Minarette, Burkas und Niqabs hat das Schweizer Volk verboten. Jetzt bahnen sich neue Regeln an, die den muslimischen Glauben betreffen: ein Kopftuchverbot an Schulen und Kindergärten. Der Nationalrat hat am Montag ein entsprechendes Postulat der Aargauer Ständerätin Marianne Binder (Mitte) mit 104 zu 77 Stimmen bei 10 Enthaltungen gutgeheissen. Nun muss der Bundesrat einen Bericht dazu erarbeiten.
Binder sieht in Kinderkopftüchern ein Instrument der Unterordnung und Diskriminierung muslimischer Mädchen, das nicht mit der Glaubensfreiheit gerechtfertigt werden könne. Die Mitte-Politikerin will, dass die in der Verfassung garantierten individuellen Freiheitsrechte höher gewichtet werden als die Religionsfreiheit.
Das muslimische Kopftuch bedeute Unfreiheit, habe sexualisierenden Charakter, hemme die Entwicklung und Bewegungsfreiheit der Mädchen und widerspreche dem Ziel der Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit. Auch wenn nur wenige Mädchen von der Thematik betroffen seien, dürfe man sie nicht einfach übergehen.
Ein umfassendes Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen kennt seit 2004 Frankreich. In einer Studie fanden Forscher heraus, dass Musliminnen vom Kopftuchverbot profitieren. Nach deren Einführung erzielten sie bessere Schulabschlüsse, heirateten häufiger Nichtmuslime und arbeiteten vermehrt in der Verwaltung. Die Autoren führen diese Entwicklungen direkt auf das Kopftuchverbot zurück.
Der Bundesrat stellte sich gegen ein nationales Kopftuchverbot im Klassenzimmer. Sein Hauptargument ist föderalistisch: Für die Schulen sind die Kantone zuständig. Ausserdem verwies Justizminister Beat Jans in der Debatte auf das Bundesgericht, das ein Kopftuchverbot an Schulen im Jahr 2015 in einem viel beachteten Grundsatzentscheid als verfassungswidrigen Eingriff in die Religionsfreiheit taxiert hatte. Das Bundesgericht argumentierte auch mit dem Kindeswohl: Ein Kopftuchverbot könnte ein Mädchen in einen Loyalitätskonflikt stürzen, weil es sich entscheiden muss, sich entweder über ein Gebot der Schule oder seiner Eltern hinwegzusetzen.
Im konkreten Fall ging es um ein bosnisches Mädchen, das nach den Sommerferien im Schuljahr 2013/2014 mit Hijab in der Schule in St. Margrethen im Kanton St.Gallen erschien. Die Schulordnung untersagte aber jegliche Art von Kopfbedeckung. Der St.Galler Erziehungsrat hatte den Schulen im Jahr 2010 empfohlen, Kopftücher und andere Kopfbedeckungen aus dem Unterricht zu verbannen.
Das Bundesgericht taxierte ein Kopftuchverbot nicht als notwendig, um Chancengleichheit herzustellen. Die Kommunikation während des Unterrichts werde nicht gestört. Es sah auch keine Anhaltspunkte, dass sich das Mädchen auf Druck ihrer Eltern verhüllte. Die Schulgemeinde hatte argumentiert, sie wolle die Schülerin vor den patriarchalischen Vorstellungen ihres Vaters schützen; dieser stelle die Scharia über die Schweizer Rechtsordnung und gehe wegen seiner Strenggläubigkeit keiner Arbeit nach.
Pascal Gemperli ist Mediensprecher der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS). «An Schweizer Schulen tragen nur wenige muslimische Mädchen ein Kopftuch», sagt er. Sollte eines von seinen Eltern dazu gezwungen werden, dann empfiehlt Gemperli, das Problem im Dialog zu lösen anstatt mit einem Verbot.