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Ozean-Temperaturen erreichen gerade neue Rekorde – das Wichtigste dazu

Die Ozeane erreichen gerade Temperaturrekorde – und könnten es uns bald «zurückzahlen»

Eine neue, schnell voranschreitende Erwärmung der Ozeane alarmiert seit Tagen und Wochen. Sogar so sehr, dass Forschende sich noch kaum zu deren Auswirkungen äussern wollen.
03.05.2023, 17:4803.05.2023, 18:13
Lara Knuchel
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Die Ozeane schwitzen – und das in einem nie zuvor dagewesenen Ausmass. Eine Umkehr ist nicht in Sicht: Forschende gehen stark davon aus, dass uns bereits ab diesem Jahr ein neues El-Niño-Ereignis droht. Es würde die Welt – und vor allem die Ozeane – noch stärker erwärmen, als das ohnehin bereits der Fall ist. Wie ist das Ganze einzuordnen? Ein Überblick.

Was passiert gerade?

Seit Mitte März stellt die globale Meeresoberfläche einen neuen Temperaturrekord auf. Noch nie hat sie sich so stark und so schnell erwärmt.

Meerestemperaturen in Grad Celsius, 1. Mai 2023

Ozean-Temperaturen erreichen Allzeitrekorde, 3. Mai 2023
Bild: climatereanalyzer.org

Die von der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) gesammelten Daten, die als OISST-Reihe (Optimum Interpolation Sea Surface Temperature) bekannt sind und von Satelliten und Bojen erfasst werden, zeigen dabei: Die Temperaturen der Ozeane waren bis und mit dem 1. Mai an nun schon 49 Tagen in Folge höher als in jedem Jahr zuvor.

Meeresoberflächentemperatur in den Jahren 1981 bis 2023

Die Ozean-Temperaturen erreichen gerade Allzeitrekorde, 3. Mai 2023
Orange Linie: 2022, schwarze Linie: 2023, mittlere gestrichelte Linie: Durchschnitt der Jahre 1981–2011. Die Jahre ab 2011 liegen alle oberhalb dieses Durchschnitts und die Jahre ab 2015 (mit Ausnahme von 2018) sogar über zwei Standardabweichungen über dem Durchschnitt (obere gestrichelte Linie).
Die Daten decken die Ozeane von 60 Grad nördlich bis 60 Grad südlich des Äquators ab.
Bild: climatereanalyzer.org

Die Temperaturrekorde der gesamten Ozeane folgen auf ein Jahr mit einem Rekordtief an Eis an Nord- und Südpol. Die Temperaturen sind also insgesamt auf einem Allzeithoch, sie zeigen sich aber auch anhand verbreitet auftretender regionaler Ozean-Hitzewellen. Ein Beispiel: Im März lagen die Meeresoberflächentemperaturen vor der Ostküste Nordamerikas ganze 13,8 °C über dem Durchschnitt des Zeitraums 1981–2011. Das Mittel dieser 30 Jahre wird als Basis für die Berechnung aktueller und kommender Hitzewellen benutzt.

Gerade zeigt sich eine solche Hitzewelle mit dem höchsten Prädikat «Extrem» im Atlantik vor Nord-West-Afrika und Portugal. (Hier kannst du übrigens die Ozean-Temperaturen und die Hitzewellen interaktiv und zeitnah nachverfolgen.)

Im Schnitt lagen die Temperaturen zwischen 0,1 und 0,2 Grad über den zuvor gemessenen Höchstmarken. Das tönt vielleicht nach wenig, das Gegenteil ist aber der Fall. 71 Prozent der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt. Wenn man sich nun überlegt, wie viel Energie benötigt wird, um nur schon einen Liter Wasser zum Kochen zu bringen, dann sind 0,2 Grad bei über 1,3 Milliarden Kubikkilometern Flüssigkeit keine Kleinigkeit.

Was sind die Gründe?

Man weiss es noch nicht genau. Fakt ist: Es handelt sich um eine aussergewöhnliche Entwicklung. Ben Webber, Dozent für Klimawissenschaften an der University of East Anglia, sagte gegenüber dem britischen Guardian: «Dass die Temperaturen so hoch über dem Durchschnitt liegen, und das für eine solch lange Zeit, ist eine Anomalie.» Was man hier sehe, sei sehr ungewöhnlich, so der Dozent. Und weiter: «Wir bewegen uns in eine noch nie dagewesene Richtung und könnten uns auf unbekanntes Terrain begeben.»

Kurz: Es handelt sich um eine Anomalie, welche die Forschenden aber noch nicht erklären können. Kehrt man zurück zu der Frage nach den Gründen, so muss man dennoch eines beachten: Die Welt steht in diesem Jahr kurz vor einem weiteren El-Niño-Ereignis. Es ist ein zyklisches Wettersystem im Pazifik, das unregelmässig, aber ungefähr alle zwei bis sieben Jahre vorkommt und eine globale Erwärmung bewirkt.

