Die Ozeane schwitzen – und das in einem nie zuvor dagewesenen Ausmass. Eine Umkehr ist nicht in Sicht: Forschende gehen stark davon aus, dass uns bereits ab diesem Jahr ein neues El-Niño-Ereignis droht. Es würde die Welt – und vor allem die Ozeane – noch stärker erwärmen, als das ohnehin bereits der Fall ist. Wie ist das Ganze einzuordnen? Ein Überblick.
Seit Mitte März stellt die globale Meeresoberfläche einen neuen Temperaturrekord auf. Noch nie hat sie sich so stark und so schnell erwärmt.
Die von der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) gesammelten Daten, die als OISST-Reihe (Optimum Interpolation Sea Surface Temperature) bekannt sind und von Satelliten und Bojen erfasst werden, zeigen dabei: Die Temperaturen der Ozeane waren bis und mit dem 1. Mai an nun schon 49 Tagen in Folge höher als in jedem Jahr zuvor.
Die Temperaturrekorde der gesamten Ozeane folgen auf ein Jahr mit einem Rekordtief an Eis an Nord- und Südpol. Die Temperaturen sind also insgesamt auf einem Allzeithoch, sie zeigen sich aber auch anhand verbreitet auftretender regionaler Ozean-Hitzewellen. Ein Beispiel: Im März lagen die Meeresoberflächentemperaturen vor der Ostküste Nordamerikas ganze 13,8 °C über dem Durchschnitt des Zeitraums 1981–2011. Das Mittel dieser 30 Jahre wird als Basis für die Berechnung aktueller und kommender Hitzewellen benutzt.
While the recent SST anomaly is terrifying, it is not unexpected. CMIP6 models predicted the monthly 0.7°C anomaly (comp. to 1982-2011) to be reached between 2017&2040. This wouldn't have happened without climate change, we are in a new climate state, extremes are the new normal. https://t.co/qaAjJdxwGy pic.twitter.com/0a1B28E7dx
— Dr Jens Terhaar (@JensTerhaar) April 24, 2023
Gerade zeigt sich eine solche Hitzewelle mit dem höchsten Prädikat «Extrem» im Atlantik vor Nord-West-Afrika und Portugal. (Hier kannst du übrigens die Ozean-Temperaturen und die Hitzewellen interaktiv und zeitnah nachverfolgen.)
Im Schnitt lagen die Temperaturen zwischen 0,1 und 0,2 Grad über den zuvor gemessenen Höchstmarken. Das tönt vielleicht nach wenig, das Gegenteil ist aber der Fall. 71 Prozent der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt. Wenn man sich nun überlegt, wie viel Energie benötigt wird, um nur schon einen Liter Wasser zum Kochen zu bringen, dann sind 0,2 Grad bei über 1,3 Milliarden Kubikkilometern Flüssigkeit keine Kleinigkeit.
A 0.2 degree Celsius increase in ocean surface temperature might sound inconsequential but consider that there are 321,003,271 cubic miles of water in the ocean. Water has an extremely high specific heat. Changing the surface temperature by this amount is a big deal. (4/11)
— Climate Defiance (@ClimateDefiance) May 2, 2023
Man weiss es noch nicht genau. Fakt ist: Es handelt sich um eine aussergewöhnliche Entwicklung. Ben Webber, Dozent für Klimawissenschaften an der University of East Anglia, sagte gegenüber dem britischen Guardian: «Dass die Temperaturen so hoch über dem Durchschnitt liegen, und das für eine solch lange Zeit, ist eine Anomalie.» Was man hier sehe, sei sehr ungewöhnlich, so der Dozent. Und weiter: «Wir bewegen uns in eine noch nie dagewesene Richtung und könnten uns auf unbekanntes Terrain begeben.»
Kurz: Es handelt sich um eine Anomalie, welche die Forschenden aber noch nicht erklären können. Kehrt man zurück zu der Frage nach den Gründen, so muss man dennoch eines beachten: Die Welt steht in diesem Jahr kurz vor einem weiteren El-Niño-Ereignis. Es ist ein zyklisches Wettersystem im Pazifik, das unregelmässig, aber ungefähr alle zwei bis sieben Jahre vorkommt und eine globale Erwärmung bewirkt.
Allerdings: Der drohende El Niño muss sich erst noch entwickeln. Das letzte La-Niña-Ereignis gilt als bald beendet. Es war mit drei aufeinander folgenden Jahren ein überaus langes. Das ist höchst selten: Seit Beginn der Aufzeichnungen geschah das nur gerade zweimal.
Dass sich zurzeit im Pazifik vor Südamerika das Wasser ungewöhnlich stark erwärmt, ist ein Zeichen dafür, dass La Niña gerade vom nächsten El-Niño-Phänomen abgelöst wird.
Nichtsdestotrotz können die jüngsten Temperaturrekorde nicht (alleine) durch El Niño erklärt werden, denn dafür gilt das Phänomen als noch bei Weitem zu gering ausgeprägt. Das Ganze geschieht ausserdem zu einer Jahreszeit, in der die Meerestemperaturen normalerweise von ihren jährlichen Höchstständen im März und April zurückgehen. Mit ziemlicher Verzögerung kann das zwar seit gut einer Woche beobachtet werden – der Unterschied zu vorangehenden Jahren bleibt aber beträchtlich.
