Die wilden Surfwellen des Atlantiks sind in Imsouane, einem Küstenort 100 km nördlich von Agadir, schon von Weitem zu hören. Ein paar junge Männer skaten in der leeren Strasse oder spielen Gitarre am Strassenrand. Hinter ihnen: ein kahler Sandhügel, darunter der Surfstrand La Cathédrale.
Anfang dieses Jahres belebten hier einfache Häuser, Restaurants und Läden direkt am Strand das Dorf. Unter den Bauten, die die Bewohner ohne Genehmigung errichteten, war auch das erste eigene Restaurant von Youssef*. «Einen Monat lang habe ich dieses Restaurant aufgebaut, und es wurde in einem Tag zerstört», erzählt der gelernte Koch.
Denn im Januar dieses Jahres rissen die Behörden die illegal errichteten Bauten ab. Die genauen Pläne für Imsouane, wo laut den Bewohnern die längste Welle Nordafrikas entsteht, sind noch unklar.
Viele Bewohner befürchten, dass die Lebenserhaltungskosten weiter steigen und All-inclusive-Resorts oder Luxushotels mit Jobs im Tieflohnsegment Einzug halten. Andere Anwohner hingegen erhoffen sich einen Ausbau der Infrastruktur im Dorf oder profitieren von den steigenden Preisen ihrer Immobilien. Die Entwicklungen im Dorf sind kein Einzelfall in Marokko. Sie hängen mit der WM zusammen, berichten verschiedene lokale Medien.
Der FIFA-Kongress wird am 11. Dezember 2024 Gastgeber Spanien, Portugal und Marokko der Weltmeisterschaft 2030 bestätigen. Zudem ist Marokko auch Gastgeber des Fussball-Africa-Cups 2025. Das marokkanische Medium Medias 24 stellte fest, dass in fünf von sechs Regionen Marokkos, in denen 2030 Spiele der Fussball-Weltmeisterschaft stattfinden, teils im grossen Stil illegale Bauten abgerissen wurden.
Die offizielle Begründung der Behörden lautet, die Bauten seien illegal, und durch den Abriss werde die öffentliche Ordnung wiederhergestellt. Klar ist aber auch, dass Marokko seit Jahren in die Fussball-WM 2030 investiert. In der Nähe von Casablanca entsteht das grösste Fussballstadion der Welt. Die Fussball-WM soll Marrokkos Wirtschaft ankurbeln – allen voran über den Tourismus.
Das Land hat sich bis 2030 hohe Ziele gesteckt. Die Anzahl Touristen soll sich auf 20 Millionen Besucher pro Jahr erhöhen, im Vergleich zu noch 13 Millionen im Jahr 2023. Schon jetzt ist Marokko zum neuen Reisetrend mutiert. Bloomberg hat Marokko zu den Top 24 der besten Reisedestinationen 2024 ernannt. Ein solches Wachstum führt am Massentourismus nicht vorbei.
«Man will schon auf den Luxustourismus abzielen, schwierig zu sagen, ob wegen der Investoren oder dem Königshaus», sagt Andreas Kagermeier, Tourismusexperte der Region Souss-Massa, zu der auch Imsouane gehört. Das Ziel sei es, die nationalen und internationalen kaufkräftigen Urlauber anzusprechen.
Hassan Aboutayeb, Präsident der Gesellschaft für Tourismus-Entwicklung (SDR) SMART Tourisme, die von der öffentlichen Hand finanziert wird, sieht trotzdem Potenzial in der Kombination aus Nischen- und Massentourismus. Auch der Nischentourismus werde gefördert wie noch nie. «Heute haben wir endlich finanzielle Mittel vom Staat für regionale Projekte, davon haben wir früher nur geträumt.» Den Massentourismus brauche es aber, um das Land weiterzuentwickeln. «Die kleinen Projekte werden keine Flugzeuge füllen», so Aboutayeb. Doch was bedeutet Massentourismus für die Bevölkerung vor Ort?
Der Massentourismus könnte nun auch im einst ruhigen Fischerdorf Imsouane näher rücken, besonders mit seinen berühmten Surfwellen. Einst wohnten im abgelegenen Dorf Berberfamilien, die von der Fischerei lebten. Als der gelernte Koch Youssef 2014 von Casablanca nach Imsouane kam, entstand gerade eine alternative Gemeinschaft aus Surfern, Reisenden aus aller Welt und Selbstversorgern.
«Damals fingen viele Bewohner an, Häuser und Wohnungen in den Klippen zu bauen», so Youssef. Manche dieser Bauten hatten weder einen Elektrizitäts- und Wasseranschluss noch eine Genehmigung. Youssef selbst lebte zuerst drei Jahre lang in einem Zelt und verdiente Geld mit selbstgebastelten Traumfängern und als Barista. «Jede Nacht haben wir zusammen gegessen, Tee getrunken und geraucht», schwärmt der 28-Jährige, der sich dann später mit seinem ersten eigenen Restaurant einen langersehnten Traum erfüllte.