El Niño und La Niña
Das El-Niño-Phänomen ist quasi das Gegenstück zu La Niña. Beide beschreiben, vereinfacht gesagt, eine globale Klima-Ausprägung, die sich an gewissen Orten wesentlich auf das Wettergeschehen auswirken kann. Während El Niño ist das Wasser im östlichen tropischen Pazifik wärmer und das Wasser im westlichen tropischen Pazifik kühler als normalerweise. Ausserdem verändern sich dabei die grossflächigen Luftdruckverhältnisse und als Folge schwächen sich die Passatwinde ab. Die Folgen davon: Es kommt zu mehr Niederschlag als gewöhnlich im Westen Südamerikas, teils bis hinauf in die USA – und weniger Niederschlag, Trockenheit und Hitze in Süd- und Ostasien sowie in Australien.

Von El Niño spricht man konkret, wenn das Oberflächenwasser im zentralen Pazifik für drei aufeinanderfolgende Monate im Durchschnitt 0,5 Grad über dem langjährigen Mittel liegt. Dennoch: Wie und warum genau El Niño zustande kommt, ist noch immer unklar.

Allerdings: Der drohende El Niño muss sich erst noch entwickeln. Das letzte La-Niña-Ereignis gilt als bald beendet. Es war mit drei aufeinander folgenden Jahren ein überaus langes. Das ist höchst selten: Seit Beginn der Aufzeichnungen geschah das nur gerade zweimal.

Dass sich zurzeit im Pazifik vor Südamerika das Wasser ungewöhnlich stark erwärmt, ist ein Zeichen dafür, dass La Niña gerade vom nächsten El-Niño-Phänomen abgelöst wird.

Anomalien der Oberflächentemperatur der Meere am 1. Mai

El-Nino: Temperatur-Anomalien in den Ozeanen, 3. Mai 2023
Bild: NOAA

Nichtsdestotrotz können die jüngsten Temperaturrekorde nicht (alleine) durch El Niño erklärt werden, denn dafür gilt das Phänomen als noch bei Weitem zu gering ausgeprägt. Das Ganze geschieht ausserdem zu einer Jahreszeit, in der die Meerestemperaturen normalerweise von ihren jährlichen Höchstständen im März und April zurückgehen. Mit ziemlicher Verzögerung kann das zwar seit gut einer Woche beobachtet werden – der Unterschied zu vorangehenden Jahren bleibt aber beträchtlich.

Einen möglichen Grund gibt es

Wie die britische BBC schreibt, gibt es aber einen anderen Faktor, der den Wärmeanstieg in den Ozeanen beeinflusst haben könnte. Paradoxerweise ist es die Verringerung der Verschmutzung durch den Schiffsverkehr: Im Jahr 2020 hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation eine Verordnung zur Verringerung des Schwefelgehalts des von Schiffen verbrannten Kraftstoffs erlassen. Dies hat, so schreibt es die BBC, schnell Wirkung gezeigt und die Menge der in die Atmosphäre freigesetzten Aerosolpartikel verringert. Aber: Aerosole, die die Luft verschmutzen, tragen auch dazu bei, dass die Wärme zurück in die Atmosphäre reflektiert wird – ihre Beseitigung könnte also dazu geführt haben, dass am Ende mehr Wärme in die Gewässer gelangt.

Wie sind die Erkenntnisse einzuordnen?

Die Beobachtung der letzten Wochen versetzt die Wissenschaft in Aufruhr. Experten und Klimatologinnen tauschen sich derzeit auf den sozialen Medien und untereinander aus. Während über die Gründe spekuliert wird, sind vor allem die Folgen davon noch viel unklarer. So unklar, dass die BBC in ihrem Bericht schreibt: «Mehrere WissenschaftlerInnen, die für diesen Artikel kontaktiert wurden, wollten sich nicht zu den Auswirkungen äussern.» Einer habe nur gesagt, er sei «extrem besorgt und völlig gestresst».

Eines scheint aber klar: Kommt nun gegen Ende des Jahres ein ausgeprägtes El-Niño-Ereignis hinzu, könnte das fatal sein. «In diesem Fall werden wir wahrscheinlich eine zusätzliche globale Erwärmung von 0,2 bis 0,25 Grad haben», sagte jüngst Dr. Josef Ludescher vom Potsdam-Institut für Klimaforschung gegenüber der britischen BBC.

«Die zusätzliche Wärme eines El-Niño-Ereignisses würde einige Gebiete unseres Planeten zum ersten Mal über 1,5 Grad Erwärmung drängen», erklärt auch die Ozeanografin Moninya Roughan für die australische Zeitung The Conversation. Roughan glaubt, dass das, was wir sehen, die Abschwächung von La Niña ist. Diese habe eher kühlere Bedingungen mit sich gebracht, welche die zusätzliche Wärme in den Systemen unseres Planeten verdecken. Diese Wärme würde sich nun ausbreiten.

