Die Weltwetterorganisation (WMO) teilte am Dienstag in Genf mit, dass im tropischen Pazifik erstmals seit mehreren Jahren wieder El-Niño-Bedingungen herrschten. Dasjenige natürliche Wetterphänomen, das in unregelmässigen Abständen je nach Gebiet zu Dürren und Waldbränden oder zu starkem Niederschlag und Überflutungen führt.
Die WMO geht mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das Wetterphänomen die zweite Jahreshälfte bestimmen wird. Wie stark es diesmal ausfällt, lasse sich noch nicht sagen. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit, dass Temperaturrekorde gebrochen werden und sich extreme Hitze entwickle, mit dem Start des El Niños deutlich erhöht, warnte WMO-Chef Petteri Taalas.
Während die Folgen in Europa als begrenzt gelten, können die Auswirkungen in Südostasien, Australien, Afrika und Teilen Mittel- und Südamerikas heftig ausfallen. Der WMO-Chef rief deshalb die Regierungen dazu auf, Vorkehrungen zu treffen.
Davon betroffen ist auch ein Land im Herzen Südamerikas: Bolivien. Das Land kämpft bereits seit Jahren gegen die Folgen der Klimaerwärmung. Der angekündigte El Niño droht nun, die klimabedingten Bedrohungen noch weiter auf die Spitze zu treiben. Der Südamerika-Experte Richard Haep von der Schweizer Non-Profit-Organisation Helvetas gewährt einen Einblick in die komplexe Vorbereitung im geologisch diversen Land.
Obwohl Bolivien vollständig innerhalb der Tropen liegt, findet man aufgrund der grossen Höhenunterschiede von kalten Andengletschern über heisse Salzwüsten bis hin zu dampfenden Regenwäldern diverse Klimatypen im Land.
Oxfam, ein internationaler Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, warnte bereits 2009 vor fünf Hauptauswirkungen der Klimakrise in Bolivien:
Auch wenn die fünf Punkte auf den ersten Blick unterschiedlich scheinen, so hängen sie dennoch alle mit demselben Faktor zusammen: Wasser. Entweder der Überfluss oder der Mangel davon.
Tatsächlich wird Bolivien durch die von Oxfam erwähnten Probleme vor grosse Herausforderungen gestellt: Die Wetterverhältnisse werden aufgrund der Klimakrise immer extremer, erzählt Richard Haep, Südamerika-Experte von Helvetas. Während es im Hochland und den interandinen Zwischentälern im Westen generell trockener werde, regne es im Osten und im Nordosten deutlich mehr. Durch die alle paar Jahre wieder auftretenden El Niños werden diese Phänomene noch zusätzlich verschärft.
Das zeigte sich beispielsweise beim letzten, besonders starken El Niño 2015/2016. Damals kam es während der Regenzeit zwischen November 2015 und April 2016 zwar wie so häufig zu lokalen Überschwemmungen, insgesamt fiel die Saison aber trockener aus als üblich. Während dieser Zeit konnte deshalb nur wenig Wasser in den Wassereinzugsgebieten gespeichert werden. Die Konsequenzen spürte Bolivien in der darauffolgenden Sommerzeit, welche das Land in die stärkste Dürre seit 25 Jahren stürzte. 130'000 Familien waren nach Regierungsangaben von der langanhaltenden Trockenheit betroffen. Im nordöstlichen Departement Beni kam es zu mehreren Flächenbränden, die 36'000 Hektar Weideland zerstörten.
Haep kann sich an diese Zeit erinnern. Die Lagunen rund um den Regierungssitz La Paz, die sich üblicherweise vom Gletscherwasser der Anden speisen und in Wasser-Aufbereitungsanlagen fliessen, seien praktisch trocken gelegen. Die Wasserressourcen waren so knapp, dass die Regierung stark rationieren musste.
Immer extremer tritt aber auch das Gegenteil auf: Starkregen und Überflutungen. So etwa auch in der 2-Millionen-Stadt Santa Cruz de la Sierra, dem wirtschaftlichen Zentrum des Landes. Dort vermögen auch meterbreite Evakuierungskanäle nicht, die Wassermassen bei heftigem Regen zu kanalisieren. Haep erzählt:
Erst vor einem Monat seien in einem Landkreis im Departamento Chuquisaca 160 Tiere von Hagel erschlagen worden. Das sei zwar «nur» eine lokale Auswirkung, aber diese treten immer häufiger auf.
