Schweden und Finnland wollen der Nato beitreten. Am Mittwochmorgen haben die Botschafter der beiden Länder die entsprechenden Dokumente an Generalsekretär Jens Stoltenberg überreicht. Der zentrale genannte Grund: Finnland und Schweden fürchten nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine um ihre Sicherheit.
Bis anhin galt die militärische Bündnisfreiheit in den beiden skandinavischen Länder als nahezu unantastbar. Besonders Schweden trägt ein pazifistisches Image. Seit 200 Jahren hat das Land keinen Krieg mehr geführt.
Allerdings könnte die Nato besonders in langfristiger und strategischer Hinsicht von der Norderweiterung profitieren. Der finnische Buchautor Tomi T Ahonen beschreibt dies ausführlich.
«Der grösste Schmerz für Putin, wenn Finnland der Nato beitritt, heisst Kola Peninsula», schreibt Ahonen in einem Twitter-Thread. Die Halbinsel im Nordwesten Russlands grenzt an die östlichste Region Finnlands. Der westliche Viertel der Kola-Halbinsel ist eine der dichtesten Ansammlungen von russischen Nuklearwaffen. Ausserdem hat Russland seine Arktisflotte hier. Ihre U-Boot-Basen mit mehreren U-Boot-Bunkern liegen ausserhalb von Murmansk.
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— Tomi T Ahonen Is No Longer UFO. Is Now Just An SOB (@tomiahonen) May 15, 2022
Most people didn't know this place even existed. But the Western quarter of the Kola peninsula is one of the most dense collections of nuclear weapons ... on the planet.
Russian Arctic fleet has its submarine bases here with several sub pens outside Murmansk pic.twitter.com/PQl1lBl9z2
Ähnlich verhält es sich mit der grössten Ansammlung von Luftwaffenstützpunkten mit strategischen Langstreckenbombern der russischen Luftwaffe. Diese sind auf Stützpunkten entlang dieses Korridors auf der Kola-Halbinsel geparkt.
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Das führt zum Hauptproblem für den Kreml: Die gesamte Halbinsel Kola und der Weg zu Mumansk ist mit dem Rest Russlands über eine Strasse und eine Eisenbahnlinie verbunden. Sie verläuft 700 km, bevor sie sich gabelt.
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— Tomi T Ahonen Standing With Ukraine (@tomiahonen) May 15, 2022
All of Kola peninsula is connected to the rest of Russia on one road and one railroad - that is the orange road I show here. That runs 700 km (450 miles) before it forks. That is a single point of failure for Russia. A strategic stranglehold pic.twitter.com/s4HrXDpZGa
Aktuell ist diese Strasse für Russland relativ sicher. Das dürfte sich ändern, sofern Finnland der Nato beitritt und es zum Krieg mit Russland kommt. Finnland könnte entlang der Strasse von jedem Ort aus angreifen. «Für die Russen wäre es unmöglich, sie zu blockieren, selbst mit einer Million Soldaten nicht», schreibt Ahonen.
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— Tomi T Ahonen Standing With Ukraine (@tomiahonen) May 15, 2022
Russia has stationed two DIVISIONS of crack arctic troops to guard this Northern flank
Now compare how the danger chances when Finland joins NATO.. The blue arrows. Finland could attack from ANYWHERE. Impossible to block even with 1 million soldiers pic.twitter.com/RahzdhTL2O
Finnland bräuchte das Gebiet nicht einmal zu besetzen. Eine einzige Kompanie von Spezialisten könnte die Strasse, die Eisenbahn und die Stromleitung, die Murmansk mit Russland verbindet, zerstören.
Die Situation in Schweden ist einiges komplexer. Das Land grenzt zwar nicht an Russland, kann für Putin aber aus einem anderen Grund gefährlich werden. «Putins Generäle flippen aus, weil ihre Taktik jetzt völlig durcheinander ist», schreibt Ahonen.
Schweden hat eine der grössten Luftwaffen in Europa. Für die russische Militärtaktik wird Schweden die einzige Luftwaffe in der Nato sein, die nicht durch die Zerstörung aller Flughäfen neutralisiert werden kann. Der schwedische Kampfflugzeughersteller Saab hat den Gripen so konzipiert, dass er von einem sechsköpfigen Team aufgetankt und neu bewaffnet werden kann, von denen bloss einer ausgebildeter Mechaniker der Luftwaffe sein muss. Der Gripen kann innert zehn Minuten wieder in der Luft sein.
Sweden NATO Thread 19/
— Tomi T Ahonen Standing With Ukraine (@tomiahonen) May 17, 2022
Sweden has one of the larger air forces in Europe (over-sized for its population). But for Russian military tactics, Sweden will become only air force in NATO that cannot be neutralized by destroying all its airports and substitute temporary air strips pic.twitter.com/uN19gqunZB
Ausserdem besitzt Schweden eine der tödlichsten Abwehrraketen. Dazu muss man etwas ausholen: Die meisten schultergetragenen Luftabwehrraketen wie Stinger oder die russische Igla sind «wärmesuchende» Raketen. Sie haben Infrarot-Suchköpfe, die von der Hitze an Kampfflugzeugen wie dem Motor angezogen werden.
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— Tomi T Ahonen Standing With Ukraine (@tomiahonen) May 17, 2022
Stinger & equivalent shoulder-held anti-air missiles like Russian Igla, are 'heat-seeking' missiles with infra-red seekers, attracted to heat on warplanes like the engine
All modern warplanes carry countermeasures against these missiles, called 'flares' pic.twitter.com/v7CjEtmDaN
Um sich gegen solche Raketen zu verteidigen, verfügen eigentlich alle modernen Kampfflugzeuge über sogenannten «Flares», also Hitzefackeln, die die Raketen mit ihrer Wärme anziehen und das Flugzeug so unversehrt bleibt.
Die schwedische Rüstungsfirma Bofors hat allerdings eine Luftabwehrrakete, die durch Laserstrahlverfolgung gesteuert und somit immun gegen Leuchtraketen ist. Für Russland bedeutet die RBS 70 der Schweden, dass sie ihre Flugzeuge drastisch schlechter verteidigen können.
watson hat beim Aussenpolitik- und Sicherheitsexperte Matthias Dembinski nachgefragt, ob die Twitter-Threads inhaltlich standhalten. Der Forscher vom Deutschen Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung bestätigt die Grundaussagen und ergänzt: «Verglichen mit ähnlich grossen Ländern bringen Schweden und Finnland militärisch einiges auf die Waage.» Finnland gibt zwei Prozent ihres Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung aus, Schweden strebt zurzeit den gleichen Anteil an. Als Vergleich: Deutschland gibt 1,3 Prozent aus, die Schweiz 0,8.
Zlatan Ibrahimović.
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