In weniger als einem Monat werden die Weltmeisterschaften 2030 und 2034 vergeben. Bei einem virtuellen Kongress entscheiden die FIFA-Mitglieder über die Gastgeber – wobei entscheiden ein grosses Wort ist. Denn es gibt jeweils nur eine Bewerbung, über die am 11. Dezember abgestimmt werden kann.
Einmal ist es die gemeinsame Kandidatur von Spanien, Portugal und Marokko, bei welcher jeweils ein Spiel in Uruguay, Argentinien und Paraguay stattfinden wird. Der Anlass 2030 ist das 100-jährige Jubiläum der allerersten WM, bei der Gastgeber Uruguay im Final Argentinien bezwang. Und dann ist es Saudi-Arabien, das als einziger Bewerber für die WM 2034 ins Rennen geht.
Dass der Unrechtsstaat keine Konkurrenz hat, liegt einerseits am klugen Schachzug von FIFA-Präsident Gianni Infantino, zwei Bewerbungen für die WM 2030 zusammenzulegen und das Turnier so an sechs Staaten und drei Kontinente zu vergeben. Andererseits entschied sich Australien gegen eine Kandidatur – auch weil die von der FIFA vorgegebene Deadline sehr kurzfristig verkündet wurde. Die Saudis waren hingegen bereits in den Startlöchern und konnten den Termin problemlos einhalten.
So gesehen steht Saudi-Arabien, für welches es beim Austragen von Sport-Grossanlässen wie bei Verpflichtungen von Superstars wie Cristiano Ronaldo nur um Image-Politur (Stichwort Sportswashing) geht, als Austragungsort für die WM 2034 so gut wie fest. Zumal Gianni Infantino die Weltmeisterschaften bereits vor einem Jahr kurzerhand persönlich per Instagram vergeben hatte.
Doch noch ist dies nicht offiziell geschehen. Noch ist es zu verhindern, dass die Weltmeisterschaft zwölf Jahre nach Katar erneut in einem Staat stattfindet, in dem die Menschenrechte mit Füssen getreten werden.
Doch von Gegenwehr ist in Fussballkreisen derzeit wenig zu hören. Keine Spieler, die sich dezidiert dazu äussern. Keine Trainer, die sich wehren. Keine Verbände, die ein Umdenken der FIFA fordern. Vor zwei Jahren hatten diese noch Ausreden, nichts gegen die Austragung der WM in Katar zu unternehmen – allen voran die Spieler.
Nati-Star Manuel Akanji äusserte sich im Interview mit CH Media klar gegen die Idee eines grossen Turniers im Wüstenstaat. «Für mich ist eine WM in Katar nicht sinnvoll», sagte der damals 27-Jährige. Doch das Team hätte sich den Austragungsort nicht ausgesucht. Einen Boykott schloss er deshalb aus: «Man hätte damals, 2010, als die WM vergeben wurde, eingreifen müssen.»
Ähnlich klang es vom heutigen Deutschland-Captain Joshua Kimmich: «Ich glaube, mit einem Boykott sind wir einfach zwölf Jahre zu spät dran.» Die Missstände im Land seien bereits vor der Vergabe bekannt gewesen. «Es wäre wichtig gewesen, dass man sich vorher Gedanken darüber macht, was ein Land, das sich bewirbt, für Voraussetzungen erfüllen muss», so Kimmich.
Die Deutschen waren mit ihrer Hand-vor-den-Mund-Geste und den mit dem Wort «Human Rights» beschriebenen Trikots im Vorfeld noch eines der wenigen Teams, die ein Zeichen setzten. Aus der Heimat gab es dafür harsche Kritik, die Fussballer würden politische Themen über den Sport setzen – nach dem Vorrunden-Aus wurde sie noch lauter. Derzeit scheint es so, als würden die Spieler das nicht erneut riskieren wollen. Kimmich sagt: «Generell sollten wir Spieler für gewisse Dinge, Werte und Menschenrechte einstehen. Oftmals ist es aber nicht unser Job, uns politisch zu äussern. Dafür haben wir Fachleute im Land.»
So nahm sich der 29-Jährige, der auch sagte, dass das Team, der Verband und Deutschland als Ganzes in Katar «kein gutes Bild» abgegeben hätten, aus der Pflicht. Auch von Akanji, welcher der Nati derzeit verletzungsbedingt fehlt, oder seinen Teamkollegen, Trainern und dem Schweizerischen Fussballverband ist wenig bis nichts Kritisches zu hören. Dabei wären die Protagonisten die Einzigen, bei welchen die FIFA wirklich hellhörig werden würde. Die Sponsoren in die Verantwortung zu rufen, erscheint hingegen naiv. Aber ohne Spieler kein Turnier. Und jetzt, in der letzten Länderspielpause vor dem FIFA-Kongress, wäre der richtige Zeitpunkt für ein Engagement.
Aus diesem Grund veröffentlichte Amnesty International in dieser Woche ein Schreiben, in dem es den Weltverband dazu aufforderte, den Prozess für die Vergabe der WM 2034 zu stoppen. «Die Vergabe nach Saudi-Arabien wird einen realen und vorhersehbaren menschlichen Kostenpunkt haben. Die Fans werden diskriminiert, Anwohner gewaltsam vertrieben, Gastarbeiter ausgebeutet und viele werden sterben», schreibt Steve Cockburn, Leiter des Bereichs Arbeitsrecht und Sport bei der Non-Profit-Organisation.
Alles, was an der WM in Katar falsch war, dürfte sich also wiederholen. Es würde wieder tote Arbeiter geben. Mitglieder der LGBTQ+-Community, die ihr Nationalteam an der WM unterstützen wollen, könnten erneut nur mit grosser Angst ins Gastgeberland reisen und würden dort wohl diskriminiert. Und das kann niemand wollen.
Denn dann würde der Sport einmal mehr zeitweise in den Hintergrund rücken. Die Vorberichterstattung vor dem Turnier würde abermals viele Verletzungen von Menschenrechten dokumentieren. Mit dem Unterschied, dass dieses Mal die Ausrede nicht mehr gilt, auf Verbesserung in diesen Bereichen durch die WM gehofft zu haben. Denn diese Erwartung hat sich in Katar als krachend falsch erwiesen.
Die Öffentlichkeit würde sich erneut fragen, wie man eine Weltmeisterschaft in so ein Land vergeben konnte. Die Antwort wird wieder sein, dass die FIFA schon lange viel zu mächtig und geldgierig ist und jeglichen Wertekompass längst verloren hat.
Aber die Einzigen, die das noch verhindern können, schweigen gerade.
Seit 2000 gibt es bei einflussreichen und reichen Personen nur einen Trend: noch mehr Geld, noch mehr Yachten, noch mehr Privatjets, noch mehr Villen, noch mehr Sportwagen, noch mehr Luxus, noch mehr wilde Partys. Man kriegt den Hals nicht voll, auch wenn man daran fast erstickt.
Und ab und zu macht man auf Moral und zeigt sich empört oder nachdenklich, weil es die Öffentlichkeit verlangt.
Wäre es nicht so, hätte sich die Welt seit 2000 nicht derart verschlechtert.