Ob Dürre oder Überflutung – Bolivien ist auf keines der beiden Ereignisse genügend vorbereitet. Das rührt nicht zuletzt daher, dass Bolivien nach Haiti das zweitärmste Land Südamerikas ist. Fast die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Armut. Die Möglichkeit des Staates, auf derartige Krisen zu reagieren, sei begrenzt, so Haep. Dennoch können Massnahmen getroffen werden, um die wachsende Wasserproblematik im Zuge der Klimakrise zu verringern und deren Konsequenzen zu mindern. Dazu gehört auch der folgende Punkt: Krankheiten.
Mit der Klimakrise kommen Überschwemmungen und mit Überschwemmungen kommen Krankheiten. Bakterien und Viren haben bei Überflutungen leichtes Spiel: Sie verbreiten sich entweder über das Wasser oder werden durch Mücken übertragen. Besonders problematisch sind kollabierende Kläranlagen, die angesichts der riesigen Wassermengen schlicht überlaufen oder massiv beschädigt werden. Auf diese Weise geraten Fäkalien in den Wasserkreislauf, was beispielsweise zur Verbreitung von Cholera führen kann.
Während in der Schweiz heutzutage niemand an dieser Krankheit sterben würde, sind geschwächte Menschen mit schlechter Gesundheitsversorgung in viel grösserer Gefahr.
Bei Überschwemmungen steigt zudem die Übertragungsrate von Dengue, Gelbfieber, Malaria. Diese Krankheiten gebe es auch zu «normalen» Zeiten, erklärt Haep. Es wird deshalb versucht, mit Pestiziden gegen die Tigermücke – eine Überträgerin zahlreicher Infektionskrankheiten – vorzugehen. Doch auch die Bevölkerung muss aufpassen: So sollte beispielsweise stehendes Wasser unbedingt vermieden werden, weil die Mücken darin ihre Eier ablegen.
Das erfordere eine riesengrosse Disziplin und viel Bewusstsein bei der Bevölkerung, führt Haep weiter aus. Die Regierung habe bisher aber nicht genügend in die Vorsorge investieren können. Das Ergebnis: ein grosser Dengue-Ausbruch im Osten Boliviens. Seit Beginn des Jahres hat die Pan American Health Organization (PAHO) bereits 22'500 Dengue-Fälle gezählt. Im Jahr zuvor wurden insgesamt nur 4362 Fälle registriert.
Während die Klimakrise in einer Region Boliviens Überschwemmungen bringt, führt sie in einer anderen zu Wasserknappheit. Richard Haep veranschaulicht dies mit der Erkenntnis einer Partnerorganisation von Helvetas: Bei Messungen in einem Tal in Cochabamba stellte diese fest, dass der Grundspiegel jedes Jahr um drei Meter sinkt. Dies sei aber nicht nur auf die weniger häufig auftretenden Regenfälle aufgrund der Klimakrise zurückzuführen. Auch die intensive landwirtschaftliche Nutzung trage zur wachsenden Wasserknappheit bei, räumt Haep ein.
Das ist problematisch:
Doch das Wasser ist für die Landwirtschaft zentral: Im Jahr 2008 verbrauchte die Landwirtschaft in Bolivien laut Helvetas schätzungsweise 80 Prozent des verfügbaren Wassers, 12 Prozent wurden für den häuslichen/kommunalen Verbrauch und 8 Prozent für den Industrie- und Bergbausektor genutzt.
Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht:
Lange genossen Städte wie La Paz aufgrund des Schmelzwassers von umliegenden Gletschern eine stabile Wasserversorgung. Doch die Gletscher schmelzen weg, mit dem steigenden Durchschnittsalter wächst die Bevölkerung – dies trotz sinkender Geburtenrate – und das Wasser wird knapper. Mängel in der Wasser-Infrastruktur kommen deshalb plötzlich viel stärker zum Tragen. Dort liegt laut Haep eines der grössten Probleme: Denn bei defekter Wasser-Infrastruktur, etwa bei undichten Rohren und Leitungen, wie auch bei ineffizienter Wassernutzung hilft auch ein grösseres Wasserangebot nicht.
Was das sogenannte Wassermanagement in Bolivien betrifft, gibt es noch viel zu tun. Von der Sicherung des Rohwassers über die Effizienz der Wasserversorgungsunternehmen und die Sensibilisierung der Endverbrauchenden bis hin zur Aufforstung von Waldgebieten, die den Wasserkreislauf aufrechterhalten, gebe es diverse Brennpunkte, die angegangen werden müssen, erklärt Haep.