Doch dann standen am 17. Januar 2024 die Bagger der Regierung vor der Tür. «Sie kamen um 9 Uhr morgens, mitten in der Saison, und sagten, wir hätten 24 Stunden», erinnert sich Youssef. «Wir machten noch Couscous und veranstalteten eine grosse Party, wo wir bis in alle Nacht tanzten.» Dann war es vorbei. Die Bulldozer zerstörten die Häuser an der Küste, die viele Bewohner als «die Seele Imsouanes» bezeichnen. «Das war eine dunkle Zeit für mich», erinnert sich Youssef.
Doch der gelernte Koch gab seinen Traum nicht auf, die beste Tajine – einen marokkanischen Eintopf – der Stadt zu verkaufen. Fast ein Jahr später fand er einen alternativen Ort für sein Restaurant, das er Anfang Dezember wieder eröffnete. Auch einige andere Restaurant- und Shop-Besitzer, deren Gebäude abgerissen wurden, konnten wieder eine Alternative finden.
Der Umbruch im ursprünglichen Fischerdorf sorgt nichtsdestotrotz für Unsicherheit bei den Bewohnern. Amir*, ein 27-jähriger Surfcoach und Barista, ist vor sieben Jahren nach Imsouane gekommen, um zu surfen. Er berichtet, dass nun viele junge Leute das Dorf wieder verlassen haben. «Sie haben nicht nur die Häuser, sondern auch die Kultur zerstört», sagt er. Bewohner und Bewohnerinnen wie Amir befürchten zudem, dass ohne Diplom kaum Jobmöglichkeiten bestehen und externe Arbeitskräfte bevorzugt werden. Für viele in Imsouane steigen zudem schon jetzt die Mieten schneller an als die Löhne.
Der Tourismusexperte Hassan Aboutayeb, der das Dorf direkt nach den Abrissarbeiten besuchte und sich dort mit lokalen Behörden traf, sieht die Entwicklung hingegen positiv. «Das Dorf war ursprünglich ein Fischerdorf, danach liessen sich auf spontane und teils anarchische Art Surfer nieder und errichteten illegale Bauten», so Aboutayeb. «Die lokalen Behörden teilten mir mit, dass sie alles rekonstruieren würden, auf soliden Fundamenten und kleinen touristischen Projekten, die den Normen entsprächen.»
Tourismusforscher Lahouzine Amzile betont die Vor- und Nachteile der Entwicklung in der Region Souss-Massa, zu der Imsouane, Taghazout und Agadir gehören. In Taghazout führten die Hotelbauten zu neuen Strassen und Arbeitsplätzen, doch viele Jobs gingen während des Hotelbaus an Saisonarbeiter von ausserhalb, oft ohne feste Verträge. «Die Löhne der Angestellten in den Hotels sind rudimentär», so Lahouzine. Es gebe zudem viele Praktikanten oder Arbeiter, die nur temporär angestellt sind.
Lahcen Ichou, Experte für nachhaltigen und ruralen Tourismus an der Universität Rabat, sieht ebenfalls begrenzte Vorteile für Einheimische. «Es gibt wenige lokale Investoren, Hotels gehören meistens internationalen Gesellschaften.» Die touristische Entwicklung in der Region Souss-Massa sei wichtig, aber oft würden Externe profitieren.
Die steigenden Grundstückpreise haben zwar die Mieten in die Höhe getrieben, aber auch den Wert von Immobilien deutlich gesteigert. Ibrahim*, ein lokaler Eigentümer, berichtet, dass sich der Wert seines Grundstücks in den letzten zehn Jahren weit mehr als verzehnfacht – verfünfzigfacht! – hat. «Ich wollte ein Haus am Meer und kaufte das Grundstück 2004 für rund 5000 Euro.» Heute sei es wohl etwa eine Viertelmillion Wert.
Ibrahim ist stolz auf sein Land: «Unsere Wirtschaft wächst und alle reden über die Fussball-WM 2030.» Auch der Tourismusexperte Hassan Aboutayeb sieht in der Fussball-WM eine Chance, die nationale Wirtschaft zu fördern. «Sie ist nicht das finale Ziel, aber sie kann als Antrieb dienen, um die Mittel zu mobilisieren, die wir schon lange brauchten.»
*Name von der Redaktion geändert
Insgesamt erhält Marokko sogar $ 1,7 Mia. als Entwicklungshilfe pro Jahr, damit befindet es sich auf Platz 7 in der Rangliste der grössten Empfänger. Der grösste Spender, mit $ 700 Mio. ist übrigens die EU, welche trotzdem keine Einigung zur Rückführung nach Marokko hinbekommt.
Jetzt hat dieses Land also Geld für sowas, da fragt man sich schon, ob diese Entwicklungshilfen vieleicht einfach ein Scam sind und den Leuten vor Ort gar nichts bringen.
Ich freue mich sehr für dieses tolle Land, dass man eine WM mitaustragen darf. Und Fussballerisch haben sie eh schon bewiesen, dass sie es drauf haben.
Das die FIFA ein korrupter, geldgieriger Haufen ist, dürfte allen klar sein. Eine WM in Spanien/Portugal/Marokko macht aber total Sinn. Ganz im Gegensatz zu der Saudi-Arabien-Farce.