Obwohl es diese Woche im sibirischen Nowosibirsk minus zwölf Grad kalt werden wird, reagiert man dort nicht sehr cool auf Mails aus dem Westen. Geschickt hatten wir es dem Schweizer Pianisten Konstantin Lifschitz: Er ist Professor an der Hochschule Luzern (HSLU) und ist dieser Tage zweimal am Transibirian Art Festival aufgetreten. Wir fragten, warum er in Zeiten des Krieges an einem Festival auftrete, bei dem Wladimir Putin aus dem Programmheft grüsst.
Lifschitz antwortete sehr direkt - und persönlich: «Haben Sie beste Grüsse von Vadim Repin (Geiger und künstlerischer Festivalleiter), Oleg Bely (Festivaldirektor) sowie vom gesamten organisatorischen Team hier in Novosibirsk. Sie haben mir über Ihren vom Festival komplett finanzierten Aufenthalt (Reise, Unterkunft und ausgiebige Schmäuse) berichtet. Sämtliche Rechnungen dafür sind ebenfalls vorhanden. Das Festival damals fand direkt nach dem Krimanschluss statt. Ihren Artikel lege ich Ihnen bei.»
Tatsächlich: Ich war 2014 in Nowosibirsk, diskutierte Abende lang mit den Journalisten, fragte: «Erklärt mir Putin, erzählt mir mehr über dieses Festivalsystem!» Vom offiziellen Stab war nichts zu vernehmen, da hiess es gleich zu Beginn: «Freunde, wir haben mit euren Fragen keine Probleme, wir können über alles reden. Aber ihr wisst ja auch: Musik ist unpolitisch!» Ich schrieb viel Kritisches.
Später fuhr ich, Einladungen folgend, nach Sotschi, nach Kazan und Petersburg - bis ich merkte: Alles die gleiche Masche. Putin schenkt seinen Künstlern Festivals, die von Oligarchen und Konzernen, die ihm nahestehen (müssen), bezahlt sind, er selbst grüsst jeweils aus dem Programmheft und lässt Russland grüssen.
Unpolitisch war nichts, auch wenn der damals das Festival mit einer Million Euro unterstützende lokale Gouverneur etwas übermütig meinte: «Wir sind weit weg und unabhängig von Moskau», um gleich anzufügen, er habe einen Scherz gemacht. Wohl besser so. Von der ersten Seite des dicken Festivalprogramms grüsste damals wie heute Wladimir Putin. Es war klar: Das Trans-Siberian Art Festival war auch (s)ein Prestigeobjekt: Für den zweiten Konzertabend wurde Vizepremierministerin Olga Golodets, die Nummer zwei hinter Dmitri Medwedew, eingeflogen.
Zurück zu Lifschitz. In einem zweiten Schreiben antwortete er auf meine einfachen Fragen, zuerst kamen allerdings deutliche Worte, zitierte Lifschitz doch J. W. v. Goethe: «Die Technik im Bündnis mit dem Abgeschmackten ist die fürchterlichste Feindin der Kunst.» Später wurde der Luzerner Pianist deutlicher: «Ohne Musik und ohne Kultur ist kein Frieden möglich. Alle, die meine Konzerte verhindern möchten, sind somit für mich Kriegstreiber.» Damit erinnerte er an die russische Opernsängerin Anna Netrebko, die nach Kritik an ihr die Kritiker als «human shit» bezeichnete (sie unterstützte Putin, posierte mit einem Separatistenführer in der Ostukraine mit der Neurussland-Fahne, distanzierte sich nie davon, feierte im Kreml Geburtstag und verurteilte dann den Ukraine-Krieg).
In seiner Rechtfertigung beruft sich Lifschitz schliesslich auf ein Schreiben der HSLU vom 1. März. Es gebe keine Weisungen, wonach man verpflichtet sei, Aktivitäten in Russland, der Ukraine oder wo auch immer, vorgängig der Schule anzukündigen, gut- oder schlechtheissen zu lassen. Zu Recht, denken wir, denn jeder Künstler muss selber wissen, wo er spielen will - es ist eine Frage der Moral, nicht eine juristische.
