Herr Dembinski, eskaliert wegen des Nato-Beitritts von Schweden und Finnland nun die Situation mit Russland?
Matthias Dembinski: Die russische Reaktion war bisher sehr verhalten. Das hat mich überrascht.
Womit hätten Sie gerechnet?
Wir erinnern uns: Vor seinem Angriffskrieg in der Ukraine, als Putin seine Drohkulisse aufbaute, schickte Putin zwei Vertragsentwürfe an die Nato und die USA. Darin forderte er, dass sich die Nato nicht weiter ausdehnt, weder um die Ukraine noch um andere Staaten. Putin hat damals gedroht, dass er einen Krieg startet, falls seine Bedingungen nicht erfüllt werden. Insofern hätte man damit rechnen müssen, dass der Kreml die Nato-Erweiterung um Finnland und Schweden als weitaus bedrohlicher und provokativer begreifen würde.
Und warum ist Putin jetzt nicht in Rage?
Ich denke, dass Putin dafür zu sehr mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt ist. Sein Militär ist geschwächt, einen zweiten Konflikt kann er sich gerade nicht leisten. Daran wird sich wohl vorerst nichts ändern.
Womit rechnen Sie langfristig?
Da kann ich nur spekulieren. Finnland und Schweden haben vor ihrem Gesuch ihre Kalkulationen dargelegt, dass der Beitritt zur Nato die Situation stabiler mache und das Kriegsrisiko reduziere. Das halte ich für plausibel. Weder Schweden noch Finnland wollen Atomwaffen auf ihrem Territorium und rechnen nicht damit, dass Truppen anderer Nato-Staaten bei ihnen stationiert werden. Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Es geht nicht darum, Russland bedrohen zu können.
Ob Russland das auch so sieht?
Das ist die Frage. In Putins Augen sind die Armeen von Schweden und Finnland kampfstark. Es bestehen jetzt bereits bilaterale Abkommen mit den USA und Grossbritannien, wo beispielsweise finnische Streitkräfte mit jenen anderer Nato-Staaten Militärübungen durchführen.
Was haben Finnland und Schweden militärisch zu bieten?
Verglichen mit ähnlich grossen Ländern bringen Finnland und Schweden einiges auf die Waage. Was sich insbesondere verändern dürfte, ist die gesamte strategische Situation im Ostseeraum. Mit der Erweiterung im hohen Norden ist die militärische Planung der Nato in diesem Gebiet einiges verlässlicher. Die Nato kann sich etwa besser auf das Szenario eines Krieges im Baltikum vorbereiten. Mit dem Rückgriff auf die Ressourcen Finnlands und Schwedens kann sie baltische Staaten besser verteidigen.
Welche anderen Vorteile hat die Nato durch den Beitritt?
Es kommen zwei gleich gesinnte Demokratien hinzu. Schweden und Finnland teilen die Werte der Nato und tragen die Sanktionen gegen Russland mit. Das ist für eine supranationale Organisation immer ideal.
Nicht alle Nato-Staaten freuen sich über den Anschluss. Warum ist die Türkei dagegen?
Wir wissen, was Erdogan offiziell sagt. Die Türkei wirft Schweden und Finnland vor, sie unterstützten «Terrororganisationen», die kurdische Arbeiterpartei PKK und die Kurdenmiliz YPG. Ich halte das eher für ein Druckmittel. Die Türkei versucht, gewisse Zugeständnisse von anderen Nato-Staaten einzuholen, bevor sie dem Beitritt zustimmt. Es gibt beispielsweise mit den Sanktionen der USA oder dem Waffenembargo Deutschlands gegen die Türkei einige Stellschrauben für Erdogan.
Wird die Türkei bei ihrer Linie bleiben und den Beitritt ablehnen?
Das bezweifle ich stark. Für die Nato ist dieser Beitritt symbolisch extrem wichtig. Schweden und Finnland haben ihre Parlamente und die Öffentlichkeit überzeugt. Würde ein Beitritt jetzt misslingen, weil die Türkei Nein sagt, wäre das eine enorme Katastrophe. Die Türkei müsste erhebliche Reputationsverluste einbüssen. Erdogan wird sich das dreimal, eher fünfmal überlegen, bevor er diesen Beitritt verhindert.
Wann können Schweden und Finnland frühestens Nato-Mitglied werden?
Jetzt beginnen die Verhandlungen über die Beitritts-Bedingungen. In einem nächsten Schritt müssen die Nato-Staaten die Verträge ratifizieren. Dieses Verfahren kann sich ziehen. Die meisten Expertinnen und Experten rechnen aktuell mit rund zwölf Monaten.
Schiints me seits
Walter Sahli
Päule Freundt
Zur Ukraine: jetzt muss der Westen die Ukraine stark unterstützen, damit die ukrainischen Mannen und Frauen die russischen Truppen deutlich zurückzuwerfen. Wenn es zu einem Stellungskrieg kommt, dann bekommen die Russen die Möglichkeit, sich im Donbass-Gebiet zu erholen. Dabei wäre es besser, wenn sich die russische Soldateska gefälligst auf eigenem Gebiet ‘retabliert’. Dort woher sie gekommen sind.
Und zu Erdogan: er ist bald im Wahlkampf und muss Erfolge vorweisen können. Ein Nein zu Finnland/Schweden nützt dem türkischen Bürger nichts. Erdogan wird einknicken.