Die Ozeane, unser Energiespeicher

Ein weiterer Aspekt, der in der Wissenschaft diskutiert wird, betrifft die Ozeane als Energiespeicher. Eine kürzlich veröffentlichte Studie weist auf eine beunruhigende Entwicklung hin: In den letzten 15 Jahren hat sich auf der Erde fast so viel Wärme angesammelt wie in den vorangegangenen 45 Jahren, wobei der grösste Teil der zusätzlichen Energie von den Ozeanen gespeichert respektive absorbiert wird.

«Das Klimasystem der Erde ist aus dem Energiegleichgewicht geraten», schreiben die Forschenden. Einige befürchten nun, dass eine solche anomal grosse Abweichung von früheren Temperaturen, wie sie jetzt beobachtet wird, darauf hinweisen könnte, dass unsere Ozeane die Grenzen ihrer Wärmeaufnahmekapazität erreicht haben.

Das wäre eine besonders schlechte Nachricht, weil fast 90 Prozent der überschüssigen Energie, die vom Menschen in unser System hineingepumpt wird, von den Ozeanen absorbiert werden. Die Gewässer haben dadurch einen grossen Teil der Auswirkungen der globalen Erwärmung abfedern können. Könnten sie das in Zukunft nicht im gleich effizienten Masse tun, würde deutlich mehr an überschüssiger Energie an Land zu spüren sein.

Allerdings sind wir noch nicht so weit. So sagt Professor Mike Meredith vom Polarforschungsprogramm von Grossbritannien, es sei alles noch zu früh, um das zu sagen. «Die Geschwindigkeit [des Temperaturanstiegs] ist stärker, als es die Klimamodelle vorhersagen», sagt der Wissenschaftler gegenüber dem «Guardian». Der Grund für die Besorgnis sei, «dass das, wenn es so weitergeht, der angenommenen Klimakurve für den Ozean weit voraus sein würde. Aber wir wissen noch nicht, ob das der Fall sein wird.»

Auch Karina von Schuckmann, Co-Autorin der oben genannten Studie, sagt gegenüber der BBC, es gebe in diesem Szenario immer noch eine gewisse Hoffnung; die Temperaturen könnten nach dem Abklingen des El Niño wieder sinken. «Wir haben immer noch ein Zeitfenster, in dem wir handeln können. Und das sollten wir nutzen, um die Folgen zu verringern.»

Welche Auswirkungen hat die Erwärmung der Ozeane?

Es scheint schon beinahe überflüssig, zu betonen, dass die Auswirkungen der Ozeanerwärmung enorm sind. Darunter fallen:

  • Verlust von Pflanzen- und Tierarten: Häufigere und intensivere Hitzewellen im Meer führen zu einem Massensterben von Leben in den Ozeanen. Sie sind besonders schädlich für Korallenriffe.
  • Extremeres Wetter: Die erhöhte Wärme gerade an der Meeresoberfläche bedeutet, dass Wirbelstürme und Zyklone mehr Energie aufnehmen können. Das bedeutet, dass sie intensiver werden und länger andauern.
  • Geringere Fähigkeit der Erde, CO₂ zu absorbieren: Die Ozeane nehmen derzeit etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen auf. Wärmere Gewässer haben eine geringere Fähigkeit, CO₂ zu absorbieren. Wenn die Ozeane in Zukunft weniger CO₂ aufnehmen, würde sich mehr davon in der Atmosphäre anreichern, was wiederum zu einer Erwärmung der Luft und der Ozeane führen würde.
  • Anstieg des Meeresspiegels: Wärmeres Wasser nimmt mehr Raum ein als kaltes. Neben dem Abschmelzen der Gletscher in Grönland und der Antarktis trägt diese thermische Ausdehnung zusätzlich zur Erhöhung des Meeresspiegels bei.
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271 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Basswow
03.05.2023 18:13registriert März 2014
Ich hoffe wenigstens ein kleiner Teil der Bürgerlichen nimmt das zur Kenntnis…und einige , die denken, dass wählen nichts nützt.

Ps: die SVP wird es nicht richten. Ihr ultrakonservatives, im Grunde Böses Gedankengut, wird uns noch umbringen.
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Unterwasser
03.05.2023 18:40registriert Oktober 2020
Ich hoffe auf einen baldigen und raschen Anstieg der Weltmeere. Wenn erst einmal ein paar Metropolen einen auf Atlantis machen (byebye Miami), wird die Bevölkerung realisieren, dass die Zeit der kleinen Schritte und Kompromisse schon seit einem Jahrzehnt vorbei ist.
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Des Heiland's Sack
03.05.2023 22:08registriert September 2015
Ich finde es spannend, wie bei solchen Artikeln zu Umweltproblemen der Haupttenor hinter der Meinung steht, dass wir ein großes Problem haben, welches nach dringendem Handeln schreit, bei Artikeln über Strassenblockaden von Klimaaktivisten dann aber der überwiegende Teil der watson-Community derart leidenschaftlich zu hassen weiss, dass es einen graust.
Wir wissen doch, dass wir wirklich ein Problem haben. Warum müssen wir gegen jene hetzen, die das um jeden Preis aufzeigen wollen?
Wir sind doch auch genug erwachsen, um neben der Art und Weise des Protests den Zweck zu erkennen. Oder nicht?
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