Wie die britische BBC schreibt, gibt es aber einen anderen Faktor, der den Wärmeanstieg in den Ozeanen beeinflusst haben könnte. Paradoxerweise ist es die Verringerung der Verschmutzung durch den Schiffsverkehr: Im Jahr 2020 hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation eine Verordnung zur Verringerung des Schwefelgehalts des von Schiffen verbrannten Kraftstoffs erlassen. Dies hat, so schreibt es die BBC, schnell Wirkung gezeigt und die Menge der in die Atmosphäre freigesetzten Aerosolpartikel verringert. Aber: Aerosole, die die Luft verschmutzen, tragen auch dazu bei, dass die Wärme zurück in die Atmosphäre reflektiert wird – ihre Beseitigung könnte also dazu geführt haben, dass am Ende mehr Wärme in die Gewässer gelangt.
Die Beobachtung der letzten Wochen versetzt die Wissenschaft in Aufruhr. Experten und Klimatologinnen tauschen sich derzeit auf den sozialen Medien und untereinander aus. Während über die Gründe spekuliert wird, sind vor allem die Folgen davon noch viel unklarer. So unklar, dass die BBC in ihrem Bericht schreibt: «Mehrere WissenschaftlerInnen, die für diesen Artikel kontaktiert wurden, wollten sich nicht zu den Auswirkungen äussern.» Einer habe nur gesagt, er sei «extrem besorgt und völlig gestresst».
Eines scheint aber klar: Kommt nun gegen Ende des Jahres ein ausgeprägtes El-Niño-Ereignis hinzu, könnte das fatal sein. «In diesem Fall werden wir wahrscheinlich eine zusätzliche globale Erwärmung von 0,2 bis 0,25 Grad haben», sagte jüngst Dr. Josef Ludescher vom Potsdam-Institut für Klimaforschung gegenüber der britischen BBC.
«Die zusätzliche Wärme eines El-Niño-Ereignisses würde einige Gebiete unseres Planeten zum ersten Mal über 1,5 Grad Erwärmung drängen», erklärt auch die Ozeanografin Moninya Roughan für die australische Zeitung The Conversation. Roughan glaubt, dass das, was wir sehen, die Abschwächung von La Niña ist. Diese habe eher kühlere Bedingungen mit sich gebracht, welche die zusätzliche Wärme in den Systemen unseres Planeten verdecken. Diese Wärme würde sich nun ausbreiten.
Ein weiterer Aspekt, der in der Wissenschaft diskutiert wird, betrifft die Ozeane als Energiespeicher. Eine kürzlich veröffentlichte Studie weist auf eine beunruhigende Entwicklung hin: In den letzten 15 Jahren hat sich auf der Erde fast so viel Wärme angesammelt wie in den vorangegangenen 45 Jahren, wobei der grösste Teil der zusätzlichen Energie von den Ozeanen gespeichert respektive absorbiert wird.
The oceans have clearly been absorbing a lot of excess energy and hiding it from us for a few years now. This looks like payback time.
— Dr Thomas Smith 🔥🌏 (@DrTELS) April 25, 2023
A massive redistribution of that energy and I don't think we can really forecast what it will mean. We are in uncharted territory. pic.twitter.com/AHPbv8Mv2o
«Das Klimasystem der Erde ist aus dem Energiegleichgewicht geraten», schreiben die Forschenden. Einige befürchten nun, dass eine solche anomal grosse Abweichung von früheren Temperaturen, wie sie jetzt beobachtet wird, darauf hinweisen könnte, dass unsere Ozeane die Grenzen ihrer Wärmeaufnahmekapazität erreicht haben.
Das wäre eine besonders schlechte Nachricht, weil fast 90 Prozent der überschüssigen Energie, die vom Menschen in unser System hineingepumpt wird, von den Ozeanen absorbiert werden. Die Gewässer haben dadurch einen grossen Teil der Auswirkungen der globalen Erwärmung abfedern können. Könnten sie das in Zukunft nicht im gleich effizienten Masse tun, würde deutlich mehr an überschüssiger Energie an Land zu spüren sein.
Allerdings sind wir noch nicht so weit. So sagt Professor Mike Meredith vom Polarforschungsprogramm von Grossbritannien, es sei alles noch zu früh, um das zu sagen. «Die Geschwindigkeit [des Temperaturanstiegs] ist stärker, als es die Klimamodelle vorhersagen», sagt der Wissenschaftler gegenüber dem «Guardian». Der Grund für die Besorgnis sei, «dass das, wenn es so weitergeht, der angenommenen Klimakurve für den Ozean weit voraus sein würde. Aber wir wissen noch nicht, ob das der Fall sein wird.»
Auch Karina von Schuckmann, Co-Autorin der oben genannten Studie, sagt gegenüber der BBC, es gebe in diesem Szenario immer noch eine gewisse Hoffnung; die Temperaturen könnten nach dem Abklingen des El Niño wieder sinken. «Wir haben immer noch ein Zeitfenster, in dem wir handeln können. Und das sollten wir nutzen, um die Folgen zu verringern.»
Es scheint schon beinahe überflüssig, zu betonen, dass die Auswirkungen der Ozeanerwärmung enorm sind. Darunter fallen:
Ps: die SVP wird es nicht richten. Ihr ultrakonservatives, im Grunde Böses Gedankengut, wird uns noch umbringen.
Wir wissen doch, dass wir wirklich ein Problem haben. Warum müssen wir gegen jene hetzen, die das um jeden Preis aufzeigen wollen?
Wir sind doch auch genug erwachsen, um neben der Art und Weise des Protests den Zweck zu erkennen. Oder nicht?