OeR5Vgba
— Jens Stoltenberg (@jensstoltenberg) July 10, 2023
Der NATO-Beitritt Schwedens ist noch nicht ganz in Stein gemeisselt – das türkische Parlament muss das Beitrittsprotokoll noch absegnen. Zudem fehlt noch das Einverständnis Ungarns, wobei dieses hatte verlauten lassen, man würde einlenken, sollte es die Türkei tun. So scheint es nur eine Frage der Zeit, bis das skandinavische Land offiziell aufgenommen wird. Was wird diese Erweiterung den Beteiligten bringen? Eine Übersicht.
Schweden reichte im Mai 2022 den Beitrittsantrag bei der NATO ein. Schon damals machte die Regierung klar: Im Zentrum steht die Sicherheit, welche man durch den Angriff Russlands auf die Ukraine gefährdet sah. «Wir stellen fest, dass die Russland-Krise strukturell, systematisch und langwierig ist», sagte Aussenministerin Ann Linde bei der Vorstellung einer Sicherheitsanalyse des Landes.
Im damals publizierten Bericht kam Schweden zum Schluss, dass ein NATO-Beitritt «die Schwelle für militärische Konflikte erhöhen» würde. Dabei bezieht man sich vor allem auf Artikel 5 des NATO-Vertrags. Dieser regelt, dass die NATO-Staaten einen bewaffneten Angriff gegen einen Partner als Angriff gegen alle ansehen. Folglich sind die anderen Länder verpflichtet, Beistand zu leisten.
Durch den NATO-Beitritt sinkt also das Risiko eines Angriffs auf Schweden – auch durch Russland. Die beiden Länder werden nur durch Finnland getrennt, die Luftlinie zwischen Stockholm und St. Petersburg beträgt nur 689 Kilometer.
Recep Tayyip Erdogan hatte sich lange Zeit gegen einen schwedischen NATO-Beitritt gesträubt. Stockholm gehe nicht ausreichend gegen «Terrororganisationen» vor, so der türkische Machthaber, wobei er sich vor allem auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK bezog. Auch am Montag hatte Erdogan noch festgehalten, er werde dem NATO-Beitritt Schwedens nur zustimmen, «wenn der Türkei der Weg in die EU geebnet wird».
Warum Erdogan nur wenige Stunden nach dieser Aussage dennoch einlenkte, erklärte er bislang nicht. Entscheidend waren wohl aber Zugeständnisse, welche Schweden laut Stoltenberg gemacht hat. Die Rede ist unter anderem von einem neuen «Sicherheitspakt» zwischen Stockholm und Ankara, der die Bekämpfung von Terrorismus verstärken soll. Zudem soll sich Schweden dazu bekennen, sich in der EU für die Wiederbelebung der türkischen Beitrittsverhandlungen, die Modernisierung der Zollunion sowie die Visa-Liberalisierung einzusetzen.
Doch nicht nur Schweden, sondern auch die NATO ging im Rahmen der Verhandlung auf die Wünsche der Türkei ein. Die NATO wird neu einen Antiterrorbeauftragten ernennen, welcher die Koordination im Kampf gegen den Terrorismus übernehmen soll. Und US-Präsident Joe Biden will nach Angaben seines nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan den Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei vorantreiben. Die US-Regierung hatte einen Zusammenhang mit der Aufhebung der Schweden-Blockade in der Vergangenheit verneint, allerdings hatte Biden die beiden Themen selbst zwei Mal in Verbindung gebracht.
Obwohl Erdogan sein selbst formuliertes Ziel – einen EU-Beitritt – vorerst nicht erreicht hat, sehen ihn viele Experten als grossen Profiteur. Türkei-Experte Yasar Aydin sagte gegenüber dem «Spiegel», die Forderung vom Montagnachmittag könnte dazu gedient haben, den Preis für ein Einlenken möglichst weit nach oben zu treiben.
Dass noch vor dem eigentlichen Beginn des NATO-Gipfels die Einigung erzielt werden konnte, entspannt die Situation um einiges. So können sich die Staaten in den folgenden Tagen dem eigentlichen Thema widmen – dem Umgang mit Russland und der Ukraine. Zudem ist die Zustimmung Erdogans auch symbolisch von wichtiger Bedeutung: Die NATO demonstriert Geschlossenheit, Differenzen können aus dem Weg geräumt werden.
Auch aus militärischer Sicht ist ein NATO-Beitritt Schwedens nicht unwichtig. Militärexperten halten fest, dass dieser vor allem bei der Verteidigung in Nordeuropa eine wichtige Rolle spielen kann. Ist Schweden Teil des Bündnisses, gehört die gesamte Ostseeküste mit Ausnahme des russischen Gebiets zum NATO-Gebiet. Damit wäre vor allem das Baltikum mit Estland, Lettland und Litauen besser geschützt – Truppen und Ausrüstung könnten künftig per Schiff deutlich einfacher in die drei Länder geliefert werden.
Ebenfalls neu Teil der NATO wäre dann die schwedische Insel Gotland, welche als wichtiger Stützpunkt gilt. «Die Ostsee würde zu einer Art NATO-Binnenmeer, könnte man fast sagen», so Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, gegenüber ARD.
Auch bezüglich militärischer Stärke hat ein Beitritt Schwedens für die NATO einige Vorteile. Der «Power Index», eine Rangliste der militärischen Stärke aller Länder, listet Schweden auf Rang 37 auf, womit das skandinavische Land auch vor der Schweiz (Platz 44) liegt.
Schweden verfügt über ein Heer, eine Luftwaffe und eine Marine, welche insgesamt 15'000 Soldatinnen und Soldaten stellen. Dazu kommt die Heimwehr, die sogenannte «Hemvärnet», mit weiteren knapp 21'000 Soldaten und 5000 Dienenden auf Zeit. Nimmt man die Reservistinnen und Reservisten hinzu, ergibt das rund 50'000 Soldatinnen und Soldaten.
Auch das Waffenarsenal des Landes gilt als fortschrittlich: Schweden verfügt unter anderem über Saab 39 Gripen, also moderne Mehrzweck-Kampfflugzeuge, die für Jagd, Angriff und Aufklärung einsetzbar sind. Und die Artillerie des Landes wurde kürzlich mit Mörsern im Wert von 47 Millionen Euro aufgestockt.
- Istanbul soll wieder den Wikingernamen Miklagaard tragen
- Die Türkei muss 20 000 Truthähne (Turkey) an Schweden liefern
- Den Völkermord an den Armeniern zugeben
- Erdogan muss den EU Antrag im Truthahnkostüm einreichen