In einem aktuellen Projekt entwickelt Helvetas diverse Methoden, um auf verschiedenen Ebenen gegen Wasserarmut anzukämpfen.
In manchen Fällen kommen solche Lösungsansätze zu spät: Der einst zweitgrösste See Boliviens, der Lake Poopó, wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach für ausgetrocknet und 2016 – nach dem El Niño – sogar zum Katastrophengebiet erklärt. Nach starken Regenfällen 2017 füllte sich der See zwar erneut, trocknete 2021 aber wieder komplett aus. Mit drastischen Folgen für die ansässige Bevölkerung, die hauptsächlich vom Fischfang lebte. Ihrer Lebensgrundlage beraubt, bleibt vielen Menschen nicht viel anderes übrig, als in die Städte zu ziehen.
Noch vor 30 Jahren lebten in La Paz, dem Regierungssitz in den Anden, 30'000 Menschen. Heute sind es 800'000. Viele seien Migrierende aus dem Hochland, die auf der Suche nach besserer Bildung, besserer Gesundheitsversorgung und Einkommen in die Stadt gezogen seien, so Südamerika-Experte Haep. Der Zustrom reisst auch heute nicht ab – nicht nur mit Konsequenzen für die Stadt, sondern auch für das ländliche Bolivien:
Während die Menschen vom Land unter anderem aufgrund der Wasserknappheit flüchten, verschärfen sie die selbige in der Stadt. Haep kann ihnen das nicht übel nehmen:
Die Abwanderung hat auch wirtschaftliche Konsequenzen, da dadurch die Eigenproduktion abnimmt und Produkte teuer importiert werden müssen.
Um gegen diese Problematiken vorzugehen, hat die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) das Projekt Andes Resilientes ins Leben gerufen, das Helvetas umsetzt. Das Ziel ist es, die lokale Bevölkerung in Cochabamba beim Kartoffelanbau zu unterstützen.
Ein Schwerpunkt lag dabei auf effizienterem Wasser-Ressourcenmanagement. So wurde etwa versucht, im Wassereinzugsgebiet das Wasser in den Boden zu leiten, statt es einfach abfliessen zu lassen. Des Weiteren wurden biologische Anbaumethoden und der Gebrauch einheimischer Produkte gefördert. Im Zentrum standen dabei einheimische Kartoffeln, die teilweise trockenresistenter und widerstandsfähiger gegen Schädlinge sind. Diese sollten dafür sorgen, dass die Bauern, beispielsweise auch während El Niños, nicht zu grosse Ernteverluste einfahren müssen. Nicht zuletzt sei auch viel in den Vermarktungsaspekt investiert worden, um das Interesse an einheimischen Superfoods zu steigern, erzählt Haep. Mit Erfolg:
Darum gehe es bei der Entwicklungszusammenarbeit, so Haep: Sie findet lokale Lösungen. Im Idealfall könnten solche Lösungen ausgeweitet und an verschiedenen Orten angewendet werden. Dies gelinge aus unterschiedlichen Gründen nicht immer. In diesem Fall aber war das Landwirtschaftsministerium von der Methode so überzeugt, dass es sie in das nationale Programm aufnahm.
Für Haep ist das eine schöne Erfahrung. Auch wenn es in Bolivien noch viele Herausforderungen und Probleme gebe, so könne man immer wieder zur Lösung beitragen. Erst wenn man nichts mehr beitragen könne, um den Menschen vor Ort ein besseres Leben zu ermöglichen, sei es Zeit, zu gehen, doch so weit sei Bolivien derzeit noch nicht. Im Zuge der Klimakrise und der immer wieder auftretenden El Niños werde intensiv gearbeitet. Haep ist überzeugt: «Das Engagement wird Früchte tragen.»
Punkt 5, Waldbrände. Es handelt sich um Brandrodungen, nicht einfach Brände. Bolivien ist das Land mit dem 3. grössten Primärwaldverlust der Welt.
Wasserverschmutzung. Praktisch keine Kläranlagen, 2. grösster Importeur von Quecksilber für Goldgewinnung. Allgemein lausiger Umweltschutz der unfähigen und korrupten Regierung.
Mancherorts isst man noch, was man erntet und kann nicht schnell mal in den Supermarkt um die Ecke.
Auch ein gutes Beispiel für Hilfe vor Ort.