Lifschitz liess sich auch bestätigen, dass das Festival nicht unter dem Patronat Putins stehe. Dass Putin aus dem Programmheft grüsst, habe er nicht gewusst, er habe sich nur auf die zwei Links für seine zwei Konzerte konzentriert. Dann erklärt er sein Tun emotional: «Ich habe auch früher in Moskau zu Kriegszeiten Konzerte gegeben, weil es mir ein grosses Anliegen ist, die Menschen, die dort in verheerender Wehmut die Entwicklung des katastrophalen Angriffs verfolgen, mit Musik zu unterstützen und ein Hoffnungszeichen zu geben. Diese Menschen stehen keineswegs dem Regime nahe.» Da er mit Festivalleiter Vadim Repin und seinem Team seit 2014 kollegial verbunden und da auch der belgische Botschafter an seinem Konzert am Samstag anwesend gewesen sei («extra dafür von Moskau geflogen»), sah er keinen Grund, die Auftritte abzusagen.
Meine Frage über das Fehlen der Konzerte auf seiner Homepage überrasche ihn: «Ich bin ratlos, was das mit der aktuellen Brisanz und Problematik zu tun habe.» Seit dem Lockdown und der Absage vieler Konzerte habe seine Managerin den Kalender nicht sehr sorgfältig ausgefüllt, so erscheine dort etwa ein Konzert in Moskau im September 2022, dafür aber würden gewisse Auftritte in Deutschland, Polen oder Italien fehlen.
Zusammenfassend schreibt Lifschitz, dass er, gebürtig in der Ukraine und aufgewachsen in Russland, nur Frieden für seine beiden Länder wolle: «Als Schweizer Staatsbürger schätze ich die Geschichte und die Neutralität unserer Schweiz von der Zeit der Weltkriege bis heute und den Versuch, diese heitere Attitude auch anderen Nationen zu vermitteln.»
Valentin Gloor, Direktor der HSLU, angefragt, ob er einen Auftritt von Lifschitz in Nowosibirsk toleriere, lässt durch seinen Mediensprecher ausrichten: «Bis zu Ihrer Anfrage haben wir von den Konzerten von Konstantin Lifschitz am Transsibirischen Festival nichts gewusst und finden diese im Kontext der aktuellen Lage und der Unterstützung des Festivals durch Präsident Wladimir Putin bedenklich. Mit Herrn Lifschitz haben wir Kontakt aufgenommen. Wir werden nach seiner Rückkehr offene Fragen in einem Gespräch klären. Bis dahin können wir uns zum Auftritt nicht weiter äussern.»
In Estland fackelte man am Wochenende nicht lange. Als letzte Woche herauskam, dass Andres Mustonen (1953), eine estnische Musiklegende - vergleichbar mit Heinz Holliger in der Schweiz -, wie Lifschitz am Festival in Nowosibirsk auftreten würde, kündigte Eesti Kontsert (die staatliche Konzertorganisation) die Zusammenarbeit mit ihm auf. (aargauerzeitung.ch/cpf)
Ich habe erst ein Problem, wenn er wieder zurückkommt... der Günstling des wahren Kriegstreibers.
Und nein: Musik ist politisch!
Es fängt mit Protest an, greift in Kunst und Kultur um sich und infiziert die Bevölkerung.
Veränderungen in der Bevölkerung starten mit Liedern, Filmen und Satire. Was für ein Lehrer soll das sein?
Und wiso versteht er es nicht, dass er als „Schweiz“er führ die Propaganda des KGB hinhalten muss?
Ist die Gage denn so hoch? Oder hat er den falschen Respekt / die Komplimente so nötig?